Meine Jahre in Weimar. Henry van de Velde

Meine Jahre in Weimar - Henry van de Velde


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aus orthodoxem preußischem Militärmilieu nach Weimar, einem Zentrum universaler literarischer und künstlerischer Kultur, verpflanzt wurde, zeigte sich bei Hofe und vor der Bevölkerung nur in Uniform. Bei der Tafel führte er die deutsche Sprache ein an Stelle des traditionellen Französisch, auch die Menü-Karten wurden in Deutsch abgefaßt. Die eleganten, phantasievollen, kapriziösen Bezeichnungen für die Speisen, die ausgesuchte Genüsse versprachen, wurden durch pedantische, trockene Worte ersetzt. Ärgerliche Indizien, die einige Freunde Graf Kesslers, die dem Weimarer Hof angehörten, mit Unruhe erfüllten, so daß sie sich fragten, ob ein Bruch mit den großen Epochen der Tradition bevorstehe.

      Auch in Berlin stellte man sich in den Kreisen der Gesellschaft wie auch in den Cafés, in denen Schriftsteller, Künstler, Journalisten verkehrten, die Frage, was in Weimar wohl geschehen würde. Alles wäre zweifellos ohne jede Konsequenz für mich geblieben, wenn sich nicht drei Menschen zusammengetan hätten mit der Absicht, die verantwortlichen Kreise in Weimar an die Bedeutung der Tradition zu erinnern und den jungen Fürsten auf die Möglichkeit hinzuweisen, die Tradition in würdiger Weise fortzusetzen.

      Diese drei Menschen waren Elisabeth Förster-Nietzsche, Graf Werthern, der nach dem Tod seines Vaters das Haupt einer der angesehensten thüringischen Familien geworden war, und als jüngster Harry Graf Kessler. Ihr Gedanke war, eine neue, dritte Epoche weimarischer Kultur in die Wege zu leiten, in deren Mittelpunkt der »neue Stil« stehen sollte, dem ich mich verschrieben hatte. Elisabeth Förster-Nietzsche hatte dem Staatsminister Rothe, Harry Kessler dem Grafen Werthern, dem Schwager des Hofmarschalls General Palézieux, den Plan vorgetragen: die dritte Epoche sollte – in gehöriger Distanz zu den früheren – die Wiederbelebung des Kunsthandwerks wie der industriellen Kunst bringen und den Weg für einen architektonischen Stil und eine Ästhetik unserer Zeit frei machen. Sollte mich, dachte ich, das Schicksal nach Deutschland gerufen haben, um eine Aufgabe zu erfüllen, die für jene, die sie ins Auge gefaßt hatten, ebenso kühn war wie für mich vermessen?

      Der Augenblick war günstig. Eine mächtige Grundwelle hatte das Interesse des deutschen Publikums für die neuen Kunstströmungen erweckt, die seit der Dresdner Ausstellung von 1897 ans Licht getreten waren, und die Künstler aller Kunstzweige sammelten sich unter der neuen Fahne. Die Kunstkritik hielt die Öffentlichkeit in Atem. In Darmstadt hatte der junge hessische Großherzog Ernst Ludwig einer Ausstellung seine hohe Protektion und seine finanzielle Unterstützung geliehen, die auf der »Mathildenhöhe« stattfand. Dort zeigten die vom Großherzog nach Darmstadt berufenen Künstler und Architekten Häuser und Inneneinrichtungen, die nach neuen künstlerischen Prinzipien geschaffen waren. Diese Ausstellung bedeutete nichts weniger als »ein Dokument deutscher Kunst«.

      Es war wichtig, dem Großherzog von Sachsen-Weimar unser Programm zu unterbreiten und ihn zu überzeugen, daß die Folgen unserer Pläne dem Land Thüringen größte Vorteile und seiner Regierung hellen Glanz verschaffen würden.

      Die verschiedenen Heimindustrien des Großherzogtums lagen darnieder, und die wenigen kunstgewerblichen Betriebe, die in einigen Dörfern bestanden, kämpften um ihre Existenz; die in den größeren Orten Jena, Eisenach, Weimar und Apolda waren ohne Führung und ohne jede Aussicht, gegen die besser ausgerüsteten und günstiger gelegenen deutschen Firmen aufzukommen, die sich zur Verführung des kaufkräftigen Publikums der Mitarbeit schöpferischer Künstler versichern konnten.

      Paechter, der von den Weimarer Projekten nichts ahnte, übte einen immer stärkeren Druck auf Hirschwald aus, um die Lösung meines verhängnisvollen Vertrages zu erreichen. Ich mußte unter allen Umständen frei werden, um im Augenblick, in dem die Sondierungen in Weimar zu einem bestimmten Punkt gekommen waren, unbelastet dazustehen. Es kam der Moment, Paechter über die Vorbesprechungen zu orientieren. Ich tat es in einem der von ihm entdeckten kleinen Restaurants, in denen man nach seinem, des Epikureers Urteil besser und gepflegter bedient wurde als in den aufgedonnerten, bekannten Berliner Lokalen. Von diesem Tag an rastete der gute Mann nicht, bis er mir den von Hirschwald unterschriebenen Brief bringen konnte, der die Aufhebung unseres Vertrages bestätigte.

      Im übrigen blieb mir nichts als zu warten. Es gibt Augenblicke im Leben, in denen man sich dem Lauf der Entwicklung überlassen und darauf verzichten muß, ihn zu beschleunigen. Für mich lautete die Frage: Wird mich das Schicksal nach Uccle zurückführen oder wird es mich in Deutschland festhalten?

      Ich mußte nicht lange warten. Harry Kessler ging mit solch zielbewußtem Eifer vor, daß er die Gleichgültigkeit und Vorsicht der Hofleute überwand, die vor jeder Verantwortung zurückschrecken und zu warten pflegen, bis der Souverän, dem sie mehr dienen, als daß sie ihn beraten, ihnen das Wort erteilt.

      Hier jedoch handelte es sich um ein Projekt von größter Bedeutung, dem ein unerfahrener, nur militärisch vorbereiteter Fürst zustimmen sollte: ein neues Beispiel zu geben durch die Pflege einer kunstgewerblichen und architektonischen Kultur, der erfahrungsgemäß Malerei und Bildhauerei folgen, Kunstzweige, denen Großherzog Karl Alexander nur dilettantisches Interesse entgegengebracht hatte.

      Nach verhältnismäßig kurzer Zeit wurde ich offiziell von Staatsminister Rothe und Hofmarschall General Palézieux zu einer Unterredung in einem der großen Hotels am Potsdamer Platz aufgefordert. Es sollte mein Programm besprochen und die Aufgabe umschrieben werden, die ich am Hof des Großherzogs und in Weimar zu erfüllen hatte.

      Elisabeth Förster-Nietzsche hatte den beiden Herren offenbar nur Lobenswertes über mich gesagt; sie war vom Wunsch beseelt, die Atmosphäre der Mittelmäßigkeit zu verscheuchen, die Weimar seit dem Verschwinden Liszts erstickte. Sie träumte von einem »dritten Weimar«, in dessen Zentrum das »Nietzsche-Archiv« stehen sollte, dem sie alle Dokumente aus Nietzsches Leben und die gesamten Einkünfte aus seinen Werken überließ.

      Die beiden Exzellenzen und ich saßen an einem großen Tisch im Salon des von ihnen bestimmten Berliner Hotels in einem Erker. Sie hörten mit gelegentlichen kurzen Unterbrechungen, die nebensächlichen Fragen galten, meine Darlegungen aufmerksam an. Ich sprach vom Kunsthandwerk und den kunstindustriellen Betrieben des Großherzogtums und von den zu erwartenden Aufträgen meiner Privatkundschaft, von der Einrichtung eines »Kunstgewerblichen Seminars«, das heißt von Ateliers, wo die Kunstgewerbler und Fabrikanten neue Modelle sehen und verarbeiten und wo sie Ratschläge zur Verbesserung der eigenen Produkte erhalten konnten, von der Möglichkeit, Werkstattleiter, Modelleure und Zeichner unter meiner Leitung an neuen Modellen arbeiten zu lassen. Ich erklärte, wie unter meiner ständigen Mitarbeit das handwerkliche und ästhetische Niveau der in den zerstreuten armen Dörfern verbreiteten Heimindustrie gehoben werden könnte, was den Absatz der damals in Mißkredit geratenen Erzeugnisse auf den Märkten und Messen zweifellos rasch steigern würde. Im Zusammenhang mit solchen Versuchswerkstätten, die unter dem Protektorat des Großherzogs einzurichten seien, sah ich die erste Etappe der neuen Aufgabe, mit der mich der Fürst betrauen sollte.

      Als zweite Etappe schlug ich die Einrichtung eines »Aufsichtsamtes« zur Kontrolle von Geschmacks- und Produktionsfragen für die Gebiete des Kunsthandwerks und der Kunstindustrie vor. Als Inhaber dieses Postens sollte ich den Großherzog und die Regierung auch in Fragen der bildenden Künste beraten. Für den Augenblick sollten indessen meine Vorschläge weder den Großherzog noch mich zu weiterem verpflichten. Im Geiste sah ich, daß meine Vorschläge erheblich darüber hinausführten: zur vollständigen Erfüllung meiner Mission, in voller Freiheit und Unabhängigkeit alle meine Kräfte auf die Verwirklichung eines »neuen Stils« zu richten.

      Während meines Vortrages glaubte ich, auf der spiegelglatten Oberfläche des Tisches, an dem wir saßen, die Figuren einer imaginären Schachpartie zu sehen, die ich gewinnen wollte. Als ich endete, hoben die beiden Exzellenzen die Augen, die auf mich gerichtet waren, und tauschten einen Blick, der Zustimmung zu bedeuten schien. Minister Rothe brach das Schweigen und gab mir freundlich lächelnd zu verstehen, daß ich bald über die Meinung und eventuelle Verfügungen Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs unterrichtet werden würde. Sie selbst würden dem Fürsten Vortrag halten. Alles hatte sich in einer ungezwungenen Atmosphäre gegenseitiger Achtung und ohne jedes Zeremoniell abgespielt.

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      Maria van de Velde, die Frau Henry van de Veldes


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