Der kleine Fürst Staffel 13 – Adelsroman. Viola Maybach
beide Kinder. Sie deckte sie noch zu, küsste sie und verließ das Zimmer.
Eine innere Unruhe veranlasste sie, Corinna anzurufen, doch sie erreichte sie nicht. Sowohl auf dem Handy als auch zu Hause hinterließ sie die Nachricht, sie habe nur hören wollen, ob alles in Ordnung sei, anschließend machte sie sich daran, Wäsche zusammenzulegen. Und dann fand sie in der Wäsche ein Teil, das da überhaupt nicht hineingehörte: ein Taschentuch von Oliver. Er hatte Papiertaschentücher gehasst, am liebsten waren ihm diese karierten aus Stoff gewesen, sie hatte ihn deshalb oft aufgezogen. »Die sind so groß wie Tischtücher, Olli! Dass die überhaupt in deine Hosentaschen passen!«
Und genau so ein kariertes Taschentuch lag jetzt im Wäschekorb. Sie nahm es heraus und schmiegte ihr Gesicht hinein. Ob Paul es sich genommen hatte, um etwas zu haben, das ihn an seinen Vater erinnerte? So musste es wohl sein, denn sie fand sonst keine Erklärung dafür, warum es in der Wäsche gelandet war.
»Du übertreibst, Mimi«, hörte sie ihren Mann sagen. Er hatte sie immer ›Mimi‹ genannt, als Einziger. »So groß sind sie gar nicht. Jedenfalls sind sie genau richtig für mich.«
Da flossen die Tränen bereits, und sie nahm Olivers Taschentuch, um sie zu trocknen.
*
Felix fuhr unwillkürlich langsamer, als er Schloss Sternberg auf seiner Anhöhe vor sich aufragen sah. Den richtigen Namen der Anhöhe hatte er vergessen, wie die meisten hier. ›Der Sternberg‹ war der seit Langem gebräuchliche Name dafür.
Er hatte den Sender frühzeitig verlassen an diesem Freitag, und so war er ohne Probleme durch den Verkehr gekommen. Seit er beschlossen hatte, die Sternberger zu besuchen, fühlte er sich ein wenig besser. Er hatte sich da in etwas verrannt, es wurde höchste Zeit, sich die Begegnung mit Corinna Flemming aus dem Kopf zu schlagen. Dabei würden ihm die Gespräche mit seinen Freunden helfen. Bisher jedenfalls war es noch immer so gewesen. Mit welchem Problem er auch zu ihnen gekommen war, sie hatten ihm gute Ratschläge gegeben, die er eigentlich immer befolgt hatte, und damit war er gut gefahren.
Er gab wieder Gas und bog wenig später ab auf die schmale, gewundene Straße, die sich den Sternberg hinaufschlängelte, durch dichten Wald, der sich oben lichtete und den Blick auf das nun schon ganz nahe Schloss so plötzlich freigab, dass der erneute Anblick des Gebäudes ihn, wie eigentlich jedes Mal, traf wie ein kleiner Schock. Es war ein so unfassbar schöner Bau, dass er noch einmal die Geschwindigkeit verlangsamte, um das Bild in aller Ruhe zu genießen.
Wie immer wurde er herzlich willkommen geheißen, zunächst von Eberhard Hagedorn, dann von Baronin Sofia und Baron Friedrich, die ihn gleich zu einem Tee in die Bibliothek baten.
Die Bibliothek war nach Meinung der Schlossbewohner und vieler ihrer Gäste der schönste Raum im ganzen Schloss. Ausgestattet mit deckenhohen Regalen, alten Ledersesseln, kleinen Tischchen mit hübschen Lampen darauf und einem Kamin, der an kühlen Abenden für behagliche Wärme sorgte, hatte er alles, was man brauchte, um sich wohlzufühlen. Auch Felix ließ sich von der Atmosphäre des Raums sofort wieder gefangen nehmen.
»Ich muss mich allerdings gleich noch einmal verabschieden, Felix«, kündigte der Baron an, nachdem sie Platz genommen hatten. »Wir haben sehr viel zu tun im Augenblick, und ich muss noch einen Termin wahrnehmen, leider. Wenn du nach dem Tee reiten möchtest, wende dich nur an Herrn Wenger, ihr kennt euch ja.«
Robert Wenger war der Stallmeister auf Sternberg, der sich trotz seiner Jugend durchzusetzen wusste und sich die Leute, die in den Ställen arbeiten wollten, gründlich ansah, bevor er seine Einwilligung zu ihrer Anstellung gab.
»Ich glaube, ich bleibe lieber hier sitzen, Fritz, aber trotzdem danke für das Angebot.«
Friedrich verließ die Bibliothek nach einer Tasse Tee, und plötzlich war Felix froh darüber. Es war einfacher, zunächst nur mit Sofia über das zu reden, was ihm auf der Seele lag. Er hatte eigentlich noch abwarten wollen, aber nun merkte er, wie wichtig es ihm war, den Rat von vertrauten Freunden einzuholen, die zwar nicht sehr viel älter waren als er, aber doch in mancher Hinsicht über mehr Lebenserfahrung verfügten. Zumindest über die Liebe wussten sie sicherlich mehr als er.
»Du hast Kummer«, stellte die Baronin fest.
»Ja«, gab er zu. »Liebeskummer, Sofia.«
Sie beugte sich unwillkürlich vor. »Du?«, fragte sie ungläubig.
»Ja, ich, stell dir vor. Dabei bin ich der Frau, um die es geht, noch nicht einmal richtig nahegekommen. Und als es so weit war, war es auch gleich das Ende.«
Er erzählte ihr von der jungen Kollegin, die ihm schon Wochen, bevor er ein Wort mit ihr gewechselt hatte, aufgefallen war, und wie sie dann tatsächlich eingewilligt hatte, mit ihm essen zu gehen, obwohl sie von allen Seiten gewarnt worden war. »Und dann habe ich sie zum Abschied in den Arm genommen«, beendete er seinen Bericht mit stockender Stimme. »Da ist sie zornig geworden und hat mich zurückgestoßen.«
»Und seitdem hast du nicht mehr mit ihr gesprochen?«
»Einmal noch, ich habe auf dem Parkplatz auf sie gewartet. Aber sie traut mir nicht, Sofia. Und sie hat unmissverständlich klar gemacht, dass ich sie in Ruhe lassen soll.«
»Du weißt, was ich jetzt sagen werde, oder?«, fragte Sofia nach einer Weile.
»Dass mir nichts anderes übrig bleibt, als das zu akzeptieren?«
»Genau. Offenbar empfindet sie nicht wie du. Das ist sicherlich schmerzlich, aber man kann einen Menschen ja nicht zur Liebe zwingen.«
»Ja, ich weiß«, murmelte Felix. »Aber warum kann sie denn nicht wenigstens normal mit mir reden und …«
Sofia unterbrach ihn. »Weil sie denkt, dass das mit dir nicht möglich ist«, erklärte sie ruhig. »Du bist als Mann bekannt, dem es die Frauen leicht machen. Du hattest schon viele Freundinnen, bei keiner bist du lange geblieben. Du sagst, sie ist noch sehr jung, Anfang Zwanzig. Sie ist auf der Hut vor dir, und sie hat allen Grund dazu, meinst du nicht?«
»Das hört sich an, als wäre ich ein Ungeheuer.«
»Du bist ein Mann, der schon viele Frauen unglücklich gemacht hat. Vielleicht will sie nicht dazugehören.«
»Das heißt, ich werde jetzt für meine Vergangenheit bestraft, Sofia? Aber in diesem Fall ist es ganz anders, das schwöre ich dir. Ich meine es ernst mit ihr.«
»Im Moment sicher, das glaube ich dir. Aber kannst du deine Hand für dich selbst ins Feuer legen, dass du in einem halben Jahr auch noch so empfindest und dann nicht etwa feststellst, dass es doch wieder so ist wie immer?«
»Niemand kann garantieren, dass sich seine Gefühle nicht verändern«, protestierte Felix.
Die Baronin lächelte. »Gut, wenn wir über einen Zeitraum von Jahrzehnten reden, hast du sicherlich Recht. Aber wenn aufrichtige Liebe im Spiel ist, dann verschwindet sie nicht innerhalb von Monaten, dafür kann man schon garantieren.«
»Ich habe das ja noch nie erlebt!«, rief Felix verzweifelt. »Wie soll ich denn dann wissen, wie ich in einem halben Jahr fühle?«
»Man weiß es einfach«, sagte Sofia leise.
Danach blieb es erst einmal still. Nur das leise Klappern der Tasse auf der Untertasse war zu hören, als die Baronin einen weiteren Schluck Tee nahm.
»Dann ist alles noch schlimmer, als ich dachte«, sagte Felix endlich. »Ich liebe sie, und sie will nichts von mir wissen. Das heißt, in einem halben Jahr liebe ich sie immer noch und vielleicht noch viel länger, ohne Aussicht darauf, dass sie meine Gefühle eines Tages erwidern wird.«
»Wenn Liebe nicht erwidert wird, stirbt sie«, entgegnete Sofia. »Vielleicht nicht sofort, aber doch mit der Zeit. Meistens jedenfalls. Liebe braucht ein Gegenüber, Felix, als Nahrung. Bleibt die Nahrung aus, verhungert sie gewissermaßen.«
»Woher weißt du das alles? Du bist schon lange mit Fritz verheiratet, und so viel Erfahrungen kannst du vorher nicht gesammelt haben.«
»Genug, um so etwas zu wissen. Dein Problem