Schwein gehabt. Hans Christ

Schwein gehabt - Hans Christ


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werde nicht da sein“, hatte er am Telefon gemeint, „weil ich einen Termin auf der Bauernkammer habe. Förderungsansuchen, Sie wissen schon. Aber ich habe Ihnen alles aufgeschrieben, die Kuh ist markiert und im Fressgitter eingesperrt.“

      Was er nicht gesagt hatte und ich bei meinem Eintreffen feststellen musste, war, dass das Türchen, durch welches man die Kuhabteilung betrat, dermaßen verbogen war, dass es sich nicht öffnen ließ. Zumindest nicht mit einer Hand, in der anderen hatte ich ja die Besamungspistole samt Samenröhrchen, Plastikhülle und Schere. Also blieb nur der Weg durch die Laufbox von Poldi, was mich jetzt nicht sonderlich störte, denn der Stier steckte offensichtlich ebenfalls mit dem Kopf im Fressgitter. Aber man soll nichts auf den Augenschein geben.

      Sobald ich zwei Schritte in sein Arreal getan hatte, grummelte er und zerrte den Schädel heftig aus der Absperrung. Wahrscheinlich war die Arretierung wegen seines dicken Halses nicht vollständig eingerastet gewesen. Er drehte sich in meine Richtung und musterte mich aus nachdenklichen Augen, wobei seine Gedanken, soweit ich sie lesen konnte, nicht unbedingt freundlich waren.

      „Hallo Poldi. Du hast Dich ja bestens herausgemausert, alter Bursche“, versuchte ich, ein bisschen Spannung aus der Atmosphäre zu nehmen, aber Poldi hatte offenbar keinen Bock auf Komplimente. Endlich schien er zu einem Entschluss gekommen zu sein, denn er senkte den Kopf und begann, mit dem Vorderfuß zu scharren. Das war kein gutes Zeichen! Was sollte ich tun? Mich an ihm vorbei zu den Kühen hinüberzuretten, ging nicht, weil er mir den Weg versperrte. Also blieb nur die Richtung, aus der ich gekommen war. Der Rückzug erinnerte ein bisschen an den der Napoleonischen Armee aus Russland, nur ging er bei mir wesentlich schneller.

      Allerdings nicht schnell genug. Bevor ich die Box wieder schließen konnte, immerhin hatte ich ja noch immer das vermaledeite Besamungszeug in der Hand, war Poldi bereits zur Stelle. Ein wuchtiger Kopfstoß riss mir die Türe aus der Hand und der Stier war bereits halb auf dem Gang, den ich nun nach Leibeskräften entlangrannte.

      An sich ist es ja ein Blödsinn, einem Stier durch Laufen entkommen zu wollen, nicht einmal mit den besten Sportschuhen von Olympiasprintern und schon gar nicht in Gummistiefeln. Aber vielleicht, und vor allem hoffentlich, gelang es mir, vor ihm den schmalen Stiegenaufgang zum Heuboden hinauf zu erwischen. Dorthin konnte er mir nicht folgen, dazu war er zu dick.

      Aber soweit musste ich gar nicht kommen, weil Poldi plötzlich abbremste. Er hatte den Sack mit Hühnerfutter, der schon wieder an der Stallwand lehnte, erspäht oder gewittert, jedenfalls brach er die Verfolgung ab, weil irgendetwas in seiner Erinnerung ihm sagte, dass das damals ganz prima geschmeckt hatte. Er tauchte seine Nase in die Mais-Getreidemischung und begann genüsslich, sich das unerwartete Angebot einzuverleiben.

      Himmelarschundzwirn! Ich stand dieser Völlerei vollkommen hilflos gegenüber und musste zusehen, wie sich das Vieh die nächste Pansenacidose anfraß. Oder hat schon wer einmal versucht, einen ohnehin nicht leutselig aufgelegten Stier von der Futterquelle zu vertreiben? Mundraub gilt auch im Tierreich als Verbrechen und Poldi war ganz und gar in der Stimmung, dafür die Todesstrafe zu verhängen.

      Das Einzige, das mir übrigblieb, war, dem Hintersteiner erneut zwei Päckchen mit dem Acidosepulver in einem zusammengebundenen Rektalhandschuh außen an die Stalltüre zu hängen mit dem Vermerk: „Sobald wie möglich eingeben, sonst ist morgen der Stier schwer krank.“

      Am nächsten Tag rief der Hintersteiner an, ich möchte doch bitte nach Poldi sehen, er frisst nichts.

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      Wie ich erwartet hatte, war das Rindvieh, im wahrsten Sinne des Wortes, von einer Pansenacidose verschont geblieben, hatte aber natürlich trotzdem eine veritable Verdauungsstörung. Aber diesmal war die Geschichte nicht dramatisch. Ich gab ihm eine Spritze, verordnete ein Mittel zur Magenstimulanz und eine Drei-Tages-Heudiät.

      Aus Ärger, dass der Hintersteiner meine Warnung, Futter im Stall aufzubewahren, in den Wind geschlagen hatte, hielt ich den Mund und verzichtete auf eine Aufklärung. Das sollte sich auszahlen, ganz nach dem Sprichwort: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!

      Weil mir der Wagnerbauer in der darauffolgenden Woche breitgrinsend mitteilte: „Na, mit dem Hintersteiner haben Sie sich ja einen Fan aufgerissen!“

      „Wieso?“

      Der Wagner lachte: „Der Mensch hat am Sonntag im Wirtshaus jedem, den er erwischt hat, vorgeschwärmt: ‚So einen Tierarzt muss man einmal finden! Weiß schon im Voraus, dass der Stier am nächsten Tag was hat!‘“

      Liebe geht unter die Haut

      Haus und Stallgebäude vom Strampflgut hätten für jeden Historienfilm eine authentische Kulisse abgegeben. Das Haus stammte aus dem frühen siebzehnten Jahrhundert, wenn man der in den Türbalken eingeschnitzten Jahreszahl trauen durfte. Der Stall war zwar zwischenzeitlich einmal abgebrannt, hatte aber auch schon mehr als zweihundert Jahre auf dem Buckel, will sagen, den Dachschindeln.

      Und der Strampflbauer selbst, der Letzte seiner Sippschaft, weil unbeweibt und daher auch kinderlos, zumindest wusste er von keiner Vaterschaft, passte haargenau in diese Idylle, um den hätte sich ebenfalls jeder Regisseur für eine Komparsenrolle gerissen. Weil original!

      Sein Alter ließ sich nicht einschätzen, und als ich ihn einmal danach fragte, erklärte er, er wüsste es selbst nicht genau. So achtzig oder mehr, um Formalitäten hätte er sich zeitlebens nie gekümmert.

      Er war ein dürrer Mann von mittlerer Größe, kein Gramm Fett auf den Rippen und unter der scharfen Hakennase wucherte ein grauer Vollbart, mit dem man eine Seegrasmatratze neu hätte stopfen können.

      Sommers wie winters trug er eine ausgeschossene Lodenweste und eine Lederhose, deren ursprüngliche Farbe nicht mehr zu erkennen war, die jedoch infolge der beständigen Stallarbeit von selbst starr in der Ecke stehen würde, täte sie der Strampfl in der Nacht ausziehen, woran ich beträchtliche Zweifel hegte.

      Graue Kniestrümpfe und ein speckiger Filzhut mit einem räudigen Gamsbart vervollständigten sein tägliches Erscheinungsbild. Als unerlässliches Attribut hielt er eine Gesteckpfeife aus Holz zwischen den gelben Zähnen, was seiner Redeweise einiges an Verständlichkeit raubte.

      Ein Tierarzt, der lauter solche Kunden hätte, würde binnen Kürze genauso daherkommen, weil eine Visite am Strampflgut ein Ereignis war, das vielleicht nur alle Schaltjahre einmal passierte.

      Diesmal aber musste es sein.

      „Servus Doktor“, nuschelte der Strampfl und kratzte sich zur Begrüßung ungeniert am Hosenboden.

      „Was gibt es für ein Problem“, fragte ich und war heilfroh, dass er mir nicht die Hand gegeben hatte, weil ich auf den ersten Blick den hässlichen Ausschlag an seinen Händen und teilweise Unterarmen erkennen konnte.

      „Ein Kalb! Gestern auf die Welt gekommen. Trinkt nicht!“ Mit den Worten ging er ebenso sparsam um, wie mit allen anderen Dingen, vor allem der Hygiene.

      „Schlecht“, antwortete ich. Wenn er mundfaul war, stand mir auch nicht der Sinn nach Volksreden.

      Das Kalb lag in seinem Kobel und atmete schwer. Obwohl ich vermutete, was die Ursache war, steckte ich ihm der Vollständigkeit halber das Thermometer in den Hintern. Genau wie ich dachte, normale Temperatur.

      „Lungenentzündung?“, blies der Strampfl in einer Rauchwolke heraus.

      „Weißfleischigkeit!“

      „Sie können sein Fleisch doch gar nicht sehen?“ Offenbar fand er, ein wenig Skepsis konnte nicht schaden.

      Jetzt musste ich doch etwas weiter ausholen: „Das ist auch nicht nötig. Weißfleischigkeit nennt man einen Selen- und Vitamin-E-Mangel. Die Muskeln können nicht richtig funktionieren. Die Zwerchfellmuskulatur ebenso wenig wie die Schlundmuskulatur. Kann es aufstehen?“

      „Mit Mühe. Und nicht lange.“

      „Na, da haben wir es ja. Aber keine Sorge, eine Spritze und in vierundzwanzig


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