Das Orionband. Ute Friederici

Das Orionband - Ute Friederici


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Dekolleté glotzte. Als sie sich eingeschrieben hatte und sich zum Gehen wandte, lächelte sie mich aus hellgrünen Augen an. Ihr Gesicht war damals schon blass und leicht sommersprossig. Dann drehte sie sich noch einmal zu dem älteren Mann um, der bereits mich an den Anmeldetisch bitten wollte. Laut und deutlich und mit rollendem R sagte sie: „Und the next time sprecken Sie bitte mit mich und nickt mit meinen Büsen!“

       Der Mann lief rot an und die Reihe der Wartenden hinter mir wieherte. Ich glaube, ich habe mich gleich in ihre Stimme, ihren leicht quäkenden, walisischen Akzent verliebt.

       „Please wait“, bat ich eure Mutter, damals am Anmeldeschalter der Fachhochschule. Und sie wartete tatsächlich. Wenn ich gewusst hätte, dass ich mit dieser klugen, witzigen Frau mal Kinder haben würde …<

      Irgendwann hielt ich es im Haus nicht mehr aus. Ich musste raus an die Luft.

      Ich schaute kurz bei Mama rein. Sie hatte ein medizinisches Fachbuch aufgeschlagen.

      „Was machst du?“ Ich beugte mich von hinten über ihre Schulter und gab ihr einen Kuss auf die Wange, so dass ihre Lesebrille verrutschte. Sie schreckte zusammen. Ich sah, dass das englische Wort prostata mit Bleistift angestrichen war.

      „Ich hab hier eine medizinische Übersetzung“, antwortete sie fast entschuldigend und setzte die Brille wieder gerade auf die Nase, „möchtest du eine Tasse Tee?“

      Ich schaute auf die Uhr am Computer und musste lächeln: Es war Viertel vor fünf Uhr nachmittags. Meine Mama hielt als brave Britin, nach über zwanzig Jahren in Deutschland, wenn es irgend möglich war, immer noch den Fünf-Uhr-Tee ein. Es gab dann kräftigen schwarzen Tee mit Milch und Zucker oder Honig und dazu mit Vanilleoder Zitronencreme gefüllte Kekse. Ich liebte dieses wunderbare, köstliche Ritual am Nachmittag. Kein Wunder, dass meine Mutter und ich so dick waren, dachte ich. Die Vorliebe für heiße Schokolade teilte ich mit meinem Vater. Der aber war schlank.

      „Du, ich bin bei Sandra! Bis später, ja?“ Lieber keinen Tee und Kekse. Ich wollte doch abnehmen.

      „Ta!“, rief Mama, das walisische Allerweltswort: bis später! Danke! Auf Wiedersehen!

      Vater lag noch immer auf dem Sofa und schnarchte laut.

      Ich war schon fast bei Sandra angelangt, als mir bewusst wurde, dass ich gar keinen Mantel angezogen hatte. Obwohl es richtig kalt war, fror ich überhaupt nicht. Nur meine Hände und Füße spürte ich ein wenig.

      Sandra wohnte in einem dieser Jugendstilhäuser mitten in der Stadt, im obersten Stockwerk. Ich drückte auf den Klingelknopf. Die nahen Kirchturmglocken schlugen fünf Uhr.

      „Gib mir ein Zeichen, Gott“, betete ich. „Wenn Sandra da ist und oben in der Tür steht, wird alles gut mit Papa und Mama.“

      Gott schien Erbarmen zu haben: Der automatische Türdrücker surrte und ich konnte die schwere Eingangstür aufschieben. Wie eine Wildgewordene rannte ich die Stufen hinauf.

      Im dritten Stock konnte ich fast nicht mehr, im vierten wurde mir richtig schlecht, im fünften hatte ich mein Leben aufgegeben und im sechsten stand Simone, Sandras Schwester, in der weit geöffneten Wohnungstür. Nicht Sandra, wie der Deal mit Gott gelautet hatte.

      Mein Herz schlug hart.

      „Ach, du bist’s.“ Ich konnte meine Enttäuschung nicht verbergen.

      „Hei, Tilda!“ Simone wollte mich umarmen. „Was ist los?“ irritiert hielt sie in der Bewegung inne. Rosalie, die Katze, schlich um meine Beine.

      „Ach nichts“, murmelte ich und drückte Simone kurz. Könnte nun trotzdem noch alles gut werden? Als ich auf Sandras kleinem Sofa saß, entschied ich mich für Ja. Schließlich hatte der Deal gelautet: Wenn Sandra da ist und in der Tür steht, wird alles gut. Und nicht, wenn Sandra nicht in der Tür steht, wird’s nicht gut. Es war also noch alles drin.

      Sandra kochte schwarzen Tee mit Wildkirscharoma und tischte noch ein paar gewellte Spekulatiusreste von Weihnachten auf. Das erleichterte mir die Sache mit Diättag Nummer Eins.

      Sandra wollte von mir wissen, wie wir uns an Fasnacht verkleiden wollten. Für mich war Fasnacht noch endlos lange hin. Noch einen ganzen Monat.

      Sie schlug Engel und Teufel vor. Natürlich wollte sie die Teufelin sein. Sie habe einen roten Push-up-BH gesehen. „Total geil“, erzählte sie. Und auf das dazu passende Höschen sei ein winziges Täschchen in Herzform genäht. Total süß. Vielleicht für einen Tampon oder was anderes? Sie grinste verlegen.

      Ich sah mich mit Rauschgoldperücke, weitem Spitzenumhang und am Rücken angehefteten Flügelchen schwerfällig hinter einer miniberockten, sexy Teufelin in rotem Push-up-BH und Herztaschenhöschen durch die Fasnacht hechten.

      Eigentlich stand mir die Teufelin zu. Schließlich hatte ich mir die Haare rot gefärbt und nicht sie! Ich merkte, wie ich zunehmend lustloser wurde bei dieser Unterhaltung. Meine Gedanken waren woanders. Sandra schien dies zu spüren.

      „Und dein Vater“, fragte sie schließlich, „bist du in der Sache mit der Frau weitergekommen?“

      „Sandra, ich hab das Gefühl ich muss irgendetwas tun.“ Ich war froh, endlich über das reden zu können, was mich wirklich beschäftigte.

      Ich erzählte Sandra, dass meine Mutter vielleicht schon was ahnte.

      „Sie tut mir echt leid“, sagte ich, „sie ist so still. Dann heult sie und dann tut sie wieder so, als sei alles happylovey-dovey.“

      „Happy-was?“

      „Happy-lovey-dovey! Das ist so ein Ausdruck wie Friede-Freude-Eierkuchen, aber mehr auf die Liebe bezogen.“ Ich machte eine Geste als spielte ich in einem kleinen, aber feinen Restaurant einem verliebten Paar mit der Geige ein schmalziges Ständchen. Ich versuchte, einen hingebungsvollen Gesichtsausdruck hinzukriegen.

      „Hast du Blähungen?“, grinste Sandra.

      Ich warf mit meiner Zigarettenschachtel nach ihr. Geschickt fing sie sie auf.

      „Ich hab eine Idee!“, schrie sie und sprang auf. „Ich finde, wir sollten uns jetzt mal um deinen Papa und seine Gespielin kümmern.“

      „Sandra!“ Dass Sandra so respektlos sein konnte!

      „Wir beschatten ihn“, fuhr Sandra ungerührt fort und fischte sich eine Zigarette aus meiner Schachtel.

      „Das geht doch gar nicht“, warf ich ein. „Wir haben doch gar keine Zeit, wir müssen doch zur Schule!“

      „Na und.“ Sie hielt den Kopf schräg, damit ich ihr Feuer geben konnte. Bei ihr sah das immer so cool aus.

      „Was ist mit deiner Mutter?“, fragte ich besorgt und zögerte mit dem Feuergeben.

      „Die kommt erst um sechs heute Abend. Bis dahin hab ich gut gelüftet.“

      Wir zogen auf ihrer kleinen, geblümten Couch die Beine an und machten es uns gemütlich. Rosalie sprang auf meinen Schoß. Langsam fuhr ich mit den Fingern durch das weiche, schwarz-weiß gefleckte Fell. Rosalie schnurrte.

      „Wir könnten ja auch erst mal im Kleinen anfangen“, spann Sandra die Geschichte weiter, tat einen Zug und hustete heftig. „Du könntest seine Taschen durchchecken und gucken, ob du irgendetwas Verdächtiges findest. Oder seinen Schreibtisch, oder so.“

      In gewisser Weise fand ich diese - eigentlich unangenehme Idee - seltsam prickelnd: Wie eine eifersüchtige Ehefrau im Film würde ich die Taschen des verdächtigen Mannes durchsuchen. Wenn meine Mutter schon so naiv war, wollte wenigstens ich an ihrer Stelle klug handeln. Mama, ich gehöre zur nächsten Frauengeneration, dachte ich, wir lassen uns nichts mehr bieten!

       >Deine Mutter hat sich nie etwas bieten lassen, weder von mir noch von anderen Männern.<

      Ich hatte plötzlich ein Gefühl, als würde mir schwindelig.

      „Aber was meinst du, was ich finden könnte?“, fuhr ich rasch fort.

      „Ich weiß nicht,


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