Uriel. Tanya Carpenter

Uriel - Tanya Carpenter


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Leben des Jungen zerrann buchstäblich in seiner Hand. Sein Herz zerplatzte wie ein Ballon und tränkte Rahuls Hemd. Erst im Sterben fiel ihm auf, dass Rajs Sohn praktisch noch ein Kind war. Wieso hatten seine Brüder ihn bloß mitgenommen?

      Der Geruch des Blutes legte sich auf seinen Verstand und dämpfte ihn wie ein schweres Tuch. Sein Körper gierte danach, um die Verletzungen schneller zu heilen, die ihm der Zusammenprall mit der Häuserwand eingebracht hatte, doch er wusste, dieses Blut war verboten. Wenn er es auch nur kostete, verlor er seine Seele und wurde zu einem Monster. Dennoch … es versprach Linderung … und Kraft. Eine Stärkung, die er im Kampf gegen die drei übrigen Grigori womöglich brauchte.

      Rahul schüttelte den Kopf, um die Gedanken loszuwerden. Normalerweise wäre er nicht so anfällig für Grigoriblut. Es war nicht das erste Mal, dass er sie tötete. Der Unterschied lag darin, dass er verletzt war und in den Veränderungen, die mit ihm vonstattengingen, seit er Zeyda erweckt hatte.

      Ihr Aufschrei war es, der ihn wieder zur Besinnung brachte. Seine blutbefleckte Hand schwebte nur Millimeter von seinen Lippen entfernt. Hastig senkte er sie wieder. Die Panik in der Stimme seiner Gefährtin verdrängte seinen Durst ebenso wie sein Mitleid für den jungen Grigori. Er rannte wie von Sinnen los, erreichte den Hinterhof, in den Dev und seine Begleiter die Nephilim getrieben hatten, in letzter Sekunde. Der Grigori-Sohn hatte Zeyda schon an den Handgelenken gefasst und zerrte sie unerbittlich hinter sich her. Als er Rahul entdeckte, stockte er nur kurz, warf einen flüchtigen Blick auf das Blut an seinen Händen und verzog dann die Lippen zu einem zynischen Lächeln.

      »Du kannst es wohl nicht erwarten, wie? Dabei hätte ich mich wirklich noch um dich gekümmert, ich halte meine Versprechen. Ich wollte nur verhindern, dass uns dieses scheue Wild hier entkommt.« Offenbar berührte Dev das Dahinscheiden seines kleinen Bruders kaum.

      Er stieß Zeyda in die Arme seines einen Begleiters und gab dem anderen einen Wink. Gleichzeitig griffen dieser und Dev Rahul an. Er reagierte instinktiv und wehrte die Attacken ab. Die Wucht der Schläge und die Schnelligkeit, mit der sie geführt wurden, machten ihm klar, dass er im Kampf nicht lange bestehen konnte. Pure Verzweiflung verlieh ihm in diesem Moment Kraft. Das und die Verantwortung, die er für Zeyda empfand. Sein Angriff war kopflos, doch vielleicht war es genau das, was ihn so unvorhersehbar für Dev machte. Tatsächlich gelang es Rahul, ihn von den Füßen zu holen und den Schwung zu nutzen, um auch den Bruder mit einem Schlag in den Unterleib auf die Knie zu zwingen. Nichts, was sie nennenswert lange aufhielt, aber Sekundenbruchteile, die ein winziges Fenster der Hoffnung schufen.

      Mit finsterem Blick sprang er auf den dritten Bruder zu, der Zeyda loslassen musste, um den Angriff abzuwehren. Sie ging zu Boden, wodurch Rahul freie Bahn hatte, um blindlings auf seinen Gegner einzuschlagen, so fest er nur konnte. Egal, wohin, Hauptsache, er setzte ihn außer Gefecht. Dass er selbst dabei ebenfalls Treffer einstecken musste, realisierte er kaum.

      In dem einen Moment, wo er alle drei Grigori im Dreck liegen sah, packte er seine Gefährtin und sprang mit ihr zusammen auf das nächstgelegene Häuserdach. Er hob sie auf seine Arme und sprang über die Gassen hinweg, bis er merkte, wie seine Beine allmählich zitterten. Egal, wie weit sie gekommen waren, es war nicht weit genug, aber er musste kurz innehalten, wenn er nicht abstürzen und Zeyda damit gefährden wollte.

      Sofort fielen ihr seine Hände auf, an denen noch immer der Lebenssaft des jüngsten Grigori klebte.

      »Oh, mein Gott! Du blutest!« Sie riss ein Stück von ihrem Sari ab und versuchte, die vermeintliche Blutung zu stillen. Es fiel ihm schwer, sie davon abzuhalten, weil seine Sinne verrückt spielten. Das Grigoriblut machte ihn wahnsinnig. Er konnte die Gier kaum bezwingen. Je mehr seine Erschöpfung zunahm, umso schwerer fiel es ihm, zu widerstehen.

      »Lass! Es ist nicht mein Blut«, wehrte er ab.

      Sie blickte ihm ins Gesicht. Er wusste nicht, ob ihr klar war, was gerade mit ihm geschah. Wie sehr er mit sich selbst kämpfte. Hastig schlang sie die Stoffstreifen um seine Hände, um den Geruch einzudämmen. Es half nicht viel, aber genug, damit er sie ein weiteres Stück von den Grigori fortbringen konnte, die sicher schon wieder ihre Verfolgung aufgenommen hatten.

      Diesmal musste er sie nicht tragen. Sie lief an seiner Seite, und sie lief erstaunlich schnell.

      Rahul versuchte, möglichst viele Haken zu schlagen, um Dev die Verfolgung schwerzumachen. Wann immer er es für vertretbar hielt, kreuzte er die Hauptstraßen, wo sich viele Menschen tummelten. Mit etwas Glück überdeckte das ihre Spur. Schließlich visierte er die schmutzigen Vororte an, denn die Abwässer und Abfälle dort, mochten eine ähnliche Wirkung haben wie Menschenmassen. Eins von beiden würde hoffentlich helfen.

      Keuchend drückten sich Rahul und Zeyda an eine Hauswand und verschnauften kurz. In der dunklen Gasse stank es in der Tat bestialisch, aber das milderte die penetrante Präsenz des Blutes, das den Saristoff bereits durchdrang.

      »Warte!«

      Zeyda riss noch mehr Stoff aus ihrer Kleidung, tränkte ihn in irgendeiner undefinierbaren braunen Pfütze und machte sich dann daran, seine Hände zu säubern.

      Rahul konnte ihr Herz rasen hören, seines schlug nicht minder schnell, obwohl ihn diese Flucht bei Weitem nicht so sehr anstrengte wie sie. Verdammt, das würde niemals gut gehen. Die würden sie auf jeden Fall aufspüren. Ihr Atem – ihr Puls – der Duft ihrer Angst. All das war für die Grigori wie die Fährte für einen Jagdhund. Leicht zu verfolgen. Sie konnten hier nicht bleiben, aber Zeyda war fast am Ende ihrer Kräfte. Sie brauchte eine Pause. Auch wenn sie sich alle Mühe gab, es sich nicht anmerken zu lassen.

      Bewundernd blickte Rahul die Frau an seiner Seite an. Er war selbst noch völlig überfordert mit dem, was vor drei Tagen zwischen ihnen geschehen war, weil er nie damit gerechnet hätte, dass ausgerechnet er zu denen gehören würde, denen es passierte. Für Zeyda hingegen war das alles der Beginn eines Albtraumes, den sie nicht begreifen konnte. Noch nicht. Umso mehr beeindruckte es ihn, dass sie ihm vertraute und keine Fragen stellte. Sie hätte allen Grund, ihn ebenso zu fürchten wie die, die hinter ihnen her waren.

      Rahul hatte ihr bisher nur wenig über das erzählen können, was vor ihnen lag. Darüber, was er war – und was sie war. Was ihre Verfolger von ihr wollten.

      Jeder andere hätte diese unglaubwürdige Geschichte womöglich belächelt. Oder wäre in Panik ausgebrochen. Zeyda nicht – weder das eine noch das andere. Er hatte bisher nicht herausgefunden, warum. Vielleicht kannte sie einiges davon aus Träumen und Visionen. Es hieß, dass die Nephilim solche Gaben besaßen. Unleugbar strahlte aus ihren Augen eine Weisheit, die ihn sprachlos und atemlos zurückließ. Allein deshalb würde er alles tun, was nötig war, um sie zu beschützen. Und koste es sein Leben. Ihr Band zueinander war stark – vom ersten Moment an. War das normal? Warum nur gab es kein Anleitungsbuch für diese Dinge?

      »Sie kommen näher, nicht wahr?« Ihre Stimme bebte leicht. Ihr Blick blieb hingegen fest und klar.

      »Ja«, gestand er ehrlich. »Sie haben unsere Spur noch nicht verloren. Ich weiß im Augenblick auch nicht, wie wir sie abhängen sollen.«

      Sie nickte, warf die beschmutzten Tücher in das stinkende Gewässer und betrachtete seine nun wieder halbwegs sauberen Hände. Entschlossen riss sie noch die blutdurchtränkten Ärmel seines Hemdes von seinen Armen und entsorgte sie auf dieselbe Weise.

      »Ich denke, so wird es gehen.« Sie fasste sein Gesicht mit ihren Händen und sah ihm fest in die Augen. »Wir müssen weiter. Wenn wir hier stehen bleiben, wird es nicht mehr lange dauern, bis sie uns ein weiteres Mal stellen.«

      Er musterte sie eindringlich, dann hob er die Hand und strich ihr liebevoll über das Haar. »Du bist völlig am Ende. Wir können nicht die ganze Nacht hindurch laufen.«

      Sie rang sich ein Lächeln ab. »Es sind doch nur noch drei Stunden bis die Sonne aufgeht. Das schaff ich schon.«

      Er konnte nicht anders, er musste sie in seine Arme ziehen und küssen. Diese wundervolle junge Frau unter der sich gerade der Abgrund zur Hölle öffnete, strahlte mehr Zuversicht aus, als er in seinem ganzen Leben je besessen hatte.

      Ihre


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