Deutsche Geschichte (Band 1-3). Ricarda Huch
und frei. Wenn er auf einsamen Wegen unter den Eichen seiner Wälder sich mit der Vogeljagd belustigte, sang er selbstvergessen liebliche Lieder vor sich hin. Großmütig, gar nicht mißtrauisch konnte er denselben Feinden, die ihn immer wieder verrieten, immer wieder verzeihen.
Obgleich zur Zeit Ottos die Zahl der freien Leute noch beträchtlich war, so hatten sich infolge der Lehensverfassung doch die Vasallen schon zu sehr zwischen König und Volk geschoben, als daß er sich darauf hätte stützen können. Um ein Gegengewicht gegen das Unabhängigkeitsstreben der Stämme zu schaffen, bediente er sich seiner Verwandten und der Bischöfe. Da er in der Verwandtschaft seine ärgsten Feinde hatte, erwies sich die erstgenannte Waffe als zweischneidig. Sehr wertvoll war ihm sein jüngster Bruder Brun, ein ausgezeichneter Charakter, sich selbst streng beherrschend und gerecht gegen andere, den er zum Erzbischof von Köln und Herzog von Lothringen machte. Bruns zugleich wissenschaftliche und staatsmännische Begabung machten ihn für diese Doppelstellung geeignet. Heinrich dagegen wollte selbst König werden und machte sich zum Mittelpunkt aller Feindseligkeiten gegen seinen Bruder. Schweigsam, verschlossen, ränkesüchtig, dabei maßlos heftig und rachsüchtig erscheint sein Charakter durchaus nicht anziehend, aber eine Persönlichkeit muß er doch gewesen sein; weil er seinem blonden Vater glich, bevorzugte ihn die Mutter, überhaupt machte ihn seine Schönheit bei den Frauen beliebt. Nachdem er sich endgültig unterworfen hatte, erhielt er das Herzogtum Bayern und erwies sich seitdem als zuverlässige Stütze des Königs. Durch seine Heirat mit Judith, der Tochter des verstorbenen Herzogs Arnulf, nahm er an dem Ansehen der einheimischen Dynastie teil. Seinen Schwiegersohn Konrad machte Otto zum Herzog von Lothringen, seinen Sohn Ludolf zum Herzog von Schwaben, nachdem er ihn mit der Tochter des letzten Schwabenherzogs Hermann verheiratet hatte; beide fielen von ihm ab. In den Stämmen war ein so starker Widerstand gegen die königliche Oberherrschaft, daß die Stammeshäupter wie durch eine Naturkraft davon ergriffen wurden; die Zeitgenossen wenigstens haben den unglücklichen Ludolf, bevor er Herzog wurde, der Untreue und Widersetzlichkeit nicht fähig gehalten, und Konrad hat durch den Eifer, mit dem er, um sein Vergehen gutzumachen, sich am Kampfe gegen die Ungarn beteiligte, bewiesen, daß er nicht unedel dachte.
Eine ganz andere Grundlage bestimmte die Stellung der Bischöfe. Als Glieder der Kirche vertraten sie von vornherein die Idee der Reichseinheit, die in Rom ihren Mittelpunkt hatte. Sie waren bereit, sich der Hoheit des Königs, nicht aber den Herzögen unterzuordnen. Der Erzbischof von Mainz besonders, dessen Diözese sich durch das ganze Reich erstreckte, fühlte sich dem Reiche verbunden. Alle Erzbischöfe erhielten die Erinnerung an das Karolingerreich, wo Papst und Kaiser gemeinsam, Karl der Große fast allein, Kirche und Reich regiert hatten, und Otto pflegte diese Überlieferung. Während Heinrich, sein Vater, die Kaiserkrönung abgelehnt hatte, ließ er sich in Aachen, nachdem er von den Herzogen und Großen in einem mit dem Münster verbundenen Säulengange auf den Thron gehoben worden war, im Inneren der Kirche von den Erzbischöfen von Mainz und Köln nach der alten Ordnung mit dem Schwert umgürten und dem Mantel bekleiden, salben und krönen. Von den Herzogen, die bei der nachher stattfindenden Tafel die herkömmlichen Ämter als Mundschenk, Truchseß, Marschall und Kämmerer ausübten, fielen drei bald nachher von ihm ab. Von den Bischöfen wurde nur einer später sein Gegner, der Erzbischof Friedrich von Mainz, der die von Otto angebahnte Verbindung des geistlichen Amts mit weltlichen Geschäften mißbilligte.
Die Heranziehung der Bischöfe zu den Reichsgeschäften bewirkte Otto dadurch, daß er ihnen Grafschaftsrechte verlieh und durch Erteilung von Immunitäten Bischöfe und Äbte von den königlichen Gerichten unabhängig machte. Er leitete diese folgenreiche Umwandlung der Verfassung behutsam ein, seine Söhne setzten sie unbedenklicher fort. Bald kamen ganze Grafschaften an die Bischöfe, die dadurch zu weltlichen Fürsten wurden. Der Gewinn für den König war unübersehbar: er konnte nun auf die Anhänglichkeit einer Anzahl großer Herren rechnen, die ihn nicht nur durch ihren Rat und Einfluß, sondern auch durch das Aufgebot ihrer Mannschaft unterstützten. Allerdings wurde die kirchliche Tätigkeit der Bischöfe durch den neuen Aufgabenkreis, der ihnen erwuchs, wesentlich eingeschränkt. Predigt und Armenpflege, ursprünglich eine heilige Pflicht ihres Amtes, mußten den Pfarrern überlassen werden, die Bischöfe, die die Könige auf ihren Reisen und Heerzügen begleiteten, waren nicht selten jahrelang von ihren Diözesen abwesend. Indessen diese dem hohen Adel entstammenden Männer waren mit der Verweltlichung mehr als einverstanden. Nur ausnahmsweise war einer von der Wichtigkeit der geistlichen Seite seines Amtes so durchdrungen, daß er die Verflechtung in weltliche Geschäfte als ungehörig und belästigend empfand.
Otto I. hatte wie Karl der Große die Gabe nie ermüdender Tätigkeit. Er bedurfte nicht viel Schlafs, und da er im Schlafe sprach, meinte man, daß er selbst schlafend wache. Die Niederwerfung der Aufstände in den Herzogtümern, die Bekämpfung der Slawen und Ungarn nahmen die ersten Jahrzehnte seiner Regierung in Anspruch, dann konnte er endlich den Blick auf Italien richten. Gegen den Papst, der den Karolinger Arnulf krönte, hatte sich der römische Stadtadel erhoben; jetzt traten Umstände ein, die an diejenigen erinnern, welche einst Pipin und Karl mit Rom verknüpften.
Von zwei Seiten wurde die Gründung eines italienischen Königreiches erstrebt: von den langobardischen Teilfürsten, die sich unter den letzten Karolingern unabhängig gemacht hatten, und von dem römischen Stadtadel, den Orsini, Frangipani, den Crescentiern. Stolz auf ihre Abkunft, stolz auf ihre schicksalsvolle Stadt, erhoben sie den Anspruch auf Herrschaft, und das Mittel, durch das sie ihn zu verwirklichen hofften, war das Papsttum. Da sie es nicht vernichten konnten, dachten sie es zu benützen und setzten Päpste ein, die Werkzeuge ihres Willens waren. Damals war es Oktavian, der noch jugendliche Sohn des berühmten Alberich, der großartige römisch-nationale Pläne kühn vertreten hatte. Für diese Römer war der Papst nicht der Nachfolger und Stellvertreter Christi, sondern der Herr Roms und damit der Herr Italiens. Man möchte sich ausmalen, welche Folgen es gehabt hätte, wenn sie die römische Kirche säkularisiert und von dem weltlich gewordenen Kirchenstaat aus Italien erobert und geeinigt hätten. Allein die Wirklichkeit widersprach diesem Plan durchaus, machte ihn zu einem Abenteuer. Der Papstgedanke als Gedanke des christlichen Weltreiches war viel zu mächtig, als daß irgendein anderer ihn hätte überwinden können, geschweige denn der Gedanke Italiens als eines selbständigen, nationalen Landes. Mehr tatsächliche Macht und Einfluß als die römischen Adelsfamilien hatte König Berengar; um sich gegen ihn halten zu können, mußte Johann XII., so nannte sich Oktavian, eine kriegsgewaltige Hilfe suchen und wählte dazu den König des ostfränkischen Reiches. Für Otto war dieser Ruf des Papstes der Wink seines Gottes, der ihm die rechte Stunde anzeigte. Er konnte eingreifen, er konnte, indem er die von Berengar verfolgte Burgunderin Adelheid, die Witwe eines Prätendenten auf die italienische Königskrone, heiratete, seinen Ansprüchen auf Italien einen neuen hinzufügen. Den wesentlichen Anspruch gab ihm, daß er sich als Nachfolger Karls des Großen betrachtete. Weit entfernt, daß die Sachsen ihren ehemaligen Feind und Besieger gehaßt hätten, er war ihr Vorbild geworden, der Quell ihrer Macht und ihrer Rechte, und nicht nur den Sachsen, sondern ebenso den Friesen, den Lothringern, den Bayern. Alle wollten von Karl abstammen, ihre Rechte, ihr Dasein von ihm ableiten.
Im Jahre 962 empfing Otto in Rom die Kaiserkrone. Es ist Überlieferung, daß ein junger Gefolgsmann Ottos, Graf Arnfried von Löwen, während er in St. Peter betete, das Schwert über seinem Haupte gehalten habe, um ihn vor Überfällen zu schützen. So war er von Haß und Feindschaft umgeben. Der römische Papst, der ihn gerufen hatte, bereute es bald, als er begriff, daß der sächsische Beschützer sein Herr werde. Nur mit Gewalt konnte der König seine Anerkennung durchsetzen. Es war nicht so, daß in Italien eine grundsätzliche Abneigung gegen die Deutschen bestanden hätte, denn ein Nationalbewußtsein hatte sich noch nicht bilden können, vielmehr begegneten sie zuweilen freudiger Erwartung, weil immer irgendein Übel gegenwärtig war, das man bei der Veränderung loszuwerden hoffte; aber bei längerer Anwesenheit der überwiegend rohen Krieger, bei der Schwierigkeit, sich zu verständigen, kam es leicht zu Streit und Handgreiflichkeiten und erwachte in den gebildeteren, aber kriegsmäßig schwächeren Italienern ein empfindliches Überlegenheitsgefühl.
Mit welchen Gefühlen der König in Rom weilte, davon ist uns nichts berichtet. Bewunderte er die reichgeschmückten Basiliken von St. Peter und St. Paul, stand er staunend vor den ungeheuren Ruinen des Altertums, in denen und über die sich die Adelsburgen mit ihren Türmen und Zinnen erhoben? Das Gleichgewicht