Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik. Arthur Rosenberg
im Jahre 1938 nach den USA kam, erhielt er bald einen Lehrauftrag für Geschichte am Brooklyn College, doch am 7. Februar 1943 mußte er im Alter von nur 54 Jahren sein arbeitsreiches Leben beenden.
Rosenberg hat für dieses Buch wichtiges und wertvolles Material verwenden können, das entweder inzwischen ganz verschollen oder aber bisher von keinem Historiker wieder verwandt worden ist. Besonders für jene Kapitel, in denen die Geschichte des deutschen Zusammenbruchs im Jahre 1918 und der Vorgänge in den Wintermonaten 1918/19 geschildert wird, stand Rosenberg Material zur Verfügung, das den meisten heute unbekannt ist.
Seit fast zweiundzwanzig Jahren ist in der historischen Literatur die Entwicklung der deutschen Arbeiterbewegung zum Niemandsland geworden, das nur noch selten betreten wird und sogar für viele fast tabu ist. Gerade auf diesem Gebiet aber gibt Rosenberg heute dem vorurteilslosen Leser, der nicht den Schlagworten des Tages erliegen will und sich von den Beeinflussungsversuchen der nationalsozialistischen Zeit freizumachen sucht, Anregungen und Aufschlüsse; er versucht, ihn die Vorgänge von einer Seite her sehen zu lassen, die lange Jahre verschlossen bleiben mußte. Die Darstellung Rosenbergs dürfte auch manche zum Dogma gewordene Auffassungen zur Diskussion stellen und den unvoreingenommenen, nicht unterrichteten Leser mit dem Wesen und Wollen politischer Gestalten bekannt machen, die für viele reine Klischeefiguren geworden sind. Diese Feststellung betrifft besonders Rosa Luxemburg und auch in einem gewissen Sinne Karl Liebknecht.
Seit dem Erscheinen von Rosenbergs Buch sind besonders in den letzten Jahren eine Fülle von Schriften, die die gleiche Zeit behandeln, nicht nur in Deutschland, sondern vor allem auch im Ausland erschienen. Der Herausgeber hat in den Literaturangaben besonders auf im Ausland erschienene Schriften hingewiesen, weil sie keineswegs sämtlich bisher ins Deutsche übertragen wurden. Unser Wissen über viele Vorgänge und Personen ist bereichert worden, zahlreiche Personen, die besonders in der Zeit der Republik von Weimar tätig waren, haben ihre Erinnerungen veröffentlicht, versuchten, ihr Handeln zu rechtfertigen, und haben auch lebhafte Diskussionen hervorgerufen, die zum Teil außerhalb Deutschlands in politischen Emigrationskreisen stattgefunden haben. So steht heute dem Historiker ein weit umfangreicheres Material zur Verfügung als einst Rosenberg, außerdem aber ist man bekanntlich meist klüger, wenn man, wie Bismarck gesagt hat, vom Rathaus kommt. Dennoch darf man behaupten, daß die Grundauffassungen Rosenbergs heute noch große Aufmerksamkeit verdienen, selbst wenn man nicht mit ihnen in allem einverstanden sein sollte. Die Eigenart seiner Betrachtungsweise und die Lebendigkeit seiner Darstellung sind ungewöhnlich.
In der Auffassung und Behandlung der Vorgänge wie der führenden Persönlichkeiten, besonders in den Jahren 1919 bis 1930, weicht Rosenberg weitgehend und auch grundsätzlich von Auffassungen und Bewertungen anderer Historiker ab, die in den letzten Jahren gleichfalls Bücher über diese Periode veröffentlicht haben. In der Auffassung mancher Vorgänge nähert sich Rosenberg den Darstellungen, die Professor Ludwig Bergsträßer in der neuesten Auflage seiner »Geschichte der politischen Parteien in Deutschland« und Professor Georg W. F. Hallgarten in seinen Werken »Imperialismus vor 1914« und »Hitler, Reichswehr und Industrie. Zur Geschichte der Jahre 1918 bis 1933« gegeben haben. In seiner Behandlung der Bismarckzeit unterscheidet sich Rosenberg gleichfalls von den herrschenden und überlieferten wie auch erneut geäußerten Auffassungen der meisten deutschen Historiker und widerspricht auch grundsätzlich den Revisionisten, die heute eine Korrektur der kritischen Auffassungen der Bismarckzeit vorzunehmen suchen. Rosenberg widersetzte sich den Versuchen, Wesen und Wirken Bismarcks mit einer Legende zu umgeben. Er sieht als entscheidendes Jahr in der deutschen Entwicklung des 19. Jahrhunderts nicht 1862, sondern 1849 an, in dem die Versuche einer demokratischen Erneuerung Deutschlands endgültig zum Scheitern verurteilt wurden. In einem gewissen Sinne kann man von Rosenberg als einem Erben der demokratischen und liberalen Geschichtsschreiber der Mitte des vorigen Jahrhunderts sprechen, wie sie besonders von dem fast vergessenen und verkannten Gervinus repräsentiert wurden. Gleichzeitig aber hat Rosenberg auch erneuernd gewirkt, nachdem er durch die Schule Franz Mehrings, des überzeugten Vertreters des historischen Materialismus, gegangen war. Man darf aber nicht vergessen, daß Rosenberg nie ein Doktrinär und Konformist gewesen ist, sondern sich stets ein freies, unabhängiges und vor allem undogmatisches Urteil bewahrte und auch zuweilen eigenwillig, wenn nicht gar eigensinnig und herausfordernd seine Meinungen zum Ausdruck brachte. Er war auch keineswegs von Widersprüchen frei, wie etwa aus seiner Auffassung des Generals Ludendorff hervorgeht, den er für einen genialen Strategen, aber für einen törichten Politiker hielt.
Rosenberg hat sein ganzes Leben dem Studium der Alten Geschichte gewidmet und war Schüler Eduard Meyers, der ihm eine Vorstellung von der Entwicklung historischen Geschehens in großen und langen Zeitläufen übermittelt hatte. Der Althistoriker Rosenberg versuchte, von Vorgängen und handelnden Personen weiten Abstand zu nehmen und bestimmte Linien im Verlaufe einer zeitlichen Entwicklung zu verfolgen, um die Kontinuität feststellen zu können, die sich im Verlaufe von 50 bis 60 Jahren in der Geschichte der politischen deutschen Parteien in ihrem Verhältnis zu den herrschenden Gruppen bemerkbar gemacht hat. Der Althistoriker hatte sich wiederholt mit Verfassungsfragen im alten Italien beschäftigt, und so lag es nahe, daß er auch in der deutschen Entwicklung auf das Verhältnis der Parteien und Regierenden zu Verfassungsfragen besonderen Wert legte. Er ließ auch nie die Zusammenhänge zwischen den deutschen Vorgängen und der gesamteuropäischen Entwicklung aus den Augen und versuchte, Deutschland nicht isoliert, sondern als einen Teil Europas zu sehen, auch wenn er nicht immer ein gewisses Vorurteil, besonders gegenüber den Westmächten in den ersten Nachkriegsjahren, zu unterdrücken vermochte. Dabei wird man zuweilen, ebenso wie bei der Beurteilung deutscher Persönlichkeiten, beobachten, daß Urteile über manche Personen entweder zu hart oder aber auch zu günstig ausgefallen sind. Ein politisch reifer Leser, der die Bewertung anderer gelten läßt und im Meinungsaustausch die notwendige Voraussetzung für wahre Erkenntnis sieht, wird solche Urteile als Anregungen gebührend würdigen und auch zum Anlaß nehmen, seine eigene Meinung zu überprüfen.
Man muß sich auch stets bewußt sein, daß Rosenberg selbst eine Zeitlang im politischen Tageskampf gestanden hat, nie ohne Auseinandersetzungen leben konnte, eine ungewöhnlich einfallsreiche, auch schillernde, unruhige Persönlichkeit gewesen ist, die stets vom polemischen Geist beseelt war und sich in Widersprüchen gefiel. Gerade diese Eigenschaften aber machten die Bücher Rosenbergs besonders anziehend, farbig und in ihrer Art ungewöhnlich, so daß sie Anlaß zu fruchtbaren Aussprachen über jene Zeit werden können und müßten, die der Machtergreifung Hitlers vorausging.
Eine jüngere Generation, der die Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland und besonders auch das Wesen der Republik von Weimar entweder fremd geblieben ist oder aber nur in entstellter Form dargeboten wurde, wird aus diesem Buch viel erfahren und wohl Nutzanwendungen ziehen können. Rosenberg selbst hat sich nach seinem Rückzug aus dem öffentlichen politischen Leben als Nonkonformist ein unabhängiges Urteil bewahren können und entging auch der Gefahr, ins andere Extrem zu verfallen. Sein historisches Denken, seine wissenschaftliche Schulung und seine Aufrichtigkeit bewahrten ihn vor der Gefahr, sich verblenden zu lassen, er ist weder ein Renegat noch ein Teufelsbeschwörer geworden, denn vor solchen Anfällen retteten ihn sein strenger, scharfer analytischer Verstand, seine Kenntnis der Geschichte und das Verlangen, Ereignisse im großen Rahmen geschichtlicher Entwicklung zu sehen, wie er es von seinem Lehrer und Meister Eduard Meyer gelernt hatte. Er war kein Pamphletist, sondern ein Geschichtsschreiber, der sich zwar selber nie verleugnete, aber stets um die Ermittlung historischer Wahrheit bemüht war, ohne je zu vergessen, daß der Mensch irren kann.
Angaben über die seit dem Erscheinen dieses Werkes veröffentlichten Arbeiten findet der Leser in den folgenden zwei Werken: Ludwig Bergsträßer »Geschichte der politischen Parteien in Deutschland« und Peter Rassow »Deutsche Geschichte im Überblick, ein Handbuch«. Bergsträßer zitiert auch die jüngst erschienene Literatur, die sich besonders mit der SPD und der KPD beschäftigt. Hier sind nicht nur die Lebensbeschreibungen führender Sozialdemokraten, sondern auch die Werke von Paul Fröhlich und Ruth Fischer zu nennen; Ruth Fischer bringt auch zahlreiche wichtige Hinweise auf Publikationen. Ferner wird man Literaturangaben im Buche A. Joseph Berlaus »The German Social Democratic Party 1914–1921« finden, Wirken und Persönlichkeit Eduard Bernsteins ist von Peter Gay in seinem inzwischen deutsch erschienenen Buche »The Dilemma of Democratic Socialism« behandelt worden. Über die Beziehungen zur