Deutsche Geschichte (Band 1-3). Ricarda Huch
die sie jagten. Alle Nordleute, aber ganz besonders die Finnen, kannten noch die alten Zauber; so wußten sie durch gemurmelte Sprüche die Walfische in ihre Gewalt zu bringen. Je mehr man nach Norden kam, desto mehr war heidnische Zauberei im Schwange.
Den Charakter der Nordleute stellte man an Adalberts Hofe nach allem, was man davon sah und hörte, sehr hoch. Sie besaßen die von den Deutschen so geschätzten Eigenschaften der Tapferkeit und des Stolzes; sie ließen sich lieber töten als züchtigen; von einem zum Tode Verurteilten erforderte der Anstand, unbekümmert fröhlich zu erscheinen. Sie verachteten Gold und Silber, Pelzwerk und feine Stoffe, und ihre Gastfreiheit war unbegrenzt. Es machte tiefen Eindruck, daß in manchen Gegenden Schwedens und Norwegens die vornehmsten Männer Viehhirten waren wie die Erzväter der Bibel, daß die Schweden noch keine Städte hatten und ihr Leben in Armut und heiliger Einfalt zubrachten. Sie waren so liebevoller Gesinnung, daß sie alles gemeinsam besaßen, und zwar nicht nur die Einheimischen untereinander, sondern die Fremden inbegriffen. Dies, sagte man, sei nicht eine Folge des Christentums, sondern ihre Natur sei christlich, ohne daß sie von Christi Lehre etwas wüßten. Die gebildeten Deutschen betrachteten die Nordleute gerührt wie etwa Tacitus die Germanen.
Sowohl in Dänemark wie in Schweden gab es schon christliche Kirchen und Gläubige, überhaupt ließ sich das Volk dort oben gern von Christus und seinen Taten erzählen; aber die deutschen Christen waren es, so erfuhr man, die die Ausbreitung des Christentums erschwerten. Ihr Beispiel schreckte ab, da sie das, was sie lehrten, nicht durch ihr Leben verwirklichten. Besonders die Habgier, mit der sie Steuern auflegten, und die Härte der Einforderung derselben erregten Unwillen; beides wurde dem Herzog Bernhard von Sachsen vorgeworfen, der ohnehin Adalberts Feind war. Auch der Slawen Freigebigkeit und Gastfreiheit hob sich preiswürdig ab von der christlichen Habgier. Die Anerkennung schöner und edler Eigenschaften der Heiden führte nicht etwa zur Herabsetzung des Christentums, sondern zu dem verstärkten Wunsche, diese Heiden zu Christen zu machen, damit sie das einzige erwürben, was ihnen fehlte. Denn erst als Christen waren sie Glieder des Reiches, traten sie ein in den gotterfüllten Raum des Himmels und der Erde, des Lebens in der Ewigkeit. Es war ein Zauber, der die Menschen verklärte, auch wenn er ihr Inneres nicht verwandelte.
In einem Punkte nur fand man die Nordleute zu tadeln, in der Maßlosigkeit nämlich, mit der sie sich sinnlichen Genüssen hingaben. Sie berauschten sich im Trunk und in der Liebe, und weder das Trinken noch die Frauen wollten sie sich nehmen lassen. König Sven wurde vom Volke wegen der großen Zahl seiner natürlichen Kinder König Vater genannt. Die Menge der Beziehungen hinderte nicht, daß sie einer einzelnen Frau mit beharrlicher Leidenschaft anhingen. Sven hatte nach dem Tode seines Vorgängers auf dem schwedischen Throne dessen Witwe Gunhild geheiratet, die nach der Ansicht der Kirche in einem verbotenen Grade mit ihm verwandt war. Da die dänischen Bischöfe ihn bei Adalbert deswegen anklagten und Adalbert, in diesem Punkte unerbittlich, ihm riet, sich von seiner Frau zu scheiden, weigerte er sich, mußte schließlich aber doch nachgeben. Adalbert hatte Mühe, den Erbitterten zu versöhnen. Die Frau, die er dann heiratete, wurde von seiner Geliebten vergiftet. Adalbert, der selbst, augenscheinlich mehr infolge natürlicher Veranlagung als aus Askese, keusch war, verachtete die, welche ihre sinnlichen Gelüste nicht beherrschen konnten. Davon abgesehen mochte er sich dem Ausschweifenden und Phantastischen der nordischen Menschen verwandt fühlen. Mönchische Dürre war ihm fremd; es war, als breche die verhaltene Sinnlichkeit mit doppeltem Überschwang aus seinem Geiste hervor. Er war ein Verschwender, der nur in der Fülle atmen konnte. Nach einem großen Brande baute er den Dom von Bremen nach dem Muster des Doms von Benevent fremdartig und über alle Gewohnheit prächtig. Er liebte das Alte Testament, wo der Herr sich in seiner Majestät offenbart. Obwohl er an guten Tagen ohne Geselligkeit nicht leben konnte, empfand er leicht Verachtung für die Menschen. Freigebigkeit, sagte er, sei ein Merkmal des Adels; das Überwiegen von Kleinlichkeit, Dummheit und Habgier an den Menschen erregte seinen Hohn. Seine Pläne waren Visionen, die auf die Wirklichkeit wenig Rücksicht nahmen; das galt besonders von seinem größten, seinem eigentlichen Plan, den geheimnisvollen, urgewaltigen Norden zu seiner Diözese zu machen. Eine Zeitlang schien es, als sollte dieser mächtige Traum, der dem deutschen Einfluß ein neues, ausgedehntes Gebiet eröffnete, Gestalt gewinnen, als der deutsche Bruno von Toul den Heiligen Stuhl innehatte. Seine Regierung war zu kurz, als daß ein so wenig vorbereitetes Unternehmen vom Papst hätte an Hand genommen werden können. Das nordische Patriarchat sollte nach Adalberts Meinung zwölf Bistümer umfassen, von denen noch keines vorhanden war. Die Bekehrung machte keine nennenswerten Fortschritte. Es gehörte zu Adalberts Plänen, daß er selbst den Norden bereisen und den Heiden predigen würde; aber als König Sven ihm riet, die Aufgabe einem Einheimischen zu überlassen, der der Sprache mächtig sei, ließ er sich leicht überreden. Als ein großer Träumer badete er seine Stirn in Ruhm, ohne daran zu denken, daß der vorgefühlte Glanz durch Arbeit und mühselige Tage in die Wirklichkeit geleitet werden müsse. Allerdings nahm der Königsdienst seine Kraft und Zeit sehr in Anspruch: er begleitete Heinrich III. auf allen seinen Heerfahrten und stand in den Anfängen Heinrichs IV. eine Zeitlang an der Spitze der Reichsregierung. Wenn er den ungenügenden Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, schuld gab, daß er seine Gedanken nicht verwirklichen könne, hatte er nicht ganz unrecht; er sagte einmal, es fehlten ihm zum herrlichen Ausbau seiner Kirche nichts als Geistliche und Steine.
Einmal jedoch begegnete Adalbert einem Ebenbürtigen, wenn auch im Charakter ganz von ihm Verschiedenen, in dem Slawen Gottschalk. Ein Obotritenfürst war so weit für das Christentum gewonnen worden, daß er seinen Sohn dem Michaelskloster in Lüneburg zur Erziehung übergab, wo er den Namen Gottschalk annahm. Als dem Jüngling die Kunde zukam, daß sein Vater von den Sachsen ermordet worden sei, floh er aus dem Kloster, um Rache zu nehmen. Tausend Sachsen sollten fallen für einen Wenden. Nach mörderischem Wüten unter den Feinden wurde er von Herzog Bernhard von Sachsen gefangengenommen, der aus Achtung vor der Tapferkeit des Gegners ihm die Freiheit schenkte unter der Bedingung, daß er das Land verlasse. Gottschalk ging nach Dänemark, befreundete sich mit König Knut und begleitete ihn nach England. Dort wurde er vom Christentum, das er als Knabe wie andere Schulaufgaben gelernt hatte, im Innersten ergriffen und wünschte nun, seinem Volke diesen Glauben mitzuteilen. Er kehrte zurück, setzte sich mit Adalbert ins Einvernehmen und entwarf mit ihm den Plan eines Bekehrungsversuches unter den Wenden. Was Adalbert angriff, bekam einen großen, schwungvollen Umriß: ein christliches Wendenreich sollte gebildet werden, an dessen Spitze Gottschalk stehen sollte unter dem Schutze des Erzbischofs. Als eingeborener Fürst, der Sprache kundig und von der Kraft des aufrichtigen Glaubens durchdrungen, erzielte Gottschalk bedeutende Erfolge; es konnte ein Bistum Aldenburg den Bistümern Mecklenburg und Ratzeburg hinzugefügt werden. Adalberts Freund Sven Esthritson trat in die Verbindung ein, indem er Gottschalk seine Tochter Sigrid zur Frau gab. Bremens beherrschender Einfluß über das benachbarte Slawenland schien gesichert zu sein.
Da verriet ein furchtbarer Aufstand, zu dem der Sturz Adalberts im Jahre 1066 das Zeichen gab, daß der Haß der Wenden gegen die Christen und ihren Gott nicht erloschen sei: Gottschalk wurde erschlagen, ebenso die Bischöfe von Mecklenburg und Ratzeburg; wie Opfertiere wurden sie den heidnischen Göttern geschlachtet.
Adalbert sang wie das Standbild der Sage einen Hymnus des Lebens, wenn die Sonne des Glücks ihn berührte; dem Unglück gegenüber hatte er keine Widerstandskraft. Um dem Bischof von Würzburg gleichzukommen, der fast alle Grafschaften in seiner Diözese und zugleich die Herzogsgewalt besaß, hatte er möglichst viele Grafschaftsrechte aufgekauft und den umwohnenden Adel zu Vasallen gemacht und war dadurch in Schulden geraten. Seine königlichen Lebensgewohnheiten aufzugeben, war ihm unmöglich, lieber verkaufte er die Kirchenschätze und gab dadurch seinen zahlreichen Feinden Anlaß, ihn der Ketzerei und Zauberei zu beschuldigen. Als es ihnen gelungen war, ihn von Hofe zu verdrängen, und er schutzlos den Übergriffen der Herzöge von Sachsen preisgegeben war, flüchtete er aus der häßlichen Wirklichkeit tiefer in seinen Traum, der allmählich fast Wahn wurde. Um die Einzelheiten der Verwaltung hatte er sich nie kümmern mögen, die Folge war, daß er von allen Seiten betrogen wurde. Seine jähen Zornausbrüche, wenn er es erfuhr, wurden verlacht oder machten ihn verhaßt. Wenn er auch nach drei Jahren in seine Würde wieder eingesetzt wurde und Beweise königlicher Gunst in Fülle davontrug, so vermochte er doch weder sein Erzbistum noch seine verwilderte Seele neu zu ordnen. Um ihn herum bröckelte alles ab. Anstatt dem Verfall ernstlich zu wehren, raffte er gewaltsam