Propaganda. 100 Seiten. Alexandra Bleyer
teil, und er hielt vor dem Lincoln Memorial seine berühmte I-Have-a-Dream-Rede. Die Rassentrennung wurde 1964 durch ein Bürgerrechtsgesetz (Civil Rights Act) für ungültig erklärt; im selben Jahr erhielt King den Friedensnobelpreis. Gewalt hatte er stets eine scharfe Absage erteilt, doch seine Gegner schreckten davor nicht zurück: King fiel am 4. April 1968 einem Attentat zum Opfer.
Auch Martin Luther King versuchte, »durch Kommunikation die Meinung, Attitüden, Verhaltensweisen von Zielgruppen unter politischer Zielsetzung zu beeinflussen«. Das ist der Definition nach Propaganda. War der Bürgerrechtler und Friedensnobelpreisträger folglich ein Propagandist? Darf man das sagen? Zum Glück bezog er selbst dazu Stellung und forderte zur Differenzierung auf: »Für den Normalbürger hat das Wort ›Propaganda‹ einen bösen und hinterhältigen Unterton«, erklärte er 1954 in seiner Predigt Propagandizing Christianity (›Das Christentum verbreiten‹). Jenen, die furchtbare Erfahrungen mit Propaganda in totalitären Staaten gemacht hätten, erscheine sie als etwas notwendigerweise Böses, das verdammt und vermieden werden müsse. »Aber Propaganda muss nicht böse sein. Es gibt edle Zwecke, denen die Propaganda dienen kann.«
Ob sie gut oder böse ist, ergibt sich aus der Zielsetzung: Mit Propaganda kann man Menschen zu Gewalt und Krieg aufrufen oder vom Wert des Friedens überzeugen. Letzteres strebte die österreichische Pazifistin und Schriftstellerin Bertha von Suttner (1843–1914) an. Einer politischen Partei beizutreten, lehnte sie ab:
Solange die Politiker einander befehden, statt vereinigt einem klar erkannten Ziele entgegenzusteuern; solange die zu persönlichen Zwecken angewandte Schlauheit für Staatsweisheit gilt, solange wird von den Volksvertretungen nichts fürs Volk Ersprießliches errungen werden.
Suttner schloss sich stattdessen der Friedensbewegung an und nahm an Friedenskongressen teil; als Rednerin und Autorin warb sie für ihre Ideale und versuchte, über Medien wie Zeitschriften die öffentliche Meinung zu beeinflussen. 1889 erschien ihr zweibändiger Roman Die Waffen nieder! Darin lässt sie die Protagonistin Martha in Ich-Form berührend ihre durch Kriege verursachte Leidensgeschichte erzählen, um anhand ihres Schicksals deren Sinnlosigkeit und Schrecken aufzuzeigen. »Einer Kollegin gestand sie freimütig, ›daß man gerade durch Romane mehr Chancen hat, seine Ideen einzuschmuggeln‹«, schreibt Suttners Biographin Brigitte Hamann. In der Tat wurde Suttners Buch einer der größten Erfolge des 19. Jahrhunderts.
Bertha von Suttner 1906
Zahlreiche verarmte russische Juden flohen in den 1880er Jahren vor Pogromen im Zarenreich nach Westeuropa, was den Antisemitismus u. a. in Wien und Berlin befeuerte. Gemeinsam mit ihrem Mann Arthur engagierte sich Suttner damals im »Verein zur Abwehr des Antisemitismus« und forderte: »Nicht nur die Betroffenen, sondern alle jene, denen das schreiende Unrecht weh tut […], müßten schließlich zu einem lauten Proteste sich aufraffen.« 1905 erhielt sie den Friedensnobelpreis. Bis zu ihrem Tod am 21. Juni 1914 setzte sie sich für den Frieden ein. Den kurz darauf erfolgenden Ausbruch des Ersten Weltkrieges musste sie nicht mehr miterleben.
Mit Propaganda kann man Menschen für die Friedensbewegung gewinnen oder aber zum Kampf mobilisieren. Die Techniken sind dieselben. Wie aber funktioniert Propaganda? Leitet der Propagandist seine Botschaft an die Medien weiter, diese veröffentlichen sie und das Publikum reagiert quasi auf Knopfdruck? Das wäre zu einfach. An Propaganda sind drei Akteursgruppen beteiligt: Sender (Kommunikator), Medien (Vermittler) und Empfänger (Rezipient, Adressat). Die Begriffe Sender und Empfänger beziehen sich auf die Funktion im Kommunikationsprozess; unabhängig vom Geschlecht ist damit eine Person bzw. eine Personengruppe gemeint, die Botschaften entweder sendet oder empfängt.
Als Sender politischer Propaganda können einzelne staatliche oder nichtstaatliche Akteure und Gruppen auftreten. Beispielsweise sind das Politiker und Parteien, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Protestbewegungen und Interessensvertretungen, aber auch extremistische Gruppierungen und Terroristen. Sie alle wollen ihre Botschaften verbreiten und in der Öffentlichkeit für sich bzw. ihre Ziele werben. Parteien wollen im Wahlkampf Stimmen gewinnen, Natur- und Klimaschützer wollen möglichst viele Menschen zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit der Umwelt motivieren.
Propagandisten benötigen Medien als Vermittler, um möglichst viele Empfänger zu erreichen. Neben Zeitungen, Radio, Film, Fernsehen und Internet ist alles geeignet, was eine Botschaft transportieren kann: Siegessäulen und Münzen, Lieder, Kunstwerke, selbst Kinderspielzeug und Videospiele. Über Jahrhunderte dienten Geistliche wie der Landpfarrer den Regierungen als sogenannte »Menschmedien« – sie verkündeten von der Kanzel herab nicht nur das Wort Gottes, sondern auch Mitteilungen der Obrigkeit; in der Gegenwart ist die Rolle von »Hasspredigern« bei der Verbreitung von Propaganda zu erwähnen. Medien sind keine passiven Vermittler, sondern ebenfalls mit Macht ausgestattet; ihren Handlungsspielraum werde ich in einem eigenen Kapitel noch ausleuchten.
Die Gruppe der Empfänger ist die größte, denn sie schließt zugleich die natürlichen Personen aus der Akteursgruppe der Medien wie aus der der Sender mit ein, die immer auch der Propaganda anderer Kommunikatoren ausgesetzt sind. Nur: Wie empfänglich sind Menschen für Propaganda? Im frühen 20. Jahrhundert folgte man in dieser Frage gern der Massentheorie, die den Medien eine starke Wirkung zuschrieb.
Als einer ihrer Begründer gilt Gustave Le Bon (1841–1931), der 1895 die Psychologie der Massen publizierte. Le Bon war der Meinung, dass der Einzelne in einer Gruppe zum Herdentier werde und als solches leichter zu beeinflussen sei. Die Massen würden instinktiv »der Knechtschaft zusteuern«, da sie sich als Herde ohne Hirten nicht zu helfen wüssten, sondern eines Wegweisers bedürften. »Meistens sind die Führer keine Denker, sondern Männer der Tat« mit »wenig Scharfblick […]. Man findet sie namentlich unter den Nervösen, Reizbaren, Halbverrückten, die sich an der Grenze des Irrsinns befinden.«
Der österreichische Psychoanalytiker Sigmund Freud (1856–1939) griff in seiner Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921) die Gedanken Le Bons auf. Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich Propaganda zur Wissenschaft: Man sah in ihr eine Art ›Geheimwaffe‹ zur Steuerung der Massen durch die Eliten, was PR-Experten wie Edward Bernays, ein Neffe Freuds, durchaus begrüßten.
In den frühen 1930er Jahren kam es in den USA zu einer Abkehr von der Massentheorie; die Empfänger wurden nun als mess- bzw. berechenbar und dadurch lenkbar erachtet. Markt- und Meinungsforschung erlebten einen Aufschwung: Man ging daran, Zielgruppen exakt zu erforschen, indem man deren Lebensstile und Bedürfnisse erfasste, um die Propaganda darauf abstimmen zu können. Allerdings zeigte sich, dass Menschen keineswegs wie gewünscht auf Knopfdruck reagierten. Heute ist klar, dass Empfänger keine homogene Masse bilden, sondern aktive Rezipienten sind. Das Publikum besteht aus Individuen mit subjektiven Meinungen, Vorurteilen, Erfahrungen und Lebensumständen sowie hoher kognitiver Autonomie, sprich: Sie haben die Fähigkeit, selbst(ständig) zu denken. Propagandabotschaften rieseln nicht auf unbeschriebene Blätter herab, sondern prallen auf bestehende Ansichten – und manchmal von diesen ab.
Das Bild vom bösen Wolf, der die hilflosen Schafe verführt, ist zu simpel. Vor allem könnte es uns dazu verleiten, dem Sender zu große Macht zuzuschreiben und gleichzeitig den Empfänger aus seiner Mitverantwortung zu entlassen. Denn wenn Propaganda – manchmal mit vernichtenden Folgen – wirkt, sind beide Seiten nicht unschuldig daran.
Von der Propaganda zur PR- und Öffentlichkeitsarbeit
Was ist die Basis der Demokratie? Vertrauen. Wir müssen den von uns gewählten Volksvertretern, der Rechtsstaatlichkeit und den demokratischen Institutionen mit ihren Prozessen vertrauen können. Dabei geht es nicht um blindes und naives Vertrauen, sondern um Vertrauen, das verdient werden muss.
Doch unser Vertrauen wird durch Berichte über Amtsmissbrauch und Korruption, Postenschacher, Wahlmanipulationen und so weiter immer wieder erschüttert. Der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen (*1944) beklagte in seiner Rede vom 21. Mai 2019 das durch