e-tot. Uwe Post
Tote«, nickt Paul. »Es fühlt sich echt an, mitsamt Pech in der Nachspielzeit.«
»Es ist so echt wie dein Durst.« Leo grinst. »Gehen wir nach dem Duschen noch was trinken?«
Paul lacht. »Klarer Fall!«
Sie kehren schräg gegenüber in die Fußball-Kneipe ein. Die Einrichtung ist pixelig, das Bier billig. Auf einem Bildschirm läuft irgendein Spiel der thailändischen zweiten Liga. Die Sportsfreunde vom FC Südfriedhof setzen auf das Team mit den schöneren Trikots: lila und gelb gestreift.
Inzwischen hat sich sogar Kevin beruhigt. »Hinterher ist ihm das immer total peinlich«, sagt Leo. »Dass er das Tor nicht getroffen hat – und dass er so ein mieser Verlierer ist.«
»Hat trotzdem Spaß gemacht«, entgegnet Paul entspannt. »Wäre gern der Neue in eurem Team. Wenn ihr mich wollt, obwohl ich kein Pogba bin.«
»Klar. Du warst nicht schlecht.«
Paul verzieht das Gesicht. »War mal besser«, meint er.
»Der Ball fliegt anders in simulierter Luft«, behauptet Leo.
»Das erklärt natürlich alles«, grinst Paul. »Oder es liegt an den pixeligen Schuhen.«
»Gute Ausreden erfinden zu können, zeichnet den echten Profi aus«, versetzt Leo und hebt das Glas. »Prost!«
»Prost.«
Beim dritten Bier erzählt Leo, dass er ein 10.000-Jahre-Abo hat.
»Woher hast du die Kohle?«, staunt Paul.
Leo nimmt einen weiteren Schluck. »Ich war pleite«, sagt er dann. »Plötzlich bot mir ein reicher Russe viel Geld für meine Organe. Anscheinend habe ich eine seltene Blutgruppe oder so. Hatte.«
Paul umklammert das Glas, als wäre es sein Leben. »Du hast dich … verkauft? Für … eine Ewigkeit im E-Tod?«
»Jepp«, macht Leo. »Ich hatte echt Glück.«
Tutorial für E-Tod-Newbies: Telefonieren
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NELE1
»Wo ist bloß dieses verdammte …?«
Nele Haerter hastet durch die Wohnung wie eine Kugel im Flipper. Sie sucht allerdings weder Ausgang noch Highscore, sondern ihr Smartphone. Im Schlafzimmer durchwühlt sie Decken und Kissen – erfolglos.
»Hast du es angerufen?«, fragt ihr Mann.
»Ja, verdammt! Es steht auf lautlos.«
»Es gibt eine App, mit der …«
»Tom, Schatzi!«, ruft Nele und läuft ins Bad. Das Handy liegt im Handtuchregal neben dem Klo. »Bingo«, sagt Nele und nimmt sogleich ein Handtuch, um sich den Schweiß abzuwischen. Es herrschen hochsommerliche Temperaturen hier im oberen Rheintal, Mitte April. Nele wirft einen Blick in den Spiegel. Sie überlegt, ob die Zeit reicht, um ihre Haare anders zu bändigen, entscheidet sich jedoch dagegen. Es wird niemanden kümmern.
»Ich wusste, dass du es findest«, sagt Tom.
»Aber wo ist meine verfluchte Handtasche?«
»Die hat keine Telefonnummer, oder?«
»Nein«, sagt Nele und grinst. »Aber sie ist himbeerrosa und kaum zu übersehen. Falls du sie irgendwo siehst …«
»Witzig«, sagt Tom. »Hast du auf der Kommode nachgeschaut?«
Nele verlässt das Bad und steht im Flur. Toms Stimme kommt aus Bad, Wohnküche und Schlafzimmer. Gleichzeitig.
Im Flur klingt das seltsam. Hier steht kein Interface, genauso wenig wie in Stevens Zimmer. Der Junge will seinen Vater nicht ständig um sich haben.
Nele schüttelt den Kopf. Was hat sie gerade nochmal gesucht?
»Vielleicht ist sie runtergefallen«, ruft Tom.
Nele bückt sich, und tatsächlich liegt ihre rosa Handtasche unter der Kommode. »Wenn ich dich nicht hätte«, brummt Nele. Sie geht in die Küche. Nimmt einen Schluck aus der Kaffeetasse, verzieht das Gesicht.
»Der Kaffee ist sicher kalt«, sagt Tom. Seine Stimme kommt aus dem schwarzen, handtellergroßen Lautsprecher, der auf der Anrichte liegt. Nele überlegt. Tom hat keinen Zugriff auf Kameras. Dass sie ihr Gesicht verzogen hat, kann er nicht gesehen haben. Er muss gehört haben, dass sie zur Tasse greift und trinkt. »Respekt«, murmelt Nele. Sie kippt den grässlichen Kaffeerest weg und schaut aus dem Fenster. Draußen rollt gerade Schröders rot-gelb gestreifter Mini-Roboter vorbei, der mit Köter Kalle Gassi geht.
In ihrer Hosentasche summt das Handy und erinnert sie an ihren Termin. Sie schreckt hoch, merkt, dass sie die leere Kaffeetasse an sich drückt, stellt sie weg und seufzt. »Jetzt fehlt nur noch …«
»Eine Frisur?«, vermutet Tom.
Nele schüttelt energisch den Kopf. »Steven.«
Sie eilt über den Flur zu Stevens Zimmertür und hämmert mit der Faust dagegen. »Stevie! Ich muss los!«
»Mir doch egal!«, tönt es von innen.
Mit einem Stöhnen drückt Nele die Tür auf. Ihr dreizehnjähriger Sohn sitzt vor einem Game. Natürlich. »Ich muss zum Dienst«, sagt Nele. »Du kommst klar, oder?«
Steven tut so, als hätte er nichts gehört. Auf dem großen Bildschirm vor ihm mäht er gerade mit einer Laserkanone vierarmige olivgrüne Zombies nieder. Zwischen umherfliegenden Gliedmaßen poppen Schriftzüge auf:
Kühl! Episch! Party!
»Du bist ja nicht alleine«, sagt Nele. Sie zögert, dann fügt sie sicherheitshalber hinzu: »Papa ist ja da.«
Steven dreht sich zu Nele um, seine blauen Augen funkeln. »Ist er nicht«, zischt er.
»Doch, er …«
»Mama!«, entfährt es dem Jungen. »Papa ist tot! Die Stimme aus dem Lautsprecher ist eine beschissene Software!«
Nele wendet sich ab. »Wenn irgendwas ist, kann Papa mich anrufen.«
Steven zeigt auf das Smartphone, das auf dem Tisch neben ihm liegt. »Das kann ich selbst, Mama.«
»Denk dran, dass die Osterferien bald vorbei sind«, sagt Nele. »Vielleicht solltest du zwischen zwei Angriffswellen mal in ein paar Bücher schauen.«
Der Junge klammert sich an seinen Gamecontroller. »Ich wäre gerne tot! Dann müsste ich nicht in die Schule oder später mal arbeiten und könnte den ganzen Tag machen, was ich will.«
»Hätte ich früher rund um die Uhr bloß Zombies gekillt, hätte ich sicher nicht Polizistin werden können«, murmelt Nele.
»Ich bin stolz auf euch beide«, ertönt Toms Stimme aus der Wohnküche. Er hat mitgehört, obwohl er nicht im Raum ist. Die Mikrofone an den Interfaces sind ziemlich empfindlich. Nele tritt wieder in den Korridor und nimmt ihre weinrote Jacke vom Haken. »Vielleicht hilft Papa dir ein bisschen bei den Schulsachen«, sagt sie noch. »Bis nachher dann, ich hab euch lieb!«
Statt