TogetherText. Группа авторов
der Mündlichkeit betont (und nicht selten mit dem Einsatz technischer Medien kombiniert) wird, dann ist diese immer im Austausch mit einer Schriftkultur und deren aktuellen Formen zu denken (die sie in ihrer Transformation durch die sozialen Medien angenommen hat). Der Beitrag von Nikolaus Müller-Schöll in diesem Band schlägt vor, Theaterproduktionen von ihrem jeweiligen Skript her zu denken. Sprechtexte in jedweder Form wären dann innerhalb dieses Skripts in ihrem Verhältnis zum Einsatz der anderen Materialien, Medien und Zeichen zu verorten. Für die TogetherTexte, um die es hier im Genaueren zu tun ist, heißt dies: Bereits im Wechselverhältnis mit den anderen szenischen Elementen, aber auch zwischen den verschiedenen Instanzen, aus deren Wechselverhältnis der Text prozessual entsteht, ist deren Verortung zu suchen. Dies betrifft sowohl die jeweilige Entwicklung wie auch den jeweiligen szenischen Zusammenhang bei einer Aufführung und oft genug auch das Zusammenfallen beider Dimensionen.
III. Zum Status von Autor*innenschaft
Dass seit mindestens 20 Jahren in den szenischen Künsten Produktionen exponentiell zugenommen haben, in denen die Texterzeugung nicht vor Beginn der Produktion, sondern entweder erst während des Probenprozesses (mit der Premiere) oder sogar durch die Öffnung zum Publikum hin erst im Aufführungsereignis selbst abgeschlossen wird, hängt mit verschiedenen Merkmalen aktueller künstlerischer Praxis zusammen, die keinesfalls über einen Kamm zu scheren sind: z. B. mit der (nicht mehr nur literaturtheoretischen, sondern auch praktischen) Neujustierung des Verständnisses von Autor*innenschaft, dem Bedürfnis, traditionelle Hierarchien in der Theaterarbeit aufzulösen, einem fluideren Sprachverständnis und einem erweiterten Begriff des Sozialen. Auf diese heterogenen Entwicklungen, die jeweils in größeren kulturellen Kontexten stehen, werden die folgenden Beiträge immer wieder Bezug nehmen, aber keine übergreifenden Erklärungsmuster anbieten. Vielmehr geht es um vielfältig perspektivierte Annäherungen anhand der jeweiligen Befunde. Gesagt sei aber doch, dass es sich bei der Offenheit des ästhetischen Prozesses im Gegenwartstheater (der formal an die künstlerischen Avantgarden und Neoavantgarden des 20. Jahrhunderts anschließt) auch um die Folge einer Öffnung des Blicks für heterogene gesellschaftliche Blickwinkel und Wirklichkeiten handelt. Mit dem Ende der Nachkriegszeit ab den Neunzigern, den von Globalisierung und Digitalisierungen entfachten Dynamiken wie z. B. der Verstärkung von Migrationsbewegungen und ihrer Wahrnehmung werden die in den szenischen Künsten vertretenen Perspektiven deutlich vielfältiger, intra- und transkultureller, transnationaler und polysexueller. An einem langjährigen Projekt wie dem der transnationalen Hamburger Gruppe Hajusom wird deutlich, wie wenig soziale Intervention und künstlerischer Anspruch einander ausschließen müssen.31 Ein Begriff wie »postmigrantisches Theater« weist darauf hin, dass die scheinbar neuen Perspektiven oftmals Zustände reflektieren, die in der Welt außerhalb der Theater schon lange gang und gäbe sind – nur noch nicht notwendig bei den szenischen Künsten und den von ihnen angesprochenen Gesellschaftssegmenten angekommen.32 Die Beiträge von Julia Prager und Katrin Trüstedt in diesem Band beleuchten die TogetherText-Dimension einiger der prominenten Arbeiten, die am Maxim Gorki Theater entstanden sind, das sich dieser Öffnung für den Normalzustand des Postmigrantischen und anderer oft immer noch marginalisierter Positionen so nachdrücklich verschrieben hat.
Kaum möglich scheint es, einheitliche Perspektiven auf eine sich nicht nur durch das Internet schnell verändernde Welt einzufordern. Die Zukunft bleibt – bestenfalls – offen. Die szenischen Künste öffnen sich und ihre Formen entsprechend, zumindest teilweise. Die TogetherTexte, um die es in diesem Band geht, stehen im Zeichen dieser Transformation. Der Beitrag von Stefan Tigges verweist auf die internationale Vorgeschichte gegenwärtiger Textentwicklungen seit den Sechzigern sowie ihre Weiterführung in der deutschsprachigen Freien Szene und auch im Stadttheater. Der Beitrag von Daniel Ladnar und Esther Pilkington rekonstruiert aus der Performance Art und ihren historischen Kontexten eine kleine Geschichte der Instruktionskunst, in der sprachliche Anweisungen szenisches Handeln des zum Kollaborateur gemachten Publikums generieren. Seit den Achtzigern touren im Zuge der Internationalisierung der Freien Szene und der Etablierung von Festivalstrukturen verstärkt Gruppen, die für die heutige künstlerische Praxis zu Bezugspunkten und Vorbildern geworden sind (wie The Wooster Group und Forced Entertainment).33 In der Gegenwart sind unterschiedliche Methoden eines Devised Theatre oder einer Collective Creation für die gemeinsame Erzeugung eines Skripts inklusive der Textentwicklung im Probenprozess auch an vielen jener Theaterakademien zu lernen, die in erster Linie für die traditionelle Stadttheaterstruktur ausbilden, welcher ein Festhalten an etablierten Mustern nachgesagt wird.34
Die Entwicklung (oder Reaktivierung) anderer Formen findet sich allerdings auch davon bedroht, neue gesellschaftliche Zwänge, die die szenischen Künste doch meist kritisch reflektieren wollen, zu reproduzieren: Die neoliberalen Zwänge zur Deregulierung und Flexibilisierung, die sich in den offenen Projektarbeitsformen manifestieren, gehen neben den größeren künstlerischen Freiheiten auch mit den entsprechenden prekären monetären Vergütungen sowie der zwischen den Projekten anfallenden und in nicht zu realisierende Projekte fließenden unbezahlten Arbeit einher.35
Für die gemeinsam produzierten Texte stehen nicht nur die Formen des gemeinsamen Arbeitens zur Disposition. Es stellt sich in Kontexten, in denen Eigentum und Urheberrecht gesetzlich verankert sind, auch die Frage, wem die aus dem Allgemeingut Sprache hervorgebrachten Texte gehören und ob sie überhaupt jemandem gehören können. Dass prozessual generierte TogetherTexte stets an traditionelleren Theatertextformen gemessen und in traditionelleren Strukturen verortet werden, ist, wie der Beitrag Christine Zintls und die von Anne Rietschel geführten Interviews am Anfang dieses Bandes zeigen, nicht etwa Ratlosigkeit geschuldet. Vielmehr sind Institutionen und Formate (wie z. B. die trotz aller literaturtheoretischer Debatten immer noch an individuelle Autor*innenschaft gebundene Buchpublikation) beharrlich; andere Formen entstehen daher oft in Opposition zu ihnen: in internen Freiräumen oder in ihrer langwierigen Transformation. Das strikt arbeitsteilige Produktionsmodell der staatlich finanzierten Bühnen im deutschsprachigen Raum, das die Positionen im Arbeitsprozess mit jeweils dafür qualifizierten Spezialist*innen besetzt, gemahnt viele Theaterschaffende zu sehr an industrielle Produktionsformen des 20. oder gar 19. Jahrhunderts und reproduziert zu viele alte Hierarchien und stereotype Selbstkonzepte, als dass aus ihnen aktuelle Perspektiven auf Kunst und Gesellschaft hervorgehen könnten: Ein*e Spezialist*in für Sprache (Autor*in) verfasst demnach einen dramatischen Text, der (überzeitliche) Wahrheiten über Mensch, Welt und Kosmos ausdrückt, die von einer szenischen Spezialist*in (Regisseur*in) mithilfe von Spezialist*innen der Texte (Dramaturg*innen) und der Darstellung (Performer*innen, Schauspieler*innen) auf eine Bühne gebracht wird, die ihrerseits von bildenden Künstler*innen nach Maßgabe der Regisseur*in eingerichtet wird. Das beschreibt zwar nach wie vor die übliche Praxis in vielen deutschsprachigen Stadttheatern, stößt aber in vielen Fällen gleich an mehrere künstlerische Grenzen. Die besonders empfindsame Subjektivität einer Autor*in, die sich genialisch oder unter Entbehrungen ins »Reich des Wahren« durchschlägt, die überlegen expressive Persönlichkeit einer Regisseur*in, die zeitgemäße Formen für diese Wahrheiten findet und die körperlich-stimmlich-mimetische Kraft einer Schauspieler*in, die dem tonlos geschriebenen Text emotionale Nuancen und Ekstasen entlockt und sie so einem atemlos rezipierenden Publikum vorführt – diese Auffassungen werden zunehmend nicht nur von Theaterschaffenden als bürgerliche Mythen und traditionelle Verbrämungen von alten Hierarchien und Besitzstandswahrungen abgetan: Kai von Eikels geht in seinem Beitrag auf die mit kooperativen Textentstehungsprozessen einhergehende Entthronung der Autor*innen ein. Gruppen und sich selbst als solche bezeichnende Kollektive gründen sich oft abseits der Institution Stadttheater und suchen nach anderen Formen der Verantwortung für ein künstlerisches Projekt – so auch der Texterzeugung.36
Im 21. Jahrhundert ist gemeinsame Texterzeugung ein gängiges Modell, das in der journalistischen Berichterstattung ebenso selbstverständlich ist wie in den Writers’ Rooms von Fernsehserien. Oft scheint hier eine Problematisierung geteilter Autor*innenschaft, wie sie für Kunst, Literatur und Theater immer noch gängig ist, nicht weiter dringlich. Hinsichtlich einer gemeinsamen Texterzeugung im Theater des 21. Jahrhunderts könnte man drei verschiedene Kategorien herausarbeiten, an denen sich der Aufbau des