Die weiße Villa. Otto von Gottberg

Die weiße Villa - Otto von Gottberg


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wieder nieder und nickte dem Kriegsgerichtsrat zu:

      „Darum bitte auch ich.“

      Lund verbeugte sich:

      „Können gnädige Frau also erklären, wie das Taschentuch hierher kommen mag?“

      Sie verneinte mit einem Kopfschütteln, ohne die Lippen zu öffnen, senkte die Augen und trommelte mit den Fingern der Rechten auf die Lehne des Ledersessels, als sei sie verlegen. Der Kriegsgerichtsrat konnte sich nur an den Holländer wenden.

      „Haben Sie sich das Taschentuch Ihrer Herrin angeeignet?“

      Carl Hentjen lächelte nachsichtig: „In einem Haushalt wie dem meiner Herrschaft kann der Diener gar nicht an Damenwäsche gelangen.“

      Der belehrende Ton verstimmte den Kriegsgerichtsrat: „Das Tuch könnte verloren und von Ihnen gefunden sein.“

      „Ausgeschlossen, Herr Kriegsgerichtsrat! Das Aufräumen besorgen die Mädchen. Ich betrete die Zimmer erst, wenn es getan ist!“

      „Was sind denn Ihre Pflichten?“

      „In Berlin bediene ich den Herrn Botschaftsrat beim Ankleiden, warte bei Tisch auf, putze Silber und öffne die Tür. Auf der Jacht bin ich Steward und helfe auch beim Segeln. Hier im Haus des Herrn Admirals tue ich überhaupt nichts!“

      „Warum begleiteten Sie dann die gnädige Frau nach Emden? Herr Harder ist doch in Berlin.“

      Wieder sprach der Admiral, aber nicht streng, sondern leicht befangen:

      „Lassen Sie mich erklären, Herr Kriegsgerichtsrat, und nehmen Sie nur das Nötige zu Protokoll. Hentjen trat als Steward in den Dienst nur meiner Schwägerin. Ihr, aber nicht ihrem Mann, gehört nämlich die einst amerikanische Jacht ‚Fly‘. Während der ersten Fahrt von Cowes nach Kiel und dort, bei den Wettfahrten, zeigte Hentjen sich überraschend geschickt auch bei seemännischen Hantierungen. Darum hielt meine Schwägerin ihn fest und machte ihn zum Diener ihres Mannes, aber nahm ihn stets auch wieder auf die Jacht mit. Nun komme ich zu etwas Peinlichem. Meine Schwägerin lebt seit dem Mai unter meinem Dach, weil sie sich von Herrn Harder zu trennen denkt. Er will den Diener nicht aufgeben und sie ihren segelkundigen Steward behalten. Damit nun der Botschaftsrat Hentjen nicht überreden kann, bei ihm zu bleiben, schickte sie den Mann nach Ablauf der Kieler Woche nicht nach Berlin zurück, sondern brachte ihn mir nach Emden.“

      Der Kriegsgerichtsrat wendete sich wieder an Frau Harder: „Also hätte kein eigener Wunsch den Holländer nach Emden geführt, gnädige Frau? Anfänglich schien mir nämlich verdächtig, dass der Ausländer sich in Cowes zum Dienst bei Ihnen meldete, gerade ehe Sie zur Regatta nach einem deutschen Kriegshafen fuhren!“

      Frau Ada schüttelte den Kopf:

      „Nein, Herr Kriegsgerichtsrat! Carl, wie wir ihn nennen, ist auf mein Geheiss in Emden und dachte anfänglich überhaupt nicht an längeren Dienst in unserem Haus. Er hatte sich als Steward nur für die Regattazeit gemeldet und blieb auf mein Zureden. Uebrigens kann ich ihn nur loben. Er ist zuverlässig, anhänglich und wohl auch von anständigerer Gesinnung als gemeinhin Leute seines Berufes.“

      „Wie äussert sich das, gnädige Frau?“

      „Es lässt sich weniger gut sagen als fühlen. Wir glaubten oft, er möge kein Trinkgeld nehmen. Auch mied er die Küche und den Klatsch mit anderen Dienstboten, von denen er sich abschloss, um eigene Wege zu gehen.“

      Der Kriegsgerichtsrat lächelte in ihre fast schwarzblauen Augen hinter langen Wimpern. Ihm schien belastend, was ihr entlastend dünkte. Doch gleich stellte er dem Holländer neue Fragen, beugte sich über den Schreibtisch, als wolle er wieder am Protokoll schreiben, und griff plötzlich nach der Unterlage. Sein Zeigefinger wies auf den Abdruck im Löschblatt:

      „Kennen Sie die Schrift, Hentjen?“

      Der Mann zuckte die Achseln: „Nein!“

      Lund stand auf: „Setzen Sie sich hier an den Schreibtisch und schreiben Sie schnell, aber sehr schnell Ihren Namen, Beruf und Geburtsort!“

      Endlich schien Carl Hentjen verlegen und stotterte:

      „Ich ... kann nicht ... schreiben, Herr Kriegsgerichtsrat!“

      „Was? Sie behaupten nicht schreiben zu können und sagten eben, dass Sie ausser Ihrer holländischen Muttersprache Deutsch, Französisch und Englisch sprechen?“

      „Nein, ich kann weder lesen noch schreiben!“

      Verblüfft sah Lund auf des Mannes Herrin: „Sind gnädige Frau in der Lage, das zu bestätigen oder zu bestreiten?“

      Ada nickte: „Auch wir wunderten uns, als der sonst kluge oder fast welterfahrene Diener behauptete, er habe keine Schule besucht. Um seine Wahrheitsliebe zu prüfen, versuchte mein Mann ihn durch Ueberraschung oder List zum Lesen zu bringen. Alles war vergeblich. Wir überzeugten uns, dass Carl wirklich weder schreiben noch lesen könne. Uebrigens ist es keine Seltenheit, dass Illiteraten mehrere Sprachen reden. Namentlich italienische Kellner in den grossen Hotels und Restaurants der europäischen Hauptstädte plappern oft in fünf Zungen, ohne Zeitungen lesen zu können.“

      Auch der Admiral wollte gerecht sein: „Wenn der Mann lesen und schreiben könnte, hätte er längst das Steuermannsexamen gemacht oder wäre Schiffsführer. Sein praktisches Können als Seemann ist erstaunlich und befähigt ihn dazu!“

      „Dann ... dann bin ich mit Carl Hentjen fertig,“ sagte der Kriegsgerichtsrat mit einem Achselzucken, schrieb am Protokoll und befahl dem Holländer, drei Kreuze darunter zu setzen.

      „Sie bleiben noch,“ entschied der Admiral. „Aber du lässt uns jetzt wohl allein, liebe Schwägerin!“

      Doch der Kriegsgerichtsrat bat, Frau Harder noch befragen zu dürfen. Sie war schon an der Tür, aber trat wieder ins Zimmer.

      Lund sprach nochmals von dem Taschentuch. Der Holländer möge zwar hier im Haus des Admirals ihre Zimmer nicht betreten haben. Sei es aber nicht möglich, dass er das Tuch schon vor längerer Zeit, vielleicht in Berlin, oder auf der Jacht an sich gebracht habe?

      Frau Ada schloss die Augen und hob dann die langen Wimpern mit einem zweifelnden oder fragenden Blick auf Riessthal. Zögernd verneinte sie zunächst durch ein Kopfschütteln und sagte dann:

      „Unter dem Monogramm sehen Sie die Ziffer Eins. Das Tuch ist das erste eines neuen Dutzends, das der Postbote mir gestern nachmittag brachte, als ich während einer Arbeitspause der Herren mit den beiden Admiralstabsoffizieren meines Schwagers in der Gartenlaube Tee trank. Nachdem ich meinen Namen auf die Quittung für das eingeschriebene Paket gesetzt hatte, öffnete ich den Karton und nahm das oberste Tuch gleich in Gebrauch, weil ich meinen Nachbarn die eigenartig hübsche Stickerei zeigen wollte!“

      Lund nickte eine Aufforderung zum Weiterreden. Er fühlte, dass Frau Harder nur sprach, weil der Kapitänleutnant das Herausnehmen des Taschentuches gesehen hatte. Riessthal aber schüttelte den Kopf, als ärgere ihn die Gesprächigkeit der Dame, und auch der Admiral schien verdriesslich: „Dann ist es dir also verlorengegangen, vielleicht gestohlen oder genommen?“

      Sie nickte mit geschlossenen Lippen. Der Kriegsgerichtsrat fragte:

      „Wann und wo, gnädige Frau, haben Sie das Tuch zum letztenmal in der Hand oder bei sich gehabt?“

      Wieder suchte ein scheuer oder verlegener Blick der schwarzblauen Augen Riessthal: „Das war . . . . . . im Korridor!“

      „Die Zeit, gnädige Frau?“

      „Mein Gott, ich trage keine Uhr!“

      „Wann gingen Sie zu Bett, gnädige Frau?“

      Trotz ihres Erschreckens konnte Ada sich zum Lächeln zwingen:

      „Wer denkt beim Schlafengehen an die Zeit?“

      „Besinne dich, liebe Schwägerin,“ mahnte der Admiral mit leichtem Vorwurf in der Stimme. Adas Verhalten missfiel ihm und musste den Verdacht wecken, dass sie etwas verheimliche. Um ihr zu helfen, wendete


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