Der Verleger. Nanni Balestrini

Der Verleger - Nanni Balestrini


Скачать книгу
Fuß liegt jetzt auf dem Tisch der Stumpf des rechten Beins endet Mitte des Oberschenkels der andere Teil fehlt er wurde von der Explosion zerfetzt und in alle Winde verstreut der unbekleidete Körper wird nochmals fotografiert der Bart ist schon älter über Monate gewachsen sieht aus wie Pfeffer und Salz die weißen Sengspuren am Bart sind so stellt man fest auf die Hitze der Explosion zurückzuführen

      der Richter hat die Fragen bereits formuliert die die Gerichtsmediziner beantworten sollen der Anwalt der Familie wiederholt seine Forderung Zeitpunkt und Ursache des Todes festzustellen und zu klären ob die durch die Explosion gerissenen klaffenden Wunden einem Lebenden zugefügt wurden oder nicht ob es ältere Spuren vorausgegangener äußerer Einwirkungen gibt die den Tod oder zumindest eine schwere Verletzung zur Folge gehabt haben könnten oder ob sich vielleicht Spuren finden lassen die darauf hindeuten dass die Person mit Drogen oder ähnlichen Substanzen behandelt wurde der Richter hat allen Anträgen des Anwalts stattgegeben

      im Verlauf der Autopsie wird der Anwalt von Zeit zu Zeit selbst intervenieren oder die Gutachter werden es für ihn tun und fordern dass dieses oder jenes kontrolliert werden muss ein bestimmter Schnitt zu setzen oder irgendein Organ zu entfernen und zu den Beweisstücken zu nehmen sei die Vertreter der Familie wenden sich dabei nie direkt an den Sezierenden sondern an den Professor der dann der Aufforderung folgt und sie dem Ausführenden gegenüber wiederholt obwohl die Angelegenheit tragisch ist und die Umstände makaber sind ist die Atmosphäre geprägt von Würde und ausgesuchter Höflichkeit wäre da nicht der Untersuchungsgegenstand gewesen so der Kommentar eines Gutachters nach der Autopsie hätte es die Sitzung wegen der Korrektheit und des von allen Beteiligten gezeigten Respekts verdient im Fernsehen übertragen zu werden so vorbildlich war sie

      dem ersten Schnitt ging die äußere Erkundung des Körpers voraus eine langwierige Untersuchung des zerfetzten Rumpfes Arterie und Vene des Oberschenkels sind schlaff und ohne Blut das Gewebe wird auseinandergezogen Gefäße und Adern werden auf mögliche Partikel untersucht die bei einer Bombenexplosion metallisch sein müssten es fanden sich aber keine solchen Spuren übereinstimmend mit der Tatsache dass es sich worauf übrigens schon die bisherigen Ermittlungen hindeuteten um die Explosion einer Dynamitstange gehandelt hatte deren Hülle nur aus Papier und Kunststoff bestand

      entlang der rechten Körperhälfte finden sich bis hinauf zum Gesicht unterschiedlich starke Verletzungen die linke Körperhälfte ist bis auf die unteren Gliedmaßen die Anzeichen einer Verbrennung zeigen unversehrt eigenartigerweise sind Bauch und Unterleib wie auch die Hände einschließlich der Daumen völlig unverletzt für spätere Analysen werden der oberen Hautschicht Gewebeproben entnommen schon jetzt kann wegen der bleichen Haut und des Zustands der Oberschenkelarterie mit Sicherheit gesagt werden dass der Tod durch Verbluten eingetreten ist

      die folgende Untersuchung mit der Begutachtung des verbliebenen Blutes und des anämischen Zustands aller inneren Organe die ebenfalls recht blass sind wird mit größerer Präzision die Menge des verlorenen Blutes ergeben sicher einige der fünf Liter die normalerweise im menschlichen Körper zirkulieren die Blutung muss einige Minuten angedauert haben vielleicht zehn aber es ist schwierig in dieser Materie Sicherheit zu erlangen es können mehr oder weniger gewesen sein abhängig davon ob das Herz noch schlug oder schon stillstand

      der Tod durch Verbluten unter Mitwirkung der Dynamitexplosion schließt ein erstes Element des Zweifels aus es ist ausgeschlossen dass der Tod bereits Stunden oder gar Tage vor der Explosion eingetreten sein kann damit entbehren um uns recht zu verstehen so fantastische Versionen wie dass der Verleger in Österreich getötet und als Leiche nach Italien geschafft wurde jeder Grundlage die Fragen bezüglich der Blutergüsse und der blutunterlaufenen Stellen am Körper bleiben aber offen wenn sie zustande kamen als der Körper zu Boden stürzte der Mann also in den ersten Sekunden nach der Explosion noch lebte würde das die Hypothese stützen dass das Dynamit explodierte während sich der Verleger einige Meter über dem Boden auf dem Strommast befand

      aber auch die andere Hypothese dass das Opfer vor der Explosion geschlagen wurde und es betäubt oder schon tot war ist noch zulässig wird die vitale Reaktion das heißt der Grad der Blutinfiltration in das Gewebe das die Stöße erhalten hat dies beweisen können? die notwendigen Proben wurden entnommen aber Ergebnisse kann nur die mikroskopische Untersuchung erbringen und sie werden daher erst zu einem späteren Zeitpunkt vorliegen

      auch der Umfang der unverletzt gebliebenen Körperteile lässt zwei einander widersprechende Hypothesen zu hier scheinen erste Hinweise der Autopsie eher für die Mordhypothese zu sprechen in der Tat erscheint es höchst unwahrscheinlich dass Dynamit das in Kniehöhe eines Menschen explodiert der rittlings oder gebückt oder aufrecht auf einem Strommast balanciert einen derart großen Teil des Körpers angefangen beim Unterleib unverletzt lässt ein solches Bild erschiene zumindest auf der Grundlage der der Gerichtsmedizin bekannten Fälle wahrscheinlicher wenn die Explosion über einem flach auf der Erde liegenden Körper erfolgt wäre da eine Explosion stets dazu neigt sich stärker nach oben als seitlich auszubreiten

      in diesem Fall aber hätten es zwei Explosionen sein müssen der Strommast ist in einer Höhe von drei Metern am Verbindungspunkt der horizontalen mit zwei diagonalen Streben stark verbogen worden das Gericht hat deshalb eine Untersuchung des Strommasts angeordnet um zu klären ob es nur eine Explosion gab oder ob nur einmal angenommen mit einem einzigen Auslöser eine Explosion über dem auf der Erde liegenden Mann und gleichzeitig eine weitere am Strommast in drei Meter Höhe ausgelöst wurde was das betrifft brachte der auf der Grundlage des Autopsieergebnisses vom Samstag angeordnete Lokaltermin am Sonntagvormittag eine unerfreuliche Überraschung die Elektrizitätsgesellschaft hatte die beschädigten Verstrebungen am Mast bereits reparieren und neu lackieren lassen der Erste der seine Missbilligung über diese seltene Eile ausdrückte war der Untersuchungsrichter

      immer noch im Rahmen der äußeren Untersuchung des Körpers stellen die Gutachter ein anatomisches Merkmal des Verlegers fest das wenn dies noch nötig gewesen wäre die Richtigkeit der Identifizierung bestätigte ein ebenso signifikantes Merkmal wie ein Fingerabdruck ein besonderes Kennzeichen des Opfers seine zusammengewachsenen Zehen die Feststellung dieser Besonderheit dass das zweite und dritte Knochenglied der beiden Zehen eins sind schließt die äußere Untersuchung ab und die Gutachter können unter der Anleitung des Gerichts bereits den ersten Teil des Abschlussberichts aufsetzen der der Presse übermittelt werden wird für den Laien scheint die Aussage klar zu sein es steht noch aus das eventuelle Vorhandensein von Drogen sowie die exakte zeitliche Abfolge der Verletzungen an Kopf Hirn und Brustkorb festzustellen und ob sie dem Tod vorausgingen oder nicht dem Experten aber verraten diese Worte die alles andere als klare Art der Indizien

      im Übrigen lässt sich festhalten dass dies der ganz normale Ablauf ist die Ärzte definieren den langsamen und geduldigen Prozess der Autopsie als eine beschreibende Kunst man untersucht den Körper und das bedeutet mehr als ihn von innen und außen zu fotografieren man protokolliert jeden Zustand jede Anomalie aber die Bewertung aller Daten die man in der Obduktion gewinnen wird findet erst in einer späteren Phase statt sie besteht in der Abfassung eines Berichts über die noch nicht vorgenommene Obduktion durch die Gerichtsgutachter nach Abschluss aller radiologischen Untersuchungen des Bluts und der toxikologischen Untersuchung des Gewebes diesem Bericht wird das Gegengutachten des Anwalts der Familie beigefügt

      das Gehirn liegt jetzt offen der Gerichtsgutachter hat das Gehirn dem Schädel entnommen das Großhirn mit dem Kleinhirn also die ganze Gehirnmasse aufmerksam hat er die Schädelbasis untersucht um zu überprüfen in welchem Maß und bis zu welcher Tiefe sich die äußerlich festgestellten Prellungen und blutunterlaufenen Stellen im Schädelinnern ausgewirkt haben es ist erwiesen dass sie beträchtliche Auswirkungen hatten man spricht von einem schweren Schädeltrauma doch bleibt bislang noch offen ob diese Gehirnprellung den Tod allein verursacht oder nur dazu beigetragen hat sicher ist aber dass das Trauma nicht mit der Explosion im Zusammenhang steht sondern mit den Stoßeinwirkungen

      auch diesbezüglich gibt es wieder zwei oder noch mehr Alternativen das Opfer könnte sich die Verletzungen beim Sturz vom Mast zugezogen haben oder falls das Opfer am Boden lag könnten sie auch die Folge von Schlägen mit einem stumpfen Gegenstand noch vor Eintritt des Todes gewesen sein und schließlich könnten sie aus dem Wiederaufprall des durch die Explosion in die Luft geschleuderten Körpers auf den Boden resultieren Erörterungen


Скачать книгу