Überleben unter Frauen. Harry Gaus

Überleben unter Frauen - Harry Gaus


Скачать книгу
Alwin und Nobbi prahlten offen, wie fest sie meine Lisa drücken würden und gar, wie viele Kinder sie nach der Hochzeit mit ihr haben wollten. Sie alle hatten im Alter von sieben oder acht schon Pläne und Vorstellungen für die ferne Zukunft.

      In dieser Enge zwischen ersehntem Selbstbild und Verlangen nach Lisa musste ich handeln.

      Ich vertraute mich meiner jüngeren Schwester an, die ja in derselben Klasse war, und gestand ihr meinen Kummer, sie hat es bereits geahnt und versprach, einen Weg für mich zu suchen, sie und die Dodscha würden bei Gelegenheit der Lisa einen Hinweis geben. Für eine Unternehmung dieser Art wäre ich viel zu schüchtern gewesen, vielleicht auch unwert, die erhabene Lisa auch nur insgeheim lieben zu dürfen.

      Am nächsten Tag zogen die beiden nachmittags los in das benachbarte Schuldorf, um andere zu treffen und vielleicht zufällig auch Lisa.

      Sie kamen dann bald zurück und strahlten und erzählten, sie hätten Lisa getroffen und diese hätte sich sehr gefreut über diese überraschende Nachricht und sie hätte gleich ein Briefchen geschrieben, das man nun an mich übergäbe.

      In dem Kuvert fand sich ein gefalteter Bogen, in Herzform ausgeschnitten, und als ich das Herz auffaltete, war zu lesen:

      „Lieber Harry, auch ich liebe Dich sehr; ich freue mich, Dich morgen wieder zu sehen“, und darunter, mit einer Blume und einem Schmetterling verziert, ihre Unterschrift: „Deine liebe Lisa“.

      Ich war wie verzaubert, glaubte zu fliegen, was für eine Euphorie!

      Gleichzeitig war nun meine Schwäche dokumentiert, statt auf eine eiserne Faust zu hoffen, wie sie Dick Hanson besaß, war mein schwaches Herz zutage getreten, ein Junge, der von Liebe träumt, ohne recht zu wissen, wozu diese eigentlich gut sei.

      Dick Hansons Faust hatte nach den Schilderungen die Aufgabe, den Gangster genau am Kinn zu treffen, ihn zu Boden zu bringen und dann hinter Gitter, leicht zu verstehen. Was hätte ich mit der geliebten Lisa eigentlich angefangen, stünde sie jetzt vor mir?

      Ich hätte verlegen zu Boden geblickt, gelächelt, nach Worten gesucht, vielleicht ihre Hand genommen.

      Jedenfalls musste ich zuerst dieses Dokument beseitigen; ich versteckte den zerknüllten Brief im hohen Gras einer Wiese, leicht vergraben.

      Am Abend kam meine Mutter und lachte: Arbeitskollegen hatten ihr einen Brief übergeben; man hatte mich beobachtet, dieser Alwin muss es gewesen sein, er hatte den Brief gefunden, dieser ging von Hand zu Hand und schließlich an meine Mutter. Ich erstarrte vor Scham; ich war ertappt, alle wussten nun, wie schwach ich wirklich sei, ein zarter Liebhaber und nicht ein Kerl mit knallhartem Schwinger.

      Und es wurde mir bewusst, dass der Brief eine Fälschung sein müsse, die Unterschrift „Deine liebe Lisa“ war verdächtig, sie hätte sicherlich nicht „liebe“ geschrieben, es musste eine dritte Person gewesen sein; in meinem himmelhohen Schweben war mein Verstand leicht ausgeknipst.

      Lisa war schuldlos, sie wusste von nichts, dennoch richtete sich mein Groll gegen sie und am nächsten Tag nach Schulschluss und auf dem Weg vom Schulhof schubste ich sie heftig und sie fiel auf die Straße, hatte eine kleine Verletzung am Knie und ich sagte: „Dafür!“

      Alle sahen mich ungläubig an! Kann es sein, dass dieser kleine Bengel so mit der allgemein geliebten Lisa umspringt?! Ich verdrückte mich rasch, rannte davon.

      In unserem kleinen Ort gab es viele Scheunen mit Stroh und Heu für die Tiere, und Gebälk, von dem man herabspringen konnte in ein weiches Polster, wir übten Absprünge mit Salto vorwärts und rückwärts und auch die Mädchen waren mutig genug, einen Sprung zu wagen.

      Dodscha, die Briefschreiberin, war immer dabei, oft tollten wir bis zur Dunkelheit herum.

      Einmal, es war bereits halbdunkel, fiel ich beim Springen fast auf sie; doch sie zog mich heran, auf dem Rücken liegend, ich lag auf ihr, ein seltsames Schmerzen und Kribbeln in meiner Brust und in meinem Bauch tauchte auf und nahm zu, als ich meine Arme um sie legte und sie die ihren um mich. Dieses Gefühl war so unglaublich schön und aufregend; sie muss es vorher schon gekannt haben, weshalb sie mich heranzog.

      Ich begann, meine Hüfte auf und ab zu bewegen, oder eigentlich ging es von allein ohne mein Zutun, es steigerte sich, was zu fühlen war, und dazu ihr Duft von Jasmin im Haar und im Gesicht; sie musste wieder von der Mutter stibitzt haben.

      Ich spürte eine starke Liebe zu ihr, plötzlich entstanden, und flüsterte ihr ins Ohr: „Du bist meine Braut, meine Braut.“

      Ich wusste nicht mehr, was die anderen machten, völlig egal, auf Dodschas Bauch war mein neu entdecktes Paradies und ihr Duft schien mich zu betäuben. Wir blieben lange so zusammen, ich räkelte mich auf ihr, tastete ihren Körper, drückte meine Brust gegen ihre, weil die Empfindungen dann stärker aufwogten. Sie schien das alles schon zu kennen, wahrscheinlich hat sie mitgehört, wenn die älteren Jungen im Haus sich über eben dieses Thema unterhielten und ihre Witze rissen. Sie hielt mich fest, wir waren ein Liebespaar.

      Durch ihren Betrug mit dem Brief hatte ich mein Schmachten nach der unerreichbaren Lisa gegen erfüllte Liebe und himmlisches Glück mit der Betrügerin eingetauscht.

      An diesem Abend wartete ich lange vor unserer Haustür, bevor ich hineinging. Dieses seltsame Ding in meiner Hose war groß und hart geworden und wollte einfach nicht zurück in seine gewöhnliche Gestalt. Niemals durfte Mutter bemerken, was vorgefallen war; auch das noch, und meine Reputation wäre endgültig versenkt.

      Nun begann mein Schmachten nach der Dodscha; ich war aber zu schüchtern und auch etwas verschämt, um das Erlebnis zu erwähnen oder gar zu wiederholen; gelegentlich führte das zu Aggressionen gegen meine frühere Geliebte, niemand verstand, warum ich sie manchmal anrempelte und vom Schulpfad schubste, ein Missverständnis, das ohne Klärung blieb. Ich musste ein harter Hund des Wilden Westens bleiben, der nur einmal in einer schwachen Stunde ein Wort der Liebe fand: „meine Braut“, kindlich und ehrlich und nur ein einziges Mal.

      Es war der erste Hauch kommender Stürme, der „Odem der Liebe“, der die Herzen erfüllt, wie Mozart es beschrieb.

      Dodscha und ich lebten schweigend nebeneinander, bis das Schicksal uns endgültig trennte.

      Maria

      Wir lebten in einem ganz kleinen Dörfchen, die meisten Einwohner waren Flüchtlinge des großen Krieges, viele Kinder gab es hier, die meisten Familien kamen aus dem Osten und ohne Väter.

      Viele versprengte Familienmitglieder trafen hier wieder zusammen, es war ein Kommen und Gehen, verschiedene Dialekte konnte man hören, Hochdeutsch sprachen nur wenige, meistens waren es Einheimische, die den rechten Artikel und die vollständige Deklination kannten.

      Dann tauchte eine junge Frau mit einem Jungen auf; ihre Eltern waren bereits zuvor einquartiert, auch ihr Bruder mit seiner Familie. Sie hieß Maria und war auffallend schön; ihr ebenmäßiges Gesicht war leicht gebräunt, ihr dunkles Haar schulterlang, lebendige Augen und ein Mund, den man ansehen musste, wenn sie sprach. Ihre Sprache klang sehr angenehm, viele Vokale sprach sie gedehnt, dazu ein weich rollendes „R“, man musste zuhören, unabhängig davon, ob es wichtig war, was sie sagte oder nicht. Sie war 25 Jahre alt, ich war zehn, für mich ein Ereignis, wenn sie kam und aus ihrem Leben erzählte. Schilderte sie einen Vorgang, so hörte man oft ein gedehntes „und than“, für mich ihr Erkennungszeichen und ich hätte ihren lieblichen Mund küssen mögen, wenn sie eine Zeitfolge so formulierte; doch Zehnjährige können noch nicht küssen, es ist meine heutige Vorstellung.

      Auffallend war ihre schöne Figur, mit sehr schmaler Taille und breiten Hüften und einer atemraubenden Rundung hinten, wenn sie sich setzte; man nennt es heute Lordosen-Stellung und es kann auch für kleine Jungen recht aufregend sein. Fürs Kabarett müssen die Mädchen das üben, Maria war ein Naturtalent für attraktive Körperhaltung.

      Wenn sie ging, gerieten ihre Hüften in eine zauberhafte Schwingung und ihr Rock wippte und schwang mit; ich musste immer hinsehen.

      Später bemerkte ich Unruhe in mir, wenn sie in meine Nähe kam; und es fehlte irgendetwas, wenn sie abwesend war. Diese Nebenwirkung


Скачать книгу