Sterben und leben lernen. Elisabeth Kubler-Ross

Sterben und leben lernen - Elisabeth Kubler-Ross


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symbolische Sprache sprechen können. Ob Sie diese verstehen, hängt von Ihnen ab.

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      Die symbolische Sprache ist ähnlich den Gleichnissen der Bibel. Da sagt man etwas »durch die Blume«. Und die, die bereit sind zu hören, hören das. Und die, die nicht bereit sind, werden es nicht hören. Das ist wie ein Prüfen seitens eines Sterbenden, der diese Sprache gebraucht, um zu schauen, ob Sie ehrlich sind oder ob Ihre eigenen Ängste Sie blockieren. Das ist fast ausschließlich die Sprache von sterbenden Kindern. Sie wissen, dass Erwachsene sich nicht wohlfühlen, wenn sie über das Sterben sprechen. Die Kinder sind aber alt und weise, wenn sie viele Jahre gelitten haben, etwa an Leukämie oder einem Hirntumor. Diese sprechen dann eine symbolische Sprache. Und ich glaube, das ist etwas, was man Seelsorgern, Ärzten und Krankenschwestern richtig lehren sollte. Aber sie können das nie richtig lernen, solange sie selbst durch ihre eigenen Ängste blockiert sind. Und deshalb benötigt man irgendeinen Ort, wo helfende Menschen selbst Hilfe bekommen können.

       Ich würde hier gern noch etwas genauer ins Detail einsteigen. Sie haben eben den Ausdruck »geistiger Quadrant« gebraucht. Und wenn man vom Quadranten spricht, dann denkt man, es müssen noch drei andere dazukommen. Können Sie das ein wenig erklären?

      Wir sagen immer, die Menschen bestehen eigentlich aus vier Quadranten. Es ist wie ein Kreis mit vier großen Kuchenstücken. Das erste Kuchenstück ist der körperliche Quadrant, das zweite der emotionale, also die Gefühle, der Trieb; das dritte ist der Intellekt, und das vierte ist der geistige, der intuitive Quadrant. Wenn man bei der Sterbehilfe wirklich helfen will und die eigenen Quadranten sind in Harmonie – das heißt, dass man selbst sehr wenige unerledigte Geschäfte hat –, wird man immer den schwerkranken Sterbenden zuerst im körperlichen Quadranten helfen, das heißt, sie von ihren Schmerzen befreien, bei Bewusstsein halten, wenn menschenmöglich, und ihnen die Möglichkeit geben, sich auszudrücken. Das gilt auch für Leute mit neurologischen Krankheiten, die zum Beispiel gelähmt sind und nicht mehr sprechen können. Denen fertigt man dann eine Sprachtafel an, sodass sie sich verständigen können.

      Es ist immer Priorität Nummer 1, den körperlichen Quadranten gut zu pflegen, das heißt auch, dass man die Sterbenden mit oralen Medikamenten schmerzfrei hält, nicht mit Spritzen, weil sie sonst zwar schmerzfrei sind, aber nicht mehr klar denken können. Wenn sie also klar denken können und schmerzfrei sind und es einfach körperlich so bequem haben, wie es menschenmöglich ist, dann erst arbeitet man am emotionellen Quadranten. Und dann hören Sie, was die Kranken Ihnen sagen. Dann hören Sie, wenn jemand sich mal ausweinen muss. Und wenn Sie selbst viele Tränen hinuntergeschluckt haben und mit Ihren eigenen Tränen nicht fertig werden, können Sie es eben nicht ertragen. Aber Sie können auch dem Menschen helfen, einfach mal seine Tränen rauszulassen. Dann haben Sie nicht das Bedürfnis zu sagen: »Du musst nicht weinen. Es wird schon alles gut.« Es wird eben nicht alles gut.

      Das heißt, eine solche Hilfe schließt den Schmerz auf beiden Seiten nicht aus.

      Nein, im Gegenteil. Sie haben ganz viel Verständnis für den Schmerz des Mitmenschen. Aber der Schmerz der Mitmenschen tut Ihnen nicht weh, weil Sie keine unerledigten Geschäfte mehr haben. Sie können ja nur Ihre eigenen Tränen weinen. Die Leute sagen zwar: »Ich weine für ihn«. Aber das stimmt nicht. Man weint nicht für andere. Man weint seine eigenen Tränen. Junge Krankenschwestern weinen ja sehr, sehr viel. Denen muss man helfen, ihre unerledigten Tränen herauszulassen, und dann werden wundervolle Schwestern aus ihnen, die nicht mitweinen müssen, wenn ein Kranker mal weint.

       Wenn Sie sagen, es sind immer die eigenen Tränen, die man weint, heißt das, dass man sich selber in einen Zustand bringen kann, in dem man da sein kann, helfen kann, ohne vom Schmerz des Vorgangs überwältigt zu werden?

      Ja, das ist der ganze Zweck dieser Ausbildung: dass man seine eigenen Tränen weint und seine eigene Wut rauslässt, dass man wirklich ohne unerledigte Geschäfte ist. Erst dann sind Sie bereit für solche Sterbehilfe.

       Sie haben jetzt oft das Wort ›unerledigtes Geschäft‹, gebraucht. Können Sie erläutern, was damit gemeint ist, wenn man es projiziert auf ein bestimmtes Leben?

      Wenn man Kinder so erziehen würde, dass sie alle ihre natürlichen Emotionen rauslassen könnten, ohne dass es zu einem Riesenvulkan oder Riesenberg käme, dann hätten sie keine Probleme im Leben. Sie hätten auch keine Angst vor dem Leben und vor dem Sterben. Aber wir erziehen Kinder so, dass man nicht weinen darf. Wenn ein Kind großgezogen wird mit den Worten: »Wenn du nicht aufhörst zu heulen, geb’ ich dir was zu weinen«, schreckt das die Kinder ab, und sie werden zu einem Topf ungeweinter Tränen. Dann gehen sie ins Kino und weinen, gehen ins Krankenzimmer und weinen. Und dann kommt auch die Scham dazu, dass ein erwachsener Mensch, speziell ein Mann, nicht weinen sollte. Die Jungen haben es in dieser Beziehung viel schwieriger als die Mädchen. Oder wenn ein Kind mal »nein« sagt, weil es einfach seine eigene innere Autorität gebrauchen will, jedoch die Mutter entgegnet: »Du bist ein böser Bub.« Immer, wenn er »nein« sagen will, sagt man, er sei bös. Dann identifiziert man Neinsagen mit böse sein. Und das gibt dann so Weichlinge, die immer »ja« sagen, aber mit innerem Hass groß werden.

      Das sind die Leute, von denen ich sage, die haben einen Hitler in sich. Die müssen es einfach rauslassen, zu ihrer eigenen inneren Autorität Zutrauen haben. Dann kommen auch die Selbstliebe und das Selbstvertrauen. Aber wenn man nie »nein« sagen darf als Kind und eine Ohrfeige bekommt oder einen Klaps auf den Hintern oder sogar mit der Peitsche oder dem Gürtel – das gibt es ja noch oft in Europa, dass Kinder derart geschlagen werden –, dann können sich solche Kinder nicht natürlich entfalten. Und später im Leben können sie auch nie »nein« sagen.

      Das dritte und vielleicht größte Problem ist, dass sehr viele Kinder mit den Worten großgezogen werden: »Ich hab’ dich lieb, wenn du Schulaufgaben machst«, »Ich hab’ dich lieb, wenn du gute Noten mit nach Hause bringst«, »Ich hätte dich ja schon lieb, wenn ich sagen könnte, mein Sohn wäre Doktor.« Diese Kinder werden später Doktor, auch wenn sie viel lieber Schreiner oder Sänger oder sonst was geworden wären. Man lernt, sich zu prostituieren. Man macht dann immer Dinge, um Liebe zu erkaufen. Aber Liebe kann man nicht kaufen. Es gibt Millionen von Menschen auf der Welt, die versuchen, das ganze Leben lang Liebe zu kaufen. Und werden sie nie finden. Die sterben hungrig. Diese Leute sterben alle in Resignation. Und dann kommt vielleicht eine junge Hilfsschwester oder eine junge Krankenschwester, die voller Liebe ist. Jetzt merken die Leute erst, was sie eigentlich im Leben verpasst haben. Aber sie sind immer traurig und wissen nicht, warum sie traurig sind. Und diese Trauer ist viel größer als die einer Mutter, die ein Kind gehabt hat und das Kind verliert. In unserer Gesellschaft ist der Kinderselbstmord enorm verbreitet. Es ist die dritte Todesursache unserer Kinder in den USA im Alter von sechs bis sechzehn Jahren. Wenn die Kinder aber noch eine Großmutter hätten, die sie bedingungslos liebte, könnte man diese Sterberate stark reduzieren. Jeder Mensch muss einmal im Leben bedingungslose Liebe kennenlernen, und die gibt einem dann die Kraft, durch die vielen Windstürme des Lebens zu gehen.

      Das heißt, die Weichen für ein richtiges Leben und Sterben werden in den frühesten Jahren gestellt.

      Ja, bei den meisten Menschen, bis sie sechs Jahre alt sind. Dann hat man alle seine Grundeinstellungen bekommen. Deshalb war es früher so schön, weil damals noch drei, vier Generationen unter einem Dach lebten. Da stand die Mutter an der Tür und sagte: »Wart nur, bis der Papa nach Hause kommt, da kriegst du Schläge«, wenn man irgendwie nicht ideal aus der Schule kam. Aber dann war die Oma da, und die hat dich liebevoll angeschaut und dich stillschweigend in die Arme genommen. Und das hat dir die Kraft gegeben, jetzt auch auf den Vater zu warten und die Prügel zu erhalten – vielleicht vier, fünf Stunden später, wenn einer nicht mehr weiß, warum er geprügelt wird. Heute steckt man die alten Leute in Altersheime, Kranke in Krankenhäuser, und die Kinder sind nach der Schule alleine.

       Haben denn nur die Großeltern die Chance, bedingungslos zu lieben, oder auch die Eltern?

      Nein. Aber für eine Oma ist es viel einfacher. Die Omas haben keine großen Erwartungen mehr,


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