Helden und andere Probleme. Jan Philipp Reemtsma

Helden und andere Probleme - Jan Philipp Reemtsma


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leer wird (harmloser der Goldesel), Hauffs »Das kalte Herz«, die Erfindung des Papiergelds durch Mephistopheles im Faust II oder das Treiben des Heathcliff in Emily Brontës Wuthering Heights oder, vielleicht, Alexandre Dumas’ Graf von Monte Christo, dessen Schätze allerdings nur einmal zu etwas Kapitalähnlichem werden, als er ein untergegangenes Schiff nachbauen läßt, um einer ruinierten Reederei wieder auf die Füße zu helfen. – Georg Simmel fragt, was denn Gesellschaft erst zur »Gesellschaft« und somit zum Objekt einer eigenen Wissenschaft gemacht habe, und antwortet: die »praktische Macht, die im neunzehnten Jahrhundert die Massen gegenüber den Interessen des Individuums erlangt« hätten, und die Distanz der Klassen zueinander, die es der höheren, beobachtenden nahegelegt habe, die untere als gesichtslos, eben »Masse« wahrzunehmen,[4] ein politisch-psychologischer Abscheu, der sich zur Methode modelt – ein Gestaltwandel sui generis.

      Wie ist es zu unserer Gesellschaft der Institutionen, des Rechts, der monopolisierten Gewalt gekommen? Seit alters her sind es die Heldengeschichten, die hier die bunte Antwort geben. Einst war Bedrohung und Willkür, der Mensch von unserer Art war zu schwach, sich vor den Bedrohungen zu schützen, aber dafür gab es die Helden. Sie schafften die Bedrohungen aus der Welt, unsere Vorfahren bauten dann Athen oder Rom oder Dodge City.

      Vor den Zeiten irgendwie gefügten Miteinanderlebens steht nicht etwas wie der »Naturzustand«, wie Thomas Hobbes ihn aus didaktischen Gründen imaginiert hat, gleichwohl eine gefährliche Zeit, in der Dörfliches, Familiales, in Ansätzen Urbanes stets von Regellosigkeit bedroht war oder phantasiert wurde, eine Zeit, die in der Literatur in der Heldensage ihre Phantasiegestalt erhält, in der Wirklichkeit … da kann man streiten, sagen wir so: Wenn man das Räuberunwesen nach den Napoleonischen Kriegen nicht mehr durch Vertrauen auf einen »guten« Schinderhannes abzuschaffen trachtet, sondern durch Polizei oder Militär, wenn man in Gotham City alles wieder ins Lot bringen kann, ohne auf Batman zurückzugreifen, dann sind wir dort sicher angekommen, was wir »Moderne« nennen.

      Sprechen wir also von der phantastischen Zeit der Helden, die uns das schufen, was wir ohne sie in Gang halten müssen – Euripides blickt darauf in seinem »Wahnsinn des Herakles« zurück: Herakles, so meinen sein (irdischer) Vater Amphitryon, seine Frau Megara und seine drei kleinen Söhne, sei von seiner letzten Aufgabe, den Kerberos aus dem Hades zu holen, nicht wiedergekehrt. Der Chor blickt am bereiteten Grab darauf zurück, was einem Gemeinwesen ein Held bedeutet hat:

      Zeus’ nemeischen Hain

      Befreit er vom Löwen,

      Legt sich das Fell um die Schultern,

      Drückt sein jugendlich Haupt mit dem blutigen Rachen.

      So sind die Herakles-Statuen, die wir kennen; Euripides ruft das allen geläufige Bild auf.

      Wildem Kentaurenvolk,

      Brut, die in Schluchten haust,

      Brachte gefiederter Pfeil,

      Mordender Bogen den Tod.

      […]

      Nahe an Pelions Hang,

      Nah seiner Zwingburg,

      Tötet sein Pfeil den Kyknos,

      Der die Wandrer erschlug am Flusse Anauros.

      […]

      Er stieg in die Schlüfte des Meeresfürsten,

      Brachte den Schiffern die Frieden der Fahrten.

      […]

      Reiterhorden der Amazonen

      Jagte er auf in den stromreichen Steppen.[5]

      Wilde Tiere, Monstren, Wegelagerer, Raubritter und kriegerische Horden von irgendwoher – das muß besiegt, das muß ab- und aus der Welt geschafft werden, damit die Zivilisation der Dörfer und Städte herrsche, die dann, wenn möglich geregelt, Krieg gegeneinander führen können. Für den braucht’s keine Helden, vielleicht aber Heldengeschichten – wir kommen noch darauf. Die griechischen Sagen haben noch andere »Zivilisationshelden«, also solche, die das Feld bereiten für ein Zusammenleben, in dem man sie nicht mehr braucht: Theseus, der den Wegelagerer Prokrustes tötet, dann den Minotauros überlistet, Perseus, der die Medusa und den Meerdrachen schlägt. In der traditionellerweise »germanisch« genannten nordeuropäischen Heldensage ist es Thor, der besonders menschennahe Gott, der sich dem Kampf gegen die Riesen verschrieben hat, Siegfried tötet einen Drachen, Dietrich Riesen und Wegelagerer – es ist dasselbe Muster.

      Interessant, daß Dietrich, unbestritten der größte der, wie man so sagt, »deutschen« Helden, als König eine ambivalente Gestalt ist; er ist unbeherrscht, seine »Gesellen« wechseln zuweilen den Herrn, politisch ist er nicht erfolgreich, lange Zeit muß er im Exil bei den Hunnen verbringen, am Ende mißlingt ihm die Gründung einer Dynastie (oder sagen wir bürgerlich: die Gründung einer Familie), und er ist allein. Vor dem Tod stöbert er noch einen ebenfalls überständigen Riesen auf, tötet ihn, aber die Zeiten der Helden sind vorbei. Und wenn ihre Zeiten vorbei sind, haben sie auch keinen Ort mehr.

      Zwar wird Theseus König von Athen, aber auch er scheitert an dem Versuch, aus dem Status des Helden in den eines normalen Staatsoberhaupts zu wechseln; als er sich dann auf die väterlichen Güter zurückziehen will, gehören die längst einem andern, und er wird vom neuen Besitzer umgebracht. Das Ende des Herakles kennen wir in manchen Varianten. Euripides gestaltet es so: Nachdem er wider Erwarten heil aus dem Hades zurückgekehrt ist, überfällt ihn der Wahnsinn, er tötet Frau und Kinder, ein ans Töten Gewöhnter kann nicht ablassen.

      Mit den Helden ist nichts anzufangen, wenn ihre Arbeit getan ist. Schlimmer: Sie können mit sich nichts anfangen. Am besten, sie kommen irgendwie um, bevor sie Schaden stiften und das in Gefahr bringen, was sich dank ihrer Taten in leidlicher Stabilität als durch Recht und Institutionen gefügtes Gemeinwesen etabliert hat. – Heldengeschichten sind zwar das, woran wir immer zuerst denken, die großen Kämpfe und strahlenden Siege, aber auch die Folgegeschichten gehören dazu, wo es keinen rechten Ort mehr für sie gibt – im schlimmsten Fall müssen sie erschlagen werden, damit das Leben – spitzen wir es zu: das zivile Leben, das erst als Folge ihrer Taten sich gefügt hat – weitergehen kann.

      *

      Man hat das Film-Genre des »Western« oft als eine moderne Neuerzählung der alten Heldengeschichten bezeichnet. Das ist nicht falsch; vor allem finden wir immer wieder den prekären Status des Helden. Der berühmteste Western High Noon beginnt mit – einer Hochzeit und den Vorbereitungen einer Hochzeitsreise. Der Sheriff (Gary Cooper) zieht sich mit Frau (Grace Kelly) in sein Privatleben zurück. Aber die Nachricht trifft ein, daß eine Verbrecherbande, deren Chef er einst ins Gefängnis gebracht hat, sich an ihm, vor allem: in »seiner« Stadt rächen will. Während der Kutschfahrt wird ihm klar, daß er seine Stadt nicht im Stich lassen kann, und kehrt um. Übrigens ohne mit der neben ihm sitzenden Frau darüber zu sprechen. Wieder angekommen, will er sich den Gangstern stellen (ihr Zug kommt um zwölf Uhr mittag an) und sucht nach Unterstützung. Nun ist er als Sheriff zuständig – er repräsentiert das Monopol auf die Gewalt –, aber er ist allein, der Sheriff ist als Einzelperson fast mehr Symbol der monopolisierten Gewalt als ihre reale Verkörperung. Er kann zwar Deputies ernennen, also gewissermaßen das Gewaltmonopol aufrüsten. rekrutieren kann er sie aber nicht, er ist auf Freiwillige angewiesen. Die findet er nicht. So hat er nur sich und seinen Revolver. Wir haben also die Situation, daß die Sicherheit der Stadt auf etwas angewiesen ist, das sie nicht nur nicht garantieren kann, sondern auch nicht will. Die Weigerung der Bürger, die gemeinsame Sache zu der eigenen zu machen, wirft die Stadt in den vorzivilisatorischen Stand zurück, in dem es Helden braucht. Jedoch so einfach ist das nicht. Der Bürger muß den Helden ja nicht spielen, für seinen Schutz hat er den Sheriff, und zum Deputy muß er sich eben nicht ernennen lassen. Der Bürger hat das Recht und Privileg, kein Held zu sein. Er darf auch ein Feigling sein. Wenn … ja, wenn es denn klar wäre, was da los ist, in welcher Zone der Gewalt und der Befriedung sich die Stadt befindet. Die Institution des Sheriffs (dieser Art) ist ja ein Notbehelf; sie markiert den Schritt hin zu einem ordentlich institutionalisierten Gewaltmonopol (mit ihm als Chef eines noch so kleinen Polizeiteams).


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