DIE SIDHE. John Matthews

DIE SIDHE - John  Matthews


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alten Auto gingen. »Es ist nur so, dass da in Gortnasheen, nun ja, etwas anders ist.«

      Ich hörte den Namen zum ersten Mal. Selbst da schon, bevor ich überhaupt an Ort und Stelle war, spürte ich wieder dieses »Prickeln«, für das es keine rationale Erklärung gab.

      Ich sagte nichts und zog es vor abzuwarten, wie die Dinge sich entfalten würden.

      Nach dieser Bemerkung mied Keith auffällig jede weitere Bemerkung zu seiner neuesten Ausgrabung. Stattdessen redete er, während wir aus dem Ballungsraum der Großstadt Dublin hinaus nach Westen in die saftig grüne Landschaft fuhren, über allgemeine Themen. Er erkundigte sich, was ich getrieben hatte seit unserer fast drei Jahre zurückliegenden letzten Begegnung (auf einer sehr langweiligen Party zu Ehren eines sehr langweiligen Kollegen). Was seine eigenen Aktivitäten anging, erzählte er nur von anderen interessanten Orten, wo unter Schirmherrschaft des Irish Heritage Board gegenwärtig Ausgrabungen stattfanden. Aber obwohl ich zuhörte und höfliches Interesse zeigte, kreisten meine Gedanken um Gortnasheen und die Frage, was mich wohl dort erwartete.

      Irgendwie, auch wenn ich es nicht hätte in Wort fassen können, wusste ich, dass ich dort viel mehr vorfinden würde als einen Haufen Steine und eine archäologische Grabungsstätte.

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      Die Fahrt von Dublin nach Gortnasheen dauerte etwas mehr als zwei Stunden. Die Landschaft, durch die wir fuhren, war ohne größere Erhebungen – ein leuchtend grüner, welliger Teppich. Bei meiner Ankunft war der Himmel grau und bedeckt gewesen, aber als wir Richtung Westen fuhren, klarte das Wetter auf, und bald zeigte sich eine wässrige Sonne. Keith sagte, dass dies der erste Tag seit fast einer Woche sei, an dem es nicht pausenlos regnete. (»Dieses Wetter hat uns die Arbeit nicht gerade erleichtert!«) Dann schwieg er, während wir die letzten Kilometer zum Dorf Dungarrow fuhren, dem der Ausgrabung nächstgelegenen Ort.

      Dort quartierte mich Keith in einem Gästezimmer des örtlichen Pubs ein und regte an, vor dem Besuch der Grabungsstätte etwas zu essen. Ich spürte plötzlich bei ihm ein Widerstreben, als befielen ihn jetzt, wo er mich hierher gebracht hatte, Zweifel, ob er das Richtige getan hatte.

      Während wir Fisch und Chips aßen und dazu ein frisch gezapftes Bier tranken, beschloss ich, das Thema offen anzusprechen.

      »Erzähl mir von eurem Fund«, tastete ich mich vor.

      Keith trank einen Schluck Bier und stellte das Glas vielleicht ein bisschen zu heftig wieder auf den Tisch. »Nimm’s mir nicht übel, aber ich will lieber nichts erzählen, bevor du an Ort und Stelle bist.« Dabei hatte ich den Eindruck, dass seine Wangen noch roter wurden als sonst. Und er wich eindeutig meinem Blick aus.

      »Du meine Güte, was habt ihr denn da ausgegraben? Einen Goldschatz?«, fragte ich leichthin.

      »Nein, das ist es nicht«, sagte Keith. Schließlich blickte er mir doch noch in die Augen. »Hör mal, das tut mir wirklich leid. Du musst denken, ich hab sie nicht alle. Es ist nur so, dass …« Er zögerte, dann fuhr er schnell fort: »Also, es ist ein Gefühl, nichts, was ich wirklich erklären kann. Ich möchte einfach, dass du dir den Ort unvoreingenommen anschaust. Ich will dich auf keinen Fall vorab irgendwie beeinflussen …«

      Mir lag die Erwiderung auf der Zunge, dass die ganze Geheimnistuerei genau das bewirkte, beschloss aber, lieber meinen Mund zu halten.

      Wir aßen ohne weitere Diskussion zu Ende und stiegen wieder in Keith’ Auto. Er lenkte es aus dem Dorf über eine kurvenreiche Straße, die in einen Feldweg überging, und als auch der endete, fuhr Keith einfach weiter, geradewegs über einen zerfurchten Acker.

      Schließlich, als ich schon fürchtete, entweder mein Körper oder sein klappriges Auto würde bei der Schaukelei den Geist aufgeben, hielt er an.

      Keith saß einen Moment da, bevor er den Motor stoppte. Dann wandte er sich mir zu, das Gesicht ernst.

      »Hör mal, ich habe keine Ahnung, warum ich dich hergeholt habe«, platzte er heraus. »Die Wahrheit ist – und ich weiß, das klingt komisch – ich habe drei Nächte hintereinander davon geträumt. Ich habe darüber nachgedacht, wen ich bitten soll, unseren Fund zu begutachten, und, ehrlich gesagt, dein Name stand nicht auf meiner Liste. Doch nach diesen Träumen fiel mir etwas ein, das du mal vor langer Zeit zu mir sagtest – dass nämlich manche dieser alten Stätten lebendiger sind als andere. Damals verstand ich nicht, was du damit meintest. Um die Wahrheit zu sagen – ich hielt dich für ein bisschen verrückt. Aber da ist etwas Besonderes an diesem Ort … na, du wirst es gleich selbst sehen …« Er verstummte und schaute mich mit einem Anflug von Verzweiflung an.

      »Na, dann los«, sagte ich und öffnete ungeduldig die Autotür. »Du kannst mir mehr über die Fundstätte erzählen, während wir hingehen.« Ich hatte schon den Blick über den Acker schweifen lassen, aber nichts entdecken können.

      Keith gab mir ein Paar Wellington-Stiefel, die er offenbar extra besorgt hatte, zog auch selbst Stiefel an, und kurz darauf stapften wir über den weichen Ackerboden.

      »Das meiste, was wir drinnen gefunden haben, ist neolithisch, ungefähr aus der Zeit um 2000 vor Christus«, sagte Keith, spürbar erleichtert, wieder über vertrautes Terrain zu sprechen. »Aber es gibt auch jüngere Fundstücke, von ungefähr 200 vor Christus, also aus keltischer Zeit. Die gegenwärtige Theorie ist, dass dieser Ort danach noch etwa achthundert Jahre genutzt wurde. Aber er ist definitiv viel älter. Ich schätze, viertausend Jahre älter.«

      »Wir haben es also mit einer Fundstätte aus der Steinzeit zu tun? Die dann später von den Kelten genutzt wurde?«

      Keith nickte und fügte hinzu: »Die eigentliche Frage ist: wofür genutzt?«

      Ich blieb abrupt stehen. »Du meinst, ihr wisst es nicht?« Von einem der führenden Archäologen war das eine sonderbare Bemerkung. Normalerweise sprudelten sie vor Ideen und Meinungen über den Verwendungszweck jeder Anlage, die sie ausgruben.

      Keith zögerte, ehe er antwortete. »So einfach ist es nicht. In vielerlei Hinsicht ist das hier eine ganz normale Ausgrabungsstätte. Was mich beunruhigt, sind die Unterschiede, auf die wir gestoßen sind. Aber ich überlasse es dir, dir deine eigene Meinung zu bilden.«

      Wir gingen hinüber auf einen anderen Acker, der durch eine Hecke abgeteilt war. Nun lag etwas vor uns, das lediglich ein Haufen Steinbrocken zu sein schien, in einer Bandbreite von sehr mächtig bis hinunter zu Kopfgröße. Auf den ersten Blick schien es nicht mehr als das zu sein. Aber ich hatte genug solcher Stätten besucht, um die eindeutigen Zeichen menschlicher Bautätigkeit erkennen zu können.

      Die Steine waren gar nicht so zusammengewürfelt, wie es zunächst den Anschein erweckte. Dort, wo sie noch halb unter der Erde begraben waren, sah man, dass sie zu einem aus dem Untergrund aufragenden Mauerwerk gehörten, während sie an anderer Stelle seitwärts aus diesem noch grob erkennbaren Mauerrund eines künstlich errichteten Hügels herausgefallen waren. Als wir um die Steine herumgingen, sah ich Spuren archäologischer Forschungsarbeit: Torf war weggeschaufelt worden, und ein langer Graben von etwa sechzig Zentimetern Breite und einem Meter achtzig Tiefe führte im rechten Winkel von dem Hügel weg.

      Dann gelangten wir zu der, wie ich wusste, Westseite des Hügels. Zwischen zwei besonders mächtigen Steinen befand sich dort eine niedrige, rechteckige Öffnung ins Dunkle. Das war offensichtlich der Eingang. Man hatte ihn mit Bändern abgesperrt und ein Schild hingehängt. Darauf stand:

       PRIVATGRUNDSTÜCK

      BETRETEN VERBOTEN!

      Keith öffnete die Absperrung.

      »Das, was du dir anschauen sollst, ist drinnen«, sagte er. »Auf einem Steinsims neben dem Eingang findest du eine Taschenlampe.«

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      Als ich vor dem Eingang des künstlichen Hügels stand, kehrte dieses Gefühl zurück, das ich schon zweimal verspürt hatte – nur dass es diesmal doppelt so stark war. In diesem Moment wäre ich keinesfalls überrascht gewesen,


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