Seewölfe - Piraten der Weltmeere 663. Fred McMason
bliebe dann nur eine kleine Ratte namens Ruthland, die sich im starken Schatten Garcias versteckte und agierte. Den Kerl konnten sie wie eine flügellahme Ente rupfen.
Er konnte auch hingehen, den Kapitän in seiner Kammer überraschen und ihn blitzschnell töten. Sein Tod würde mit Gewißheit etliche Veränderungen mit sich bringen, denn César Garcia war es, den der Haß trieb.
Die Verlockung war da, schlagartig, während Juan an dem Balken lehnte. Das Stimmengewirr um sich herum nahm er kaum zur Kenntnis.
Das Problem, das sie augenblicklich am Hals hatten, wäre mit einem Schlag gelöst, und er würde vielen Sklaven ein hartes Schicksal ersparen, denn Sklaven würde Garcia früher oder später wieder einfangen.
Juan seufzte leise. Er sah im Geist das Schiff auseinanderfliegen, sah brennende Menschen und hörte ihre Entsetzensschreie. Schweratmend und von dem Qualm halb betäubt stand er da, bereit, der Versuchung zu erliegen.
Es war ja alles so einfach!
Der Spanier rang lange Zeit mit sich selbst. Er stand unter ungeheurer Anspannung.
Nach einer endlos scheinenden Ewigkeit hatte er sich entschieden und stieß sich von dem Balken ab.
Das war nicht sein Stil, er konnte nicht über seinen eigenen Schatten springen. Der Gegner war völlig ahnungslos und wußte nicht, daß er seit einiger Zeit auf ein imaginäres Ziel feuerte, auf ein Schiff, das längst verschwunden war und sich heimlich abgesetzt hatte.
Das wäre heimtückisch und hinterhältig und entsprach viel eher dem miesen Charakter eines Francis Ruthland.
Wäre er jetzt auf der „Ghost“ gewesen, hätte er vermutlich nicht lange gezögert und das Schiff in die Luft geblasen. Hier jedoch war es etwas anderes, er brachte es nicht fertig.
Oder? Er dachte an die beiden Schiffbrüchigen auf dem Floß, die sie gerettet und in diese Bucht gebracht hatten. Diese zwei Bastarde hatte Garcia ihnen auch heimtückischerweise untergeschoben und sie so in die Bucht gelockt, um über sie herzufallen.
Eigentlich war es nicht mehr als recht und billig, sich auf die gleiche infame Art zu revanchieren. Auge um Auge, Zahn um Zahn! Oder?
Da war wieder dieses „Oder“, ein Stolperstein, über den er nicht hinwegkam.
Zum Teufel! Er brachte es doch nicht fertig und brauchte mit sich selbst auch nicht darüber zu debattieren. Es führte zu nichts. Er ließ es dabei bewenden, den Spaniern einen kräftigen und nachhaltigen Denkzettel verpaßt zu haben.
Aus, finito!
Fast wütend stieß er sich ab und bahnte sich rücksichtslos einen Weg durch die Leiber. Er stieß Männer zur Seite und ging blind auf den Niedergang zu, bis er ihn erreichte.
Kurz darauf befand er sich an Deck, wo die Luft zwar etwas besser, aber feucht, schwer und naß war.
Als er abentern wollte, sah er sehr undeutlich die Schatten zweier Männer. Sie hielten sich ganz in seiner Nähe auf und sprachen miteinander.
Es waren César Garcia und sein Erster Offizier Juarez Molina.
„… nichts sehen in dem Nebel“, hörte er Garcia sagen. „Nicht mal die Hand vor Augen. Lassen Sie nachher den Schußwinkel der Stücke etwas erhöhen, Señor Molina. Ich bin sicher, daß es bei dem Bastard dann erneut einschlagen wird. Er rechnet nicht damit, und so wird er eine höllische Überraschung erleben.“
„Davon bin ich überzeugt. Wir hätten aber auch etwas mehr Pulver nehmen können, um den gleichen Effekt zu erzielen.“
„Das ist mir zu riskant“, wehrte Garcia scharf ab. „Uns ist schon einmal ein Rohr an Deck krepiert.“
Juan zog sich lautlos ein paar Schritte zurück. Sie sahen ihn nicht, und er hatte sie auch nicht mehr im Auge. Aber er verstand jedes Wort.
„Es gibt allerdings noch eine andere Möglichkeit“, sagte Garcia nach einer Weile des Schweigens. „Wir könnten die große Jolle abfieren und mit ein paar Männern besetzen lassen. Die Männer nehmen zwei Drehbassen mit und feuern dem Bastard aus allernächster Nähe grobgehacktes Blei in die Wasserlinie. Bevor man unsere Leute bemerkt, sind sie in dem Nebel schon wieder verschwunden.“
Garcias schien von seiner Idee begeistert zu sein. Juan hörte ihn leise lachen.
„Ein guter Gedanke“, lobte der Erste. „Damit wird er ganz sicher nicht rechnen. Ein Blitzangriff aus dem Nichts heraus, ein schneller Vorstoß, wobei er eine klaffende Wunde erleidet. Es ist nicht mal ein Risiko dabei. Wir könnten die große Jolle nehmen. Sie liegt auf der Backbordseite.“
„Sehr gut, mein Lieber. Dann lassen Sie zwei Drehbassen in die Jolle schaffen. Feuern Sie auch in ein paar Minuten, damit die Kerle keinen Verdacht schöpfen. Nach dem Angriff sofortige Rückkehr an Bord. Señor Virgos soll das Unternehmen leiten. Verklaren Sie ihm das. Noch etwas: Den Schußwinkel lassen Sie so, wie er ist. Die andere Überraschung dürfte wesentlich nachhaltiger sein.“
Dieser Bastard, dachte Juan, nachdem der Erste gegangen war und nach Virgos brüllte. Diesmal wird er eine Pleite mit seiner Anschleicherei erleben. Er blieb auf seinem Posten und hörte, wie Virgos mit dem Ersten Offizier zurückkehrte. Der Kapitän verklarte seinen Plan noch mal in allen Einzelheiten und schärfte dem Mann ein, überaus vorsichtig zu sein.
Virgos trommelte eine Handvoll Leute zusammen. Erneut wurde erklärt, was bevorstand.
Als Juan sich noch weiter zurückzog, stolperte er über einen Gegenstand nahe der Nagelbank. Es rumorte leise, aber niemand achtete darauf.
Juan tastete um sich und fand eine Axt. Offenbar hatte sie der Schiffszimmermann liegenlassen.
Er wollte sie gerade zur Seite schieben, als ihm etwas einfiel. Er nahm die Axt an sich und ging zur Backbordseite. Dort befand sich ebenfalls eine Jakobsleiter, und darunter mußte die große Jolle liegen, auch wenn er sie in dieser milchigen Suppe nicht sehen konnte.
Schnell blickte er sich um, enterte dann ab und legte die Axt unter die Ducht in der Jolle. Es war eine große Jolle, die bewegungslos auf dem Wasser lag. Danach enterte er blitzschnell wieder auf.
Er war gerade zum richtigen Zeitpunkt wieder oben. Drei Mann waren inzwischen damit beschäftigt, eine Drehbasse in die Jolle zu bringen.
„Vorsichtig abfieren“, sagte Virgos, der anscheinend Profos oder Decksältester war. „Vier Mann nach unten. Steckt die Drehbasse in die Halterung an Backbord, die zweite an Steuerbord und deckt sie gut gegen den Regen ab. Die erste wird abgefeuert, sobald wir die Bordwand erkennen können, dann ein blitzschneller Schwenk, die zweite abfeuern und augenblicklich verschwinden. Und daß mir alles lautlos vonstatten geht!“
Don Juan fühlte sich angesprochen. Er mischte sich unter die Männer und enterte sofort ab. Drei weitere folgten ihm.
Oben wurde die Drehbasse abgefiert. Sie war mit einer Persenning abgedeckt, damit sie nicht naß wurde.
Es ging alles ziemlich lautlos vor sich. Daher zuckte Juan leicht zusammen, als ein überlautes Bersten erklang. Auf der Steuerbordseite feuerten sie vier Kanonen ab. Der ganze Schiffsrumpf bebte und schwankte.
Keiner schenkte dem anderen Beachtung. Jeder war beschäftigt, und außerdem sahen sie sich gegenseitig ohnehin nur als Schatten.
Die Drehbasse wurde in die Halterung gesteckt. Ein weiterer Mann enterte inzwischen ab.
Don Juan hatte ein lausiges Gefühl in der Magengrube. Wenn jemand entdeckte, daß er nicht zu diesem Haufen gehörte, stand ihm ein unangenehmer Tag bevor, der vielleicht damit enden würde, daß er später an der Rah zappelte. Juan fand den Gedanken nicht gerade erheiternd.
Der Knall war verklungen, und erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er nicht lauter als sonst auch gewesen war. Daraus war zu folgern, daß sie nicht die präparierten Kanonen abgefeuert hatten, sondern erst die anderen, die schon lange abgekühlt waren.
Na, wenn schon! Früher oder später würden sie auch die anderen Stücke abfeuern, und dann war