Uriel. Tanya Carpenter

Uriel - Tanya Carpenter


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Nacht von Gilles erfahren hatte, aber das würde im Moment nichts ändern und Kyle womöglich auch noch warnen.

      »Die Nephilim sind weg, das wollte ich dir eigentlich nur sagen. Logans Leute haben sie eben abgeholt. Du kannst also wieder runterkommen.«

      Mit einem Seufzer erhob er sich vom Bett und ging an Kyle vorbei aus dem Zimmer. Man hätte fast den Eindruck gewinnen können, er versuchte, vor ihm zu fliehen und ganz abwegig war diese Überlegung nicht. Bedauerlicherweise waren solche Versuche völlig sinnlos, denn Kyle benahm sich seit ihrer Rückkehr mit Vorliebe wie ein Guhl – wie ein wandelndes Gewissen, das sich in Prouds Nacken festbeißen und ihn quälen wollte. War das Kalkül?

      Die Treppenstufen hinabzuschreiten fühlte sich für Proud an, als läge Blei in seinen Gliedern. Kyle folgte ihm langsam. Sie teilten dieselbe Schwermut, auch wenn dies die Sache keineswegs besser machte.

      Gilles hantierte schon wieder in der Küche und bereitete die nächste Mahlzeit vor. Sehr gut. Er brauchte ein verspätetes Frühstück oder vorgezogenes Mittagessen. Ganz egal. Und Kaffee! Viel Kaffee! Sonst würde er diesen Tag nicht überstehen.

      Im Kaminzimmer saßen Lloyd und Logan beisammen und redeten über die neuen Nephilim, die nun sicher in ihren Verstecken untergebracht waren, und über alles andere, was seit ihrer Rückkehr geschehen war.

      Die Gegenwart der Uriel hier in der Stadt, die wie das Auge eines Hurrican über ihnen lauerte. Die verschwundenen Frauen, deren wahre Bedeutung er lieber nicht herausgefunden hätte. Zumal er sich damit auseinandersetzen musste, wie viel er den anderen erzählen wollte. Die toten Grigori-Oberhäupter und der Aufruhr innerhalb der Familien. Und zuletzt die Kleine, die bei Beth in Genf gewesen und deren Spur sie nicht mehr hatten finden können. Es schnürte Proud das Herz zusammen, wenn er an dieses Kind dachte und was es womöglich gerade durchmachte. Hoffentlich war sie entkommen und hatte irgendwo Zuflucht gefunden.

      Kyle hatte sie erkannt, ihr Name war Heather. Er war dem Mädchen in seiner Zeit als Schnitter begegnet. Im selben Waisenhaus, in dem Beth großgeworden war. Das konnte kein Zufall sein. Proud versuchte, sich ihr Gesicht in Erinnerung zu rufen, aber er hatte in jener Nacht keine Zeit dafür gehabt, sich mit diesem Kind zu befassen. Zu groß war seine Sorge um Beth gewesen. Dennoch genügte das wenige, was er gesehen hatte, um diese bohrende Frage in ihm zu schüren, die er nicht an die Oberfläche kommen lassen wollte, weil damit alles nur noch schlimmer werden würde.

      Kesha leistete Lloyd und Logan Gesellschaft. Alle drei machten ein ernstes Gesicht. Auch sie sorgten sich um Beth – mit jedem Tag, an dem sie nicht erwachte, ein bisschen mehr. Über ihnen allen schwebte eine düstere Stimmung, ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit und der Verzweiflung. Ihm ging es dabei nur um Beth allein, den anderen auch um die Prophezeiung. Sie waren sich einig gewesen, dass Beth unendlich wichtig dafür war, doch wie die Dinge standen, war sie für die Erfüllung ihrer ursprünglichen Aufgabe verloren – egal ob sie lebte oder starb. Sie war … keine Nephilim mehr. Aber da war eine Gewissheit in Prouds Innerem, die ihm sagte, dass genau das ebenfalls Teil des Plans gewesen war. Vielleicht sogar notwendig. Er wusste nicht, ob ihn das beruhigen oder sorgen sollte, weil er eine Ahnung hatte, um wessen Plan es sich dabei wohl handeln mochte. Wieder dachte er an den Eintrag über Deborah Lornham, den er gestern gesehen hatte. Seine Kehle wurde eng.

      Er räusperte sich, ging zur Kaffeemaschine und goss sich eine große Tasse voll ein. Danach ließ er sich erschöpft auf einen der freien Stühle fallen. Kyle, der ihm auf den Fuß folgte, tigerte stattdessen unruhig durch den Raum. Er fand keine Ruhe mehr, seit sie zurückgekehrt waren, und wie Lloyd vermutete, lag dies nicht allein an Beth’ Zustand, sondern auch an den Entzugserscheinungen. Das Elixier, das Lillith ihnen gegeben hatte, wirkte nur bedingt. Es klärte seinen Verstand, es gab ihm die Kontrolle zurück, doch die körperlichen Leiden und die nervliche Anspannung konnte es nicht heilen. Im Gegenteil, Proud hatte das Gefühl, dass es wieder schlimmer wurde. Er hatte Angst, dass sie Kyle verloren, und vor den Folgen, die das mit sich brachte. Schließlich kannte sein Vetter all ihre Schwachstellen. Wenn dieser Greco es drauf anlegte …

      »Und was tun wir jetzt? Es sind inzwischen fast vier Wochen«, brachte Kyle anklagend hervor. »Wir können sie doch nicht ewig einfach so liegen lassen und hoffen, dass ihr Dornröschenschlaf von selbst vergeht. Ein Kuss hat ja wohl nichts gebracht.«

      Bei seinen letzten Worten funkelte er Proud zornig an. Am liebsten hätte er ihn nicht mehr in Beth’ Nähe gesehen, aber er wusste, dass es nichts gab, was er dagegen unternehmen konnte. Gott, wie war es nur so weit gekommen zwischen ihnen? Ihm lag auf der Zunge, dass er ja einen seiner beiden neuen Uriel-Freunde fragen könnte, schluckte es stattdessen hinunter, nur um im nächsten Moment beinah daran zu ersticken.

      »Wenn es überhaupt noch irgendeine Hoffnung gibt«, fuhr Kyle fort, »dann durch die Uriel und ihre Strigoi. Ich bin sicher, ich könnte …«

      »Nur über meine Leiche«, fuhr Proud ihm grollend in die Parade. Keiner dieser Höllenengel würde die Hand an sein Mädchen legen.

      »Führe mich bloß nicht in Versuchung«, konterte Kyle sofort.

      »Hey, Jungs! Jungs!«, ging Logan dazwischen und hob abwehrend die Hände. Er warf einen Blick zu Kesha, die kaum merklich nickte. »Ich stimme Proud zu, und ich denke, im Grunde deines Herzens tust du es auch, Kyle. Greco und Prue haben sich disqualifiziert. Inzwischen dürftest du erkannt haben, dass ihre Hilfe einen zu hohen Preis hat und dass sie niemals ehrlich und uneigennützig etwas geben. Glaub’ mir, ich weiß genau, wovon ich rede.«

      Kyle presste die Lippen aufeinander, bis nicht mehr als zwei weiße Striche übrig blieben. Er sah es nach der Aktion am Genfer See zweifellos ebenso, und sie waren sich einig gewesen, dass es besser wäre, wenn Greco Beth für tot hielt. Nur an wen sonst sollten sie sich wenden? Magnus kam genauso wenig infrage, ungeachtet dessen, ob er Kyle tatsächlich eine geheime Botschaft geschickt hatte oder nicht. Er hatte sie bisher nicht offen verraten oder übervorteilt, trotzdem traute Proud ihm so wenig wie jedem anderen Uriel auf dieser Welt. Den ominösen Unbekannten, der Beth und das kleine Mädchen aus dem Schweizer Anwesen hatte fortbringen wollen, eingeschlossen. Außerdem hielt sogar Logan nicht viel von Magnus, was für Proud ein Grund mehr war, diesen Uriel nicht noch einmal an Beth heranzulassen. Er hatte in Venedig gleich so ein komisches Gefühl gehabt bei dem Kerl, und sein Instinkt trog ihn selten. Außerdem hatte Whigfield von zwei Seiten derselben Medaille gesprochen. Greco und Magnus? Die zwei schienen sich bis aufs Blut zu hassen, aber vielleicht waren sie auch einfach nur gute Schauspieler und führten sie ganz gezielt in die Irre. Das würde dann sogar zu der ominösen Nachricht an Kyle passen. Fuck, was war das nur für ein Sumpf von Intrigen?

      »Vielleicht«, erhob Logan erneut das Wort, »wäre die Grundidee hinter Kyles Vorschlag aber tatsächlich eine passable Lösung. Wir brauchen keinen Uriel, nur die Strigoi.«

      »Das kommt ja wohl aufs Selbe raus«, maulte Proud und seine Stimme troff vor Zynismus.

      »Nicht unbedingt«, warf Logan ein. »Ich kenne da jemanden, der uns womöglich hilft, ohne dass die Uriel davon erfahren.«

      »Du redest doch nicht schon wieder von Lillith?« Ungläubig hob Proud die Augenbrauen. »Ihr Gegenmittel für Kyle war nicht gerade das, was ich erfolgreich nenne.«

      Logan zuckte die Achseln. »Immerhin ist er hier, nicht wahr, Kyle?«

      Wortlos wandte sich Prouds Cousin um. Er kannte seine Unzulänglichkeit – es musste die Hölle für ihn sein. Genau wie Proud fürchtete er Beth’ Aufwachen ebenso wie er es herbeisehnte, denn es würde die Entscheidung bringen, wer von ihnen an ihre Seite gehörte. Und zu welchem Preis.

      Verdammt, was regst du dich darüber auf. Sie hat dich gewählt, Kumpel. Es war dein Name auf ihren Lippen. Dir galt ihr letzter Blick. Ich bin nur das Arschloch, das die Drecksarbeit macht, damit niemand sonst seine Seele beschmutzen muss.

      Mit funkelndem Blick drehte sich Kyle zu Proud um. »Meine Seele ist weiß Gott nicht mehr rein, du Bastard. Oder glaubst du, der Schnitter ist ohne Folgen geblieben? Also pass auf, was du denkst und was du mir vorwirfst. Du hast ihr schließlich ordentlich den Kopf verdreht, als ich es nicht verhindern konnte.«

      Verdammt,


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