Ein neuer Anfang für die Liebe. Susan Anne Mason
Krieg zurückgekehrt, wie ich sehe.“ Die Ausgelassenheit, die Lord Brentwoods gerötetes Gesicht bezeugte, spiegelte sich auch in seinem Tonfall wider. Schwungvoll legte er die Reithandschuhe auf dem Schreibtisch ab. „Es ist gut, Sie wiederzusehen. Wie geht es Ihnen?“
Quinn schüttelte die Hand seines Arbeitgebers und spürte wieder die alte Zuneigung für ihn. Ehrlich gesagt hatte Quinn diesen Ort und seinen Posten als Kammerdiener des Earls vermisst. „Mit großer Freude darf ich Ihnen berichten, dass ich wieder vollkommen genesen bin.“
„Hervorragend“, entgegnete seine Lordschaft und ging zur Anrichte, wo er seinen Lieblingsalkohol aufbewahrte. „Heißt das, Sie sind gekommen, um Ihren alten Posten zurückzuerbitten?“
Nun zögerte Quinn, da er wusste, dass seine Antwort die fröhliche Stimmung kippen würde. „Ja und nein, mein Lord.“
Die Hand des Earls hielt am kristallenen Dekanter inne. „Das klingt mysteriös. Würden Sie das bitte ausführen?“, bat der Earl und füllte sich einen großen Schluck Brandy in einen Weinbrandschwenker. Den trug er zu dem opulenten Schreibtisch aus Kirschholz, wo er für gewöhnlich die Nachmittage verbrachte und der Verwaltung des Anwesens nachging.
„Es ist durchaus mein Wunsch, meinen alten Posten wieder einzunehmen, jedoch nicht sofort“, sagte Quinn und schluckte. „Zuerst würde ich Sie gern um eine kurze Freistellung vom Dienst bitten.“
Der Earl runzelte die Stirn. „Hat Ihre Bitte etwas mit Ihrer Familie zu tun?“
„Ganz recht.“ Natürlich dachte seine Lordschaft sich das bereits, da Quinn ihm deutlich gemacht hatte, wie viel seine Familie ihm bedeutete. „Ich muss nach Kanada reisen.“
Auf halbem Weg zum Mund blieb das Glas noch einmal stehen und ein neugieriges Leuchten erfüllte die Augen des Earls. „Nach Kanada? Wozu?“
Erinnerungen an seinen Besuch in Dr.-Barnardo-Kinderheim kamen in Quinn hoch und drohten ihn zu überwältigen. „Nach meiner Rückkehr nach London habe ich meine Mutter besucht“, begann er und schluckte. „Sie lebt nun in einem Armenhaus und meine Geschwister sollten in einem Kinderheim sein.“
„Das tut mir leid“, erwiderte der Earl mit gefurchter Stirn.
„Anschließend habe ich das Kinderheim aufgesucht, nur um zu erfahren, dass man meine Geschwister als vertraglich verpflichtete Arbeiter nach Kanada geschickt hat. Ohne das Einverständnis meiner Mutter.“ Je unruhiger er wurde, desto mehr wünschte sich Quinn, dass er neben den Flammen im Feuer stünde, um sich an ihnen zu wärmen. Seit der Zeit im Schützengraben kam er nicht umhin, sich von einem Gefühl von Klammheit geplagt zu fühlen. „Unglücklicherweise geht es meiner Mutter gesundheitlich sehr schlecht. Ich fürchte, sie wird den Sommer nicht überleben.“
Das Bild seiner ausgezehrten Mutter hatte ihn die gesamten vier Jahre im Krieg verfolgt. Doch niemals hatte er sich vorgestellt, dass er sie noch abgemagerter vorfinden könnte als bei seinem Abschied. Als er sie jedoch bettlägerig im Krankenzimmer eines Armenhauses wiederfand, wusste er, dass es an der Zeit war zu handeln. Quinn nahm an, dass ein großer Teil ihrer Trägheit auf Schuldgefühle zurückging. Als verdiente sie es zu sterben, dafür, dass sie ihre Kinder verlassen hatte. Wenn Quinn aber Becky, Cecil und Harry wiederfinden und zu ihr nach Hause bringen würde, hätte sie wieder einen Grund, zu Kräften zu kommen. Unmöglich konnte der zu frühe Tod ihres Mannes sie zu so einem erbärmlichen Leben verdammen.
Der Himmel wusste, wie sehr Quinn sich über die Jahre bemüht hatte, seine Mutter zu unterstützen. Beinahe jeden Schilling seines Lohns hatte er nach Hause geschickt, um für seine Familie zu sorgen. Herauszufinden, dass alles umsonst gewesen war, war entsetzlich qualvoll gewesen.
„Also bitten Sie nun um eine Freistellung, um sich auf die Suche nach Ihren Geschwistern zu machen?“
„Genau, mein Lord.“
„Und was, wenn ich Ihre Bitte verweigere?“
Mit Mühe widerstand Quinn dem Drang, dem Blick des Earls auszuweichen. „Dann muss ich mich respektvoll von meiner Position bei Ihnen verabschieden. Auch wenn ich diesen Schritt nur ungern gehen würde.“
„Das würde auch ich nur ungern sehen“, sagte Lord Brentwood, der sich auf dem Stuhl wandte und sich dann zu Quinn vorbeugte. „Wo nach Kanada werden Sie reisen?“
„Den genauen Ort kenne ich leider nicht. Das Schiff fährt nach Halifax, Nova Scotia. Von dort aus werde ich dahin weiterreisen, wohin man meine Geschwister geschickt hat. Doch diese Informationen habe ich noch nicht.“ Um gegen die zunehmende Wut anzukämpfen, ballte Quinn seine Hände zu Fäusten. Noch immer konnte er es nicht fassen, dass das Kinderheim ihm nichts weiter mitgeteilt hatte als den Namen des Schiffs, mit dem seine Geschwister nach Kanada übergesetzt waren – und ihr erstes Ziel: Halifax.
Dann steckte Quinn eine Hand in die Hosentasche, bis die Finger den vertrauten Eisenschlüssel berührten, den er überallhin mitführte. Es war das Letzte, was sein Vater ihm vor seinem Tod gegeben hatte – der Schlüssel zu ihrem Haus in London. Und indem sein Vater ihm diesen überreicht hatte, hatte er ihn faktisch zum Mann des Hauses ernannt. Das kühle Metall erinnerte Quinn an das Versprechen, das er seinem Vater daraufhin gegeben hatte, und verlieh ihm den Mut fortzufahren. „Wenn ich Sie damit um zu viel bitte, werde ich Ihre Entscheidung natürlich respektieren, Sir. Aber die Reise muss ich unternehmen. Ich werde nicht zur Ruhe kommen, bis ich meine Familie wieder vereint habe.“
Der Earl nickte. „Das ist ein Gefühl, das ich gut nachvollziehen kann.“ Ein Schatten glitt über die Gesichtszüge des Mannes und einen Moment lang schien sein Blick eingenommen von Pein.
Zu Quinns Schande fiel ihm in diesem Moment auf, dass er sich noch gar nicht nach der Familie des Earls erkundigt hatte und wie es ihnen ergangen war, seit Quinn in den Krieg gezogen war. „Ich hoffe, Lady Brentwood und Lady Amelia sind wohlauf?“
„Das sind sie. Vielen Dank der Nachfrage.“ Kurz hielt er inne. „Was meine Nichte anbetrifft, sieht es allerdings anders aus.“
„Miss Julia?“, fragte Quinn nach und bei der Erinnerung an das lebhafte Mädchen sog er stark die Luft ein. Mit dreizehn Jahren war sie nach dem plötzlichen Tod ihrer Eltern zum Earl und seiner Familie gezogen. Nach einer angemessenen Zeit der Trauer und der Umgewöhnung an das neue Zuhause hatte Julia schließlich Halt in der Freundschaft zu ihrer Cousine Amelia gefunden. Oftmals war in Brentwood Manor das laute mädchenhafte Gelächter zu hören gewesen. „Ich hoffe sehr, dass ihr nichts Schlimmes zugestoßen ist.“
„Es ist nicht, was Sie vielleicht denken. Aber es ist schlimm genug“, sagte der Earl und stand auf. „Julia hat darauf bestanden, sich während des Krieges nützlich zu machen – gegen meinen Wunsch, möchte ich hinzufügen. Also hat sie Brentwood verlassen, um die Ärzte bei den verwundeten Soldaten zu unterstützen. Keine Aufgabe, der eine junge Dame nachkommen sollte.“
„Da ich selbst ein verwundeter Soldat war, halte ich es für einen sehr noblen Dienst. Jede Hilfe, die mir zuteilwurde, habe ich sehr geschätzt.“
Der Earl warf ihm einen ungehaltenen Blick zu.
Und Quinn hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Er musste sich wieder daran gewöhnen, seine Meinung für sich zu behalten, wenn nicht explizit danach gefragt wurde.
„Ich hatte es schon im Gefühl, dass das nicht gut ausgehen würde“, fuhr der Earl fort und hob das Kinn auf eine Weise nach vorn, die nur eines bedeuten konnte: Missfallen. „Kurz vor Kriegsende ist sie mit einem kanadischen Soldaten durchgebrannt.“
„Oh. Wie … bedauernswert.“ Weshalb überkam Quinn nun eine Welle der Enttäuschung? Es war nicht so, als hätte er jemals die Zuneigung dieses Mädchens erlangen können. Niemals hätte sie sich auch nur nach einem Bediensteten umgesehen, es sei denn, sie hatte einen Wunsch.
„Ich glaube, Ihre Reise nach Kanada kommt mir gerade gelegen“, fuhr der Earl fort und legte mit einem nachdenklichen Blick einen Arm auf die Stuhllehne. „Während Sie dort sind, könnten Sie Julia ausfindig machen und sie nach Hause bringen.“
Mit