Deutsche Geschichte (Band 1-3). Ricarda Huch
regiert, und zwar gerade in bezug auf das Verhältnis des Reichs zur Kirche. Heinrich V. hatte sich mit päpstlicher Unterstützung gegen seinen Vater aufgelehnt, um das Reich an sich zu bringen, nicht um ein Werkzeug des Papstes zu werden. Da er als König fortfuhr, Bischöfe einzusetzen, als verstehe sich das von selbst, brach der Streit zwischen Kaiser und Papst sofort wieder aus. Paschalis II. liebte die Deutschen nicht, aber er war ein ehrlicher Gegner und rein in seiner kirchlichen Überzeugung, zu ehrlich, zu rein für einen Papst, der zugleich Beherrscher Italiens und der Welt sein wollte. Als der König den Papst fragen ließ, was denn aus ihm werden solle, und was denn die Grundlage des Reiches bilden solle, wenn ihm die Investitur der Bischöfe entrissen werde, da ja die früheren Könige fast alles der Kirche übergeben hätten, antwortete der Papst: die Kirche solle mit dem Zehnten und Opfer zufrieden sein, der König aber solle alle Güter und Regalien, die von Karl, Ludwig, Otto, Heinrich und seinen übrigen Vorgängern der Kirche übergeben worden wären, für sich und seine Nachfolger zurückerhalten. Er selbst wolle die Güter und Regalien auf rechtliche Weise der Kirche nehmen. Es war eine Antwort, wie ein Kind sie hätte geben können, die einzige Antwort, die dem Recht entsprach, verblüffend in der Einfachheit und Schärfe, mit der sie den unlösbaren Knoten des Konfliktes durchschnitt. Der Kaiser, ein besserer Menschenkenner als der Papst, glaubte nicht an die von jenem eröffnete Möglichkeit; aber er konnte dabei nur gewinnen und stimmte zu. Eine Bereicherung der Krone, wie kein König sie mehr zu denken wagte, wäre die Rückgabe des Kirchengutes gewesen, von unabsehbaren, vielleicht umwälzenden Folgen für das Reich. So wurde im Jahre 1111 die merkwürdige Vereinbarung abgeschlossen, bei welcher der König auf die Investitur verzichtete, und der Papst eine Urkunde aufsetzte, um im Namen der kirchlichen Würdenträger die Regalien, die sie seit Karl dem Großen erhalten hatten, zurückzugeben. Der entrüstete Widerspruch der italienischen wie der deutschen Bischöfe zwang Paschalis, sein gegebenes Wort zurückzunehmen, worauf der König um den Verrat zu rächen, mit einem Heer Rom überfiel und den Papst nebst einigen Bischöfen und Kardinälen gefangennahm. Allein er hatte zu viel Feinde, um in diesem Streite siegen zu können: ein Teil der Bischöfe, Burgund und Frankreich traten auf die Seite des Papstes, vor allen Dingen war es aber wieder der Abfall der Sachsen, der ihn nötigte, seine Macht gegen den Norden zu wenden. Beide Teile sahen endlich ein, daß sie vom Äußersten ihrer Ansprüche etwas aufgeben mußten, und so kam im Jahre 1122 auf einem Fürstentage zu Worms das Konkordat zustande; der unglückliche Paschalis war einige Jahre vorher gestorben. Der Kaiser gewährte allen Kirchen sowohl im Königreiche wie im Kaiserreiche die kanonische Wahl, nämlich die Wahl der Bischöfe durch das Kapitel, und überließ dem Papst und der Kirche die Investitur mit Stab und Ring; der Papst, es war Calixtus II., erteilte dem König das Privileg, daß die Wahl der Bischöfe und Äbte in seiner Gegenwart vollzogen werde, daß er bei strittiger Wahl das Recht des Schiedsspruchs habe und daß in Deutschland der Gewählte vor dem Empfang der kirchlichen Weihe mit den Regalien zu belehnen sei. Im Kaiserreich hingegen, das heißt in Burgund und Italien, solle die Weihe der Belehnung mit den Regalien vorangehen. Der Papst ließ den Text des Wormser Konkordates als Inschrift in einem Gemach des Laterans anbringen, obgleich er sich kaum einbilden konnte, er habe einen bedeutenden Erfolg errungen. Im Grunde war das, worauf der König verzichtete, geringer, als das, was er gewann. Daß einer bedeutenden Persönlichkeit die Möglichkeit blieb, einen beherrschenden Einfluß auf die Bischöfe auszuüben, zeigte sich während der ganzen Regierung Friedrichs I.
Von Friedrich Barbarossa könnte man vielleicht sagen, daß er die Genialität der Gesundheit besaß. Er war nicht hervorragend begabt, aber doch genug, um alle Verhältnisse gut beurteilen zu können, der gesunde Menschenverstand ersetzte, was ihm an Bildung fehlte. Er sprach gut und gern; als er die ersten Proben seiner Redekunst gab, herrschte allgemeines Erstaunen über dies Vermögen eines Ungelehrten. Man behauptete, wenn er nicht lateinisch spreche, unterlasse er es nur, um als Deutscher die deutsche Sprache zu ehren. Er konnte liebenswürdig und fröhlich sein, aber immer auf dem Grunde des gesammelten Ernstes, den sein hohes Amt forderte. Andererseits ließ er sich durch keinen Schicksalsschlag, deren ihn so manche trafen, entmutigen oder nur niederdrücken; niemand sah ihn je anders als aufrecht und zuversichtlich. Das wurde ihm durch seine kräftige Körperlichkeit erleichtert. Er war wie in Drachenblut gebadet, ohne daß eine verletzliche Stelle geblieben wäre; noch als älterer Mann war er im Turnier und in der Schlacht immer frisch, immer freudig bei der Sache, immer königlich sicher. In der Kraft seiner Persönlichkeit besaß er den Zauber, der das Glück und die Menschen fesselt.
Im Beginn seiner Regierung hatte der König Gelegenheit, einen Vorteil über den Papst davonzutragen. Schon zur Zeit seines Vorgängers machte die Stadt Rom den Versuch, sich vom Papst unabhängig und zu einer selbständigen Republik zu machen. In Erinnerung an ihre einstige Größe wurde ein Senat eingesetzt, der Konrad III. aufforderte, zu kommen und nach Beseitigung des klerikalen Widerstandes von ihm die Krone zu empfangen. Konrad antwortete nach längerem Zögern so, daß er für die Einladung dankte und sein Kommen in Aussicht stellte, die gemeldete Neuordnung aber unerwähnt ließ. So ging, ohne daß von kaiserlicher Seite davon Notiz genommen wurde, die römische Bewegung weiter und verband sich mit dem von religiösen Ideen ausgehenden Kampfe des Arnold von Brescia gegen die weltliche Macht der Kurie. Was dieser vom geistlichen Standpunkt aus verlangte, daß der Papst sich auf das Geistliche beschränke, wollten die Römer, um von der päpstlichen Herrschaft unbehindert ihre Stellung als herrschender Weltstaat wiedergewinnen zu können. Papst Eugen IV. wurde vertrieben, Arnold und die Stadt Rom forderten Friedrich auf, sich in Rom die Kaiserkrone zu holen. Vermutlich kam ihm so wenig wie Konrad auch nur auf einen Augenblick der Gedanke, sich auf diese Weise von seinem mächtigen Gegner zu befreien. Die Römische Republik hatte kein Gewicht im Gedächtnis der germanischen Könige gegenüber der Erinnerung an das Römische Kaiserreich. Gewiß war Rom für sich kein Machtbereich und mit seinem anspruchsvollen, unruhigen Adel und seiner beschäftigungslosen Bevölkerung uneinig und unzuverlässig; aber Arnold von Brescia hatte Anhänger, und es war denkbar, daß ein über ein starkes Heer gebietender König mit den Kräften, die sich ihm in Rom zur Verfügung stellten, etwas ausrichten könnte. Das alles aber, was die Römer vorbrachten, war für den König leerer Schall. Wirklichkeit hatte für ihn nur das Imperium, das von Gott den deutschen Königen vermittels des Papstes übertragen war, wovon die Krönung und Salbung durch den Papst in Rom die vollendenden Zeichen waren. Er zweifelte an der Kirche mit ihrem Oberhaupt, dem Papst, so wenig wie an Gott, so wenig wie am Imperium der deutschen Könige und seinem eigenen Recht.
Dem glücklichen politischen Gedanken Friedrichs, der Versöhnung mit den Welfen, dankte er es, daß er sich ungehemmt nach Italien wenden konnte; es zeigte sich, daß einem deutschen Könige, der über alle Mittel des Reiches verfügen konnte, noch eine große Machtfülle zu Gebote stand. Das einige Reich, einig durch das Zusammenwirken zweier Fürsten, erregte überall Bewunderung und Schrecken. Die Könige von Dänemark, Ungarn, Polen, durch dynastischen Zwist geschwächt, mußten sich abhängig bekennen. Nach Italien zog Friedrich mit dem Entschluß, dieselbe Stellung wiederzugewinnen, die Karl der Große und Otto der Große eingenommen hatten. Er fand Entgegenkommen beim Adel und Widerstand bei den Städten, namentlich bei Mailand, der größten und reichsten; aber gerade darauf legte er Wert, daß er die Mittel der reichen handeltreibenden Städte in die Hand bekäme. Nach altem Herkommen hielt er eine Tagung auf den Roncalischen Feldern, wo die Lehensträger zu erscheinen und ihre Lehen in Empfang zu nehmen hatten. Dort wurde mit Hilfe von juristisch gebildeten Personen untersucht, was dem Kaiser zustehe, was nicht; denn es war Friedrich ernst damit, sein Recht, aber nichts als das in Anspruch zu nehmen. Die Juristen der berühmten Schulen von Bologna und Padova unterstützten ihn über Erwarten; für ihre formalistische Denkart kam einem römischen König deutscher Nation als Nachfolger der römischen Cäsaren dieselbe unumschränkte Herrschaft zu wie den Kaisern des Altertums. Nach ihren Ansprüchen war ein römischer König nicht sehr verschieden von einem Despoten, der über Hab und Gut seiner Untertanen verfügen kann. Friedrich war sich bewußt, daß er in Rechtsfragen an die Zustimmung der Großen seines Reiches gebunden war; aber die aus dem römischen Recht geschöpften Sentenzen über die Göttlichkeit der Kaiserwürde hoben doch sein imperatorisches Selbstgefühl. Vor allen Dingen den Städten gegenüber glaubte er unbedingter Herr zu sein; er sah in ihnen nicht wie im hohen Adel Genossen, nicht wenigstens durch den kriegerischen Beruf ihm Angeglichene wie die Dienstleute, die Ministerialen, sondern dem Stande nach Tieferstehende, emporgekommene Untertanen,