Die neue Praxis Dr. Norden Staffel 1 – Arztserie. Carmen von Lindenau

Die neue Praxis Dr. Norden Staffel 1 – Arztserie - Carmen von Lindenau


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sie, und für einen Moment trafen sich ihre Blicke.

      »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag«, verabschiedete sich Danny und ging schnell weiter. Wie immer, wenn Olivia ihn mit ihren hellen blauen Augen anschaute, hatte er das Verlangen, sie länger anzusehen, aber das gestattete er sich nicht, weil er keine Ahnung hatte, wohin das möglicherweise führte.

      Auf dem Weg zurück zu seinem Haus sah er sich ein paar Mal um, so als befürchtete auch er, Olivias Verfolger könnte sich in der Nähe aufhalten, obwohl er das eigentlich nicht für wahrscheinlich hielt. Genau wie die Polizei glaubte er, dass der Mann längst das Weite gesucht hatte, weil er davon ausgehen musste, dass nach seiner Fahrerflucht nach ihm gefahndet wurde.

      *

      Die Praxis hatte einen separaten Eingang zum Hof, der durch eine Hecke aus dichtgewachsenen Koniferen vom Garten getrennt war. Da Danny es eilig hatte, ging er nicht noch einmal ins Haus, sondern nahm den direkten Weg durch den Hof. Schwungvoll öffnete er die Tür und betrat den hellen Empfangsbereich. Lydia und Sophia, seine beiden Sprechstundenhilfen, standen hinter dem modernen Tresen mit der eingebauten LED-Leiste, die den Boden beleuchtete. Sophia hielt den Telefonhörer der Haussprechanlage in der Hand, ließ ihn aber sinken, als sie auf ihn aufmerksam wurde.

      »Da sind Sie ja, wir dachten schon, Sie hätten verschlafen. Sophia wollte Sie gerade anrufen. Wie ich sehe, haben Sie aber schon einen Hausbesuch gemacht«, stellte Lydia fest. Die hübsche junge Frau mit dem kinnlangen dunkelblonden Haar schaute auf die Arzttasche, die er bei sich hatte.

      »Gut beobachtet«, antwortete Danny. Lydia, die bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv war, besaß die Gabe, sofort das Wesentliche zu erkennen, woraus sie Rückschlüsse ziehen konnte. »Das sieht nach einem turbulenten Vormittag aus«, stellte er fest, als er in den Wartebereich schaute, der nur durch eine Glaswand von der Diele getrennt war. Die gelben Sessel in dem Raum mit dem dunklen Holzboden und den Grünpflanzen in ihren weißen Kübeln waren alle besetzt.

      »Gusti Meier ist auch wieder da. Dieses Mal mit ihrem Enkel«, raunte Sophia Danny zu. Die zierliche junge Frau, die ihr hellblondes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden trug, hatte sich über den Tresen gebeugt, um sicher zu gehen, dass außer Lydia niemand ihre Bemerkung hörte.

      »Der Junge behauptet, seine Großmutter hätte ihn gezwungen hierherzukommen, obwohl ihm nichts fehlt. So ganz nehme ich ihm das aber nicht ab, er sieht ziemlich blass aus«, schaltete sich Lydia in das Gespräch ein.

      »Möglicherweise spielt er nur den Starken, so wie viele Jungs in seinem Alter«, mutmaßte Danny.

      »Beruht diese Aussage auf eigener Erfahrung, Herr Doktor?«, fragte Lydia.

      »Könnte schon sein«, antwortete Danny schmunzelnd.

      »Ich glaube, wir erregen mit unserer Tuschelei schon Aufmerksamkeit«, stellte Sophia fest, die ins Wartezimmer schaute und die neugierigen Blicke der Patienten bemerkte, die ihrer kleinen Unterhaltung galten.

      »Da wäre noch etwas, was Sie wissen sollten«, sagte Danny, als Sophia und Lydia sich schon aufrichten wollten.

      »So wie Sie uns gerade ansehen, ist es nichts Gutes«, entgegnete Lydia mit einem skeptischen Blick.

      »Es geht um diesen Mann, der Frau Mai verfolgt. Ophelia und ihre Mutter glauben beide, dass sie ihn heute Morgen in der Nähe ihres Hauses gesehen haben. Sollten Sie eine ähnliche Beobachtung machen, nehmen Sie sie bitte ernst«, bat Danny die beiden.

      »Weiß meine Mutter Bescheid?«, wollte Lydia wissen.

      »Frau Mai wollte sie anrufen.«

      »Hoffentlich finden sie diesen kranken Kerl endlich, damit die Mais Ruhe haben«, sagte Sophia leise.

      »Meine Mutter hat die Sache nicht vergessen, sie sucht nach wie vor nach ihm«, versicherte ihr Lydia.

      »Wir sollten unsere Patienten nicht länger warten lassen«, sagte Danny, als er ins Wartezimmer sah und sich alle Blicke gleichzeitig auf ihn richteten.

      »Alles klar, Herr Doktor«, sagte Lydia, und sie beendeten ihre kleine morgendliche Unterhaltung.

      Während er den Gang hinunterlief, an dessen Ende das Sprechzimmer lag, rief Sophia den nächsten Patienten zur Blutentnahme auf, und Lydia kümmerte sich um die eingehenden Anrufe.

      Danny schloss die Tür des Sprechzimmers hinter sich, stellte seine Arzttasche unter den Schreibtisch mit der großen weißen Schirmlampe, die an einem biegsamen Stahlarm befestigt war und bei Dunkelheit den ganzen Raum ausleuchtete. Bevor Danny mit der Sprechstunde begann, gönnte er sich noch ein paar Sekunden, um durchzuatmen.

      Er setzte sich hinter den Schreibtisch, schaute auf die Landschaftsbilder, die in dunklen Holzrahmen an den Wänden hingen, und danach auf die antike Standuhr aus Ahornholz, die in einer Ecke des Raumes stand. Fanny Moosinger, der diese Uhr einmal gehörte, behauptete, sie besäße magische Kräfte, die sie dem alten Holz zuschrieb, aus dem sie gemacht war. Über welche Kräfte die Uhr auch verfügte, sie sorgte in diesem Raum für eine angenehme Atmosphäre, wie ihm schon viele Patienten bestätigt hatten.

      Er zog die oberste Schublade seines Schreibtisches auf und nahm die Postkarte heraus, die vor ein paar Tagen in seinem Briefkasten lag und die er aus einer sentimentalen Stimmung heraus aufgehoben hatte. Noch einmal las er den in einer zierlichen Handschrift abgefassten Text:

      Wir hatten eine wundervolle Zeit, die ich nie vergessen werde. Auch wenn ich dir wehgetan habe, hoffe ich, dass auch du dich an diese schöne Zeit erinnern wirst.

      Wir werden sehen, was von alldem bleibt, dachte Danny. Im Moment war ihm die Zukunft wichtiger als die Vergangenheit. Kurz entschlossen riss er die Karte in kleine Schnipsel und entsorgte sie in dem Papierkorb, der unter dem Tisch stand. Manchmal musste man einfach einen Schlussstrich ziehen, um in Ruhe weiterleben zu können. Er drückte auf die Taste seines Haustelefons, die Sophia und Lydia signalisierte, dass er bereit für die Sprechstunde war.

      Gleich darauf konnte er Gusti Meiers Patientenakte auf dem Monitor seines Computers sehen und auch die Akte ihres Enkels Marius, in die bisher neben dem Namen nur das Geburtsdatum und die Adresse des Jungen eingetragen waren. Die beiden würden gleich da sein, und er ging zur Tür, um sie zu begrüßen.

      Lydia hat recht, der Junge ist wirklich auffallend blass, dachte er, als die korpulente Mittsechzigerin im dunkelblauen Trachtenkostüm und der schlaksige Junge mit dem streichholzkurzen Haar, der schon fast so groß wie seine Großmutter war, auf ihn zukamen. »Guten Morgen, Herr Doktor«, sagte Gusti und schob Marius an Danny vorbei ins Sprechzimmer.

      »Guten Morgen«, entgegnete Danny freundlich und schloss die Tür hinter den beiden. So wie es inzwischen in vielen Arztpraxen üblich war, verzichtete auch er auf das Händeschütteln mit seinen Patienten, was für beide Seiten aus hygienischen Gründen ein Vorteil war. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte er, nachdem er sich hinter seinen Schreibtisch gesetzt hatte und Gusti und Marius ihm gegenüber auf den beiden Stühlen Platz nahmen.

      »Es geht um den Buben. Er hat ADHS«, klärte Gusti ihn über den Grund ihres Besuches auf.

      »Und wie kommen Sie darauf?«, fragte Danny, während er Marius ansah, der vollkommen entspannt auf seinem Stuhl saß, seine Hände in die Taschen seiner Jeans steckte und den Kaugummi, den er im Mund hatte, genüsslich von einer Seite auf die andere schob.

      »Sie wissen doch, dass er die sechste Klasse wiederholen muss, weil diese Lehrerin, diese Frau Kern, ihm in Mathematik und Sport schlechte Noten gegeben hat«, sagte Gusti.

      »In welchem Zusammenhang steht das mit Ihrer Diagnose?«, fragte Danny so höflich, wie es ihm möglich war. Gusti Meier hatte vor ein paar Wochen die junge Lehrerin in aller Öffentlichkeit beschuldigt, Marius nur deshalb schlecht zu benoten, weil sie ihn angeblich nicht leiden konnte. Gusti hatte sich dafür beinahe eine Verleumdungsklage eingehandelt. Er war davon ausgegangen, dass sie inzwischen begriffen hatte, dass ihr Enkel sich diese Noten selbst eingehandelt hatte.

      »In der Schule steht es schon wieder nicht zum Besten. So wie ich das sehe, kann der Bub sich nicht richtig konzentrieren. Das bedeutet, er


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