Unheimlich. Ursula Isbel-Dotzler

Unheimlich - Ursula Isbel-Dotzler


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wir jetzt nicht mehr durch den Wald.“

      „Wir fahren euch mit den Mopeds hin“, versprach Sten.

      Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das macht zuviel Krach. Wir würden ganz Lilletorp aus dem Schlaf reißen. Außerdem bist du ein bißchen angesäuselt.“

      Er wollte wissen, was das wäre, angesäuselt. „Beschwipst“, sagte ich, doch auch das verstand er nicht.

      „Lätt berusad“, übersetzte Kristin.

      Sten wies diese Anschuldigung empört zurück. Er erklärte, von ein paar Flaschen Leichtbier könne nicht mal ein Baby beschwipst sein, das wäre einfach unmöglich.

      „Du wolltest aber unbedingt im Fluß baden“, hielt ihm Kristin vor.

      Sie kabbelten sich noch eine Weile herum, während wir Lilletorp hinter uns ließen. Magnus und ich ging schweigend, Hand in Hand. Der Mond stand rund und leuchtend über dem Wald und ließ die Wiesen und Felder wie Teiche glitzern.

      „Vackert“, murmelte Magnus andächtig; und ich brauchte ihn nicht erst zu fragen, um zu wissen, daß das schön bedeutete.

      Als wir in den Wald kamen, lag das Mondlicht in breiten Bahnen über dem Pfad, den Wurzeln, dem Moos und dem Blaubeergestrüpp. Im Licht und Dunkel huschten und flatterten allerlei Tiere; doch jetzt hatte ich keine Angst mehr vor diesem nächtlichen Leben – nichts Unheimliches war daran. Das waren Käuzchen, Fledermäuse und Eulen auf der Jagd, Mäuse auf Futtersuche, Nachtfalter, die durch die Zweige taumelten, Wiesel auf Beutejagd.

      „Hast du Furcht?“ fragte Magnus wie ein Echo auf meine Gedanken.

      „Nein“, sagte ich, „davor nicht – nicht mehr.“

      Sein Daumen streichelte meinen Handrücken. Hinter uns kicherten Kristin und Sten wie Kobolde, und Magnus fragte mich, ob ich Tolkiens Buch Der kleine Hobbit gelesen hätte.

      „Eine schöner Geschichte“, sagte er. „Ich erinnere sie immer, wenn ich im Wald bin.“

      Ich dachte daran, wie mutig der eigentlich so ängstliche kleine Hobbit gegen Spinnen, Ungeheuer und dunkle Fabelwesen gekämpft hatte. Auch an die Moral dieser Geschichte dachte ich – daß man tapferer werden kann, je mehr Mut die Umstände von einem fordern. War ich während dieser Ferien tapferer geworden? Bis jetzt sicher nicht; bis jetzt hatte ich nur immer wie ein Kaninchen reagiert, das von einer Schlange hypnotisiert wird, das weglaufen will und sich doch nicht von der Stelle rühren kann.

      „Glaubst du, daß es etwas nützt, gegen die eigene Angst anzukämpfen?“ fragte ich.

      Magnus sah mich an. Von der Seite wirkte sein Gesicht im Mondlicht sehr jung und sanft. Sein blondes Haar glänzte wie ein Strahlenkranz.

      „Ja“, sagte er, „das glaube ich schon. Aber nicht auf einmal, weißt du. Man muß es anders probieren – Schritt für Schritt. Auf ein Berg kommst du ja auch nicht mit ein einziges Hops – wie sagt man da? – hinauf.“

      „Mit einem einzigen Sprung“, erklärte ich nachdenklich. „Nein, da hast du recht; das geht nicht.“

      Hinter uns sang Kristin sehr laut und falsch: „Es geht ein Bi-Ba-Butzemann um unser Haus herum…“

      Die friedliche, märchenhafte Stimmung war zerstört. In der Ferne tauchte das Pfarrhaus zwischen den Bäumen auf; die Laterne brannte über der Vortreppe, und ein Torflügel stand offen.

      Mir war, als wartete es auf uns, doch es war kein gutes Gefühl. Unwillkürlich faßte ich Magnus’ Hand fester. Er sagte: „Wir hätten dir nicht das alles erzählen dürfen – daß es ein Spukhaus ist und so.“

      „Vielleicht hätte ich es auch von allein gemerkt“, erwiderte ich.

      Er blieb einen Augenblick stehen und sah mich im Mondlicht an. „Hast du etwas gemerkt?“

      Neben uns kreischte es. Kristin lief wie ein Irrwisch durchs Gebüsch, und Sten folgte ihr, schnaufend und brummend wie ein Troll. Ich erwiderte Magnus’ Blick. Er war so offen, so aufrichtig, daß ich nicht lügen mochte.

      „Ja“, sagte ich. „Ich hab etwas gemerkt, aber frage mich jetzt bitte nicht weiter. Ich werde es dir noch erzählen – sicher schon bald. Es ist alles so verworren… Ich finde mich selbst nicht zurecht.“

      Er schwieg eine Weile und nickte. „Wir sollten uns einmal einsam treffen“, sagte er dann. „Da können wir besser reden.“

      Das wollte ich auch – sehr gern sogar. Kristin war meine Freundin, und ich mochte Sten; doch jetzt wurde mir bewußt, wie gern ich einmal mit Magnus allein gewesen wäre. Allerdings hatte ich so meine Zweifel, wie ich das bewerkstelligen sollte. Wir hatten bisher alles gemeinsam getan, seit wir in Schweden waren, Kristin und ich. Vielleicht hätte sie mich nicht verstanden, wenn ich plötzlich versucht hätte, sie auszuschließen.

      „Das würde ich gern tun“, sagte ich zögernd. „Aber Kristin…“

      Sten und Kristin kamen angelaufen und rannten uns fast um. Wir kamen nicht mehr dazu, die Sache zu besprechen oder gar etwas auszumachen. Fast ein wenig verlegen verabschiedeten wir uns voneinander. Dann traten Kristin und ich durchs Tor in den Garten des Pfarrhauses, und Magnus und Sten gingen über den Waldpfad nach Lilletorp zurück.

      Ich sah mich sehnsüchtig nach ihnen um. Wie gern wäre ich mit ihnen gegangen! Auch Magnus wandte noch einmal den Kopf und hob die Hand.

      Ich winkte zurück. Es ging mir durch den Sinn, daß ich glücklich war, ihn kennengelernt zu haben. Alles könnte so schön sein, dachte ich, es könnten wunderbare, einmalige Ferien sein, wenn nicht dieses Haus wäre…

      Und ich sah auf das Pfarrhaus und empfand für einen Augenblick etwas wie Haß, so, als wäre es ein lebendes Wesen, ein Feind.

      14

      In dieser Nacht schlief ich endlich wieder besser. Vielleicht war es das ungewohnte Leichtbier, das mir festeren Schlaf und angenehmere Träume bescherte. Trotzdem erschrak ich, als Kristins Vater uns am nächsten Morgen beim Frühstück eröffnete, er müsse für vier Tage verreisen.

      „Eine Tagung in Kopenhagen“, sagte er. „Ich hoffe, es macht euch nichts aus, so lange hier allein zu sein.“ Und er fügte mit einem Augenzwinkern hinzu: „Aber wie ich merke, habt ihr ja schon Freunde gefunden und amüsiert euch gut.“

      Vier Tage allein im Pfarrhaus – nur Kristin und ich! Mir war plötzlich richtig elend. Ich ließ meine Kaffeetasse sinken und steckte die Hände in die Hosentaschen, um ihr Zittern zu verbergen.

      Ich merkte, wie Kristin mir einen Seitenblick zuwarf. Sie sagte: „Ja, schon; aber kann Märta nicht im Haus schlafen, während du weg bist?“

      „Ich habe sie bereits gefragt“, erwiderte ihr Vater. „Leider hat sie abgelehnt. Offenbar ist sie ein bißchen abergläubisch und nimmt die Spukgeschichten ernst, die man sich in der Gegend über das Pfarrhaus erzählt. Mir persönlich wäre es natürlich auch lieber gewesen, wenn ich wüßte, daß ihr nachts nicht allein seid. Aber tagsüber ist Märta ja hier. Nachts verriegelt ihr die Türen und Fenster gut, dann kann nichts passieren. In dieser Gegend ist noch nie etwas vorgekommen; eingebrochen wird hier nicht.“

      Die Türen und Fenster verriegeln! dachte ich bitter. Wenn es nur das wäre! Doch ich sagte nichts. Was hätte ich schon sagen können? Professor Zetterlund hätte mir ja doch nicht geglaubt. Doch was hatte seine Anwesenheit im Grunde genommen bisher geändert? Er schien nie etwas zu hören, und ich wäre wohl auch kaum auf den Gedanken gekommen, nachts an seine Tür zu klopfen und mich um Hilfe an ihn zu wenden.

      Wieder beobachtete mich Kristin von der Seite. Ihr Vater sagte: „Ich hatte eigentlich gar nicht vor, zu dieser Tagung zu fahren, aber ein Kollege ist krank geworden. Ich habe versprochen, an seiner Stelle einen Vortrag zu halten. Es widerstrebt mir wirklich, euch allein zu lassen; aber ihr seid schließlich fast erwachsen und könnt gut auf euch selbst achten.“


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