Ascension-Saga- 7. Grace Goodwin

Ascension-Saga- 7 - Grace Goodwin


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echtes Bett. Trinkwasser. Essen. Bequeme Kleidung und warmes Schuhwerk. Es war kein Ritz-Hotel, aber ich war auch nicht mehr länger am Abkratzen.

      Trotzdem, mit jedem leisen Gleiten der Zellentür fürchtete ich, was als Nächstes kommen könnte. Genau wie jetzt, als Narbengesicht hereinkam. Zum ersten Mal kam er in Begleitung. Ein Priester folgte ihm, sein Umhang wirbelte um seine Knie. Niemand besonderes. Ein rangniederes Mitglied der Garde. Das Abzeichen auf seiner Brust, welches seit meiner Flucht unverändert geblieben war, hatte es mir verraten. Aber er kam herein und blieb bei der Tür stehen und als sich diese hinter den beiden wieder zuschob, waren wir alle drei in dem kleinen Raum eingeschlossen.

      Narbengesicht türmte sich in meiner winzigen Zelle auf, die wulstige Haut auf seiner Wange und an seinem Kiefer entlang glänzte im grellen Licht. Ich weigerte mich vom Bett aufzustehen oder ihm auch nur das kleinste bisschen Respekt entgegenzubringen. Er hatte nichts dergleichen verdient und er wusste es. Ich hob mein Kinn und faltete die Hände im Schoß.

      Ich wartete.

      “Bestimmt möchtest du das Neueste von deiner Familie hören,” sprach er und seine raue Stimme entbehrte sich jedem Mitgefühl. Genau wie seine Seele. Sie war schwarz. Leer.

      Und wie ich das wollte. Ich wollte Trinity auf dem Thron sehen, sie sollte regieren. Sie war die geborene Anführerin und würde eine großartige Königin abgeben. Das war seit Jahren ein Traum von mir gewesen, aber jetzt befürchtete ich, dass ich ihn nie selber erleben würde. Normalerweise könnte sie Alera nur regieren, wenn ich bereits tot oder offiziell abgetreten wäre. Aber meine Gefangennahme und mein Verschwinden stellten eine Lücke in dieser Regelung dar, die leider niemand vorausgesehen hatte.

      Und Faith. Der Giftanschlag im Hause Jax. Da steckte noch mehr dahinter und ich wollte es verzweifelt hören. Mit Sicherheit stimmte es nicht. Seit Wyse mir diesen Happen zugeworfen hatte, musste ich ununterbrochen darüber nachdenken. Aber es war alles nur Spekulation meinerseits. Ich wusste nichts.

      Und Destiny. Wyse wusste, dass sie existierte; er kannte ihren Namen. Aber sonst wusste er nichts? War sie aufgeflogen?

      Ich wartete still und Narbengesicht grinste.

      “Ich bedauere dir mitteilen zu müssen, dass es in deiner Familie einen Todesfall gegeben hat.”

      Ich spürte, wie mein Gesicht ganz schal wurde. Kleine weiße Punkte tanzten durch den Raum. Meine Handflächen fingen an zu schwitzen und mir wurde überall ganz heiß. Narbengesicht redete weiter, aber ich konnte ihn nicht hören, weil das Blut in meinen Ohren rauschte.

      Eine von ihnen war tot. Oh Gott! Welche von ihnen? Wann? Wie?

      Warum saß ich in aller Sicherheit in dieser blöden Gefängniszelle fest, während meine Mädchen in Gefahr waren? Warum?

      “Er war nicht länger von Nutzen, also ist er eliminiert worden. Ein Risiko weniger.”

      Narbengesicht sprach ganze Sätze, aber ich verstand nur einzelne Worte davon. Ich konnte kaum noch klar denken.

      Eines meiner Mädchen war tot.

      Dann aber wurde mir klar, dass Narbengesicht er gesagt hatte.

      “Er?” fragte ich mit tauben Lippen.

      “Dein liebster Cousin, Lord Wyse, ist tot.”

      Erleichterung machte sich so rasant in mir breit, dass mir übel wurde. Ein Lachen sprudelte aus mir heraus.

      Narbengesicht zog eine dunkle Augenbraue hoch, sagte aber nichts darauf.

      Ich musste lächeln. Keines meiner Mädchen war umgekommen. Der Göttin sei Dank. “Was immer ihm zugestoßen ist, er hat es verdient,” entgegnete ich. “Ich nehme an, dass wer auch immer mich hier festhält, ihn umgebracht hat.”

      Narbengesicht nickte.

      “Warum erzählst du mir davon?” fragte ich. Coburt hatte ich nur als verschlossenen, ernsten Jungen aus meiner Jugend in Erinnerung, und in letzter Zeit als meinen Entführer. Einen Verräter. Er bedeutete mir weniger als nichts.

      “Lord Wyse war Inspektor Optimi und Vater von Radella, die bis zur Rückkehr deiner Töchter Thronerbin war. Er war mächtig und voller Hinterlist. Mit exzellenten Kontakten.”

      “Er ist tot. Also war er nichts weiter als eine Marionette.”

      Sein Lächeln versiegte, als ob ich etwas Wichtiges herausgefunden hatte. “Ja. Eine Marionette. Genau wie du,” erwiderte er. Als Lord Wyse noch am Leben war, mochte er sich ihm gegenüber unterwürfig gezeigt haben, aber jetzt war klar, dass er meinem Cousin gegenüber nicht wirklich treu war. Mehr als klar.

      So viel Drama. Warum machte er sich die Mühe mir zu sagen, dass Lord Wyse nicht der Strippenzieher hinter meiner Entführung war? Als der Angriff im Palast stattgefunden hatte, war er selber nur ein Junge gewesen. Wir beide waren fast noch Kinder gewesen. Was sollte das hier? “Was willst du? Du weißt, dass Lord Wyse mir herzlich egal ist. Ich habe keine Angst vor dir. Du allerdings solltest dich vor mir fürchten.”

      Er lachte, und zwar so kaltherzig, dass ich erschauderte. “Wir haben Pläne für dich, meine Königin.”

      “Du meinst, dein echter Boss hat Pläne für mich.” Soviel stand fest. Ich hatte lange genug in dieser Zelle gesessen, um das herauszubekommen, und er wusste es. “Dann bring mich zu ihm. Oder zu ihr. Lass es uns hinter uns bringen. Warum würdest du mich weiter hier festhalten?”

      “Dein Nutzen wird Ort und Zeit haben,” entgegnete er. “Wenn der K—”

      Ionenfeuer erfüllte den Raum. Narbengesicht riss schockiert die sonst so höhnischen Lippen auf, als er auf die Knie und dann zu Boden fiel.

      Er brachte den Satz nie zu Ende. Der Priester, der bis jetzt regungslos dagestanden hatte und den ich schon völlig vergessen hatte, hob seinen Arm. Der lange Ärmel fiel zurück und enthüllte eine Ionenpistole. Noch ehe ich blinzeln konnte, hatte er Narbengesicht in den Rücken geschossen.

      Mit Entsetzten sah ich zu, wie mein Folterknecht, mein Gefängniswärter seit meiner Entführung auf den Boden rollte. Mit offenen Augen starrte er an die Decke. Blind. Tot. Eine Blutlache bildete sich um ihn herum. Keine ReGen-Technologie würde ihn mehr retten können.

      Als der Schock mich schließlich einholte, stieß ich ein spätes Keuchen aus. Langsam stand ich auf und blickte den Priester an. Ich würde die Nächste sein.

      Aber anstatt abzudrücken, senkte er die Waffe und sie verschwand wieder unter seinem Ärmel. Als ob nichts gewesen wäre.

      “Sein Nutzen hatte ihren Ort und ihre Zeit. Und ist abgelaufen.”

      Die Stimme des Priesters war langsam und tief. Ruhig. Er war kein Priester, zumindest keiner der friedliebenden Ordensschüler, die ich noch kennengelernt hatte.

      Coburt Wyse war tot. Narbengesicht war tot. Lord und Lady Jax waren tot. Jemand war dabei, sich aller losen Enden zu entledigen. Jemand war dabei all die zu töten, die über mich Bescheid wussten, oder den eigentlichen Plan am Werke.

      Wer war der Drahtzieher?

      Als ich mitansah, wie der Priester den Leichnam aus meiner Zelle schleifte, hatte ich das Gefühl, dass ich es bald genug herausfinden würde.

      1

       Destiny, Festung des Priesterordens in den Bergen von Mytikas

      Auf der Erde nannte man Mitternacht auch die Geisterstunde. Hier aber, hinter den Mauern des Priesterordens war es eher die Gesangsstunde. In fast jedem Raum der endlos langen Gänge versammelten sich die Priester—im Training oder nicht—und sangen. Sie gaben einfach keine Ruhe mehr. Und als sie schließlich verstummten, ging das Meditieren los. Priester blieben lange auf, ihre Körper hatten sich irgendwie dem schimmernden Mondschein auf den Aleranischen Blumen angepasst, die außerhalb der Zitadelle wuchsen.


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