Koblanks Kinder. Erdmann Graeser
dann zurückkam, sagte er verwundert: »Nanu – immer noch solo? Mieze hat dich wohl versetzt?«
»Wer weiß, was mit der wieder los ist – da muß man ja immer auf was gefaßt sein! Übrigens – da kommt sie ja, bringt auch noch eine mit, gratuliere, Heupferd, nu biste versorgt!«
Die beiden Mädchen waren an den Tisch getreten, »’n Abend«, sagte Mieze, ein hübsches, blasses Mädchen mit blondem Wuschelhaar. »Ich war vorhin schon hier, hab’ dann nur meine Schwester vom Bahnhof abjeholt – kommt direkt aus dem Jeschäft, kann nicht vor Ladenschluß fort. Hier, setz dich, Jrete – so, bei Herrn Seifert, von dem ich dir schon erzählt hab’. So – und ich hier! Na ...?« Und sie sah alle und dann Theo, an dessen Seite sie sich gesetzt, ganz besonders prüfend an.
»Kellner, zwei Bier, dunkel!« sagte sie.
Seine Beziehungen zu Mieze bestanden bereits seit vier Wochen, und die Liebe war daher völlig abgeklärt. Seifert dagegen stand mit Grete vor einem völlig neuen Problem, und da sie ihm, wie übrigens jedes Mädchen, ausnehmend gut gefiel, war er glücklich, vor ihr Parade reiten zu können, indem er von dem Leichenpräparat erzählte, an dem er heute gearbeitet hatte.
Aber Grete sagte schaudernd: »Wenn Sie dann mittags Biefstück essen – sehen Sie dann das andere nicht immer vor sich?«
»Dann könnte ich nicht Arzt sein, wenn mich das störte!«
»Nee – da ist ein Fotograf besser d’ran«, sagte Grete, »Fotograf ist was Schönes!«
»Na – Sie sollen mich ja auch nicht heiraten!«
»Jrete – du bist doof!« sagte die ältere Schwester verweisend. Und sich zu Seifert wendend, entschuldigte sie Grete: »Die hat noch keine Herrenbekanntschaft jehabt – darum red’ sie so, wie sie der Schnabel jewachsen ist ...!«
»Kommen Sie, Fräulein, tanzen! Kreuzpolka – oder haben Sie Angst, wenn ich die Hand um Ihre schlanke Taille lege?« Und dann wippte er ein paar Augenblicke mit ihr hin und her, ehe er vom Platz loskam, und summte gleich allen übrigen den Text mit:
»Siehste woll, da kimmt er,
Lange Schritte nimmt er,
Siehste woll – da kimmt er schon –
Der verflixte Schwiegersohn.«
Theo und Mieze waren am Tisch sitzen geblieben. »Ich hab’ meine Schwester nur deshalb mitjebracht, damit dein Freund auch jemanden hat, der in derselben Jegend wohnt wie ich. Ich kann euch ja nicht verdenken, daß ihr euch ärgert, wenn er ’ne andre in die entjejenjesetzte Richtung bringen soll und ihr deshalb auseinanderkommt!«
»Du opferst also deine Schwester auf dem Altar unserer Freundschaft?«
»Die läßt sich nicht opfern, wir müssen uns vor ihr überhaupt ’n bißken vorsehen, sie verquatscht sich dann zu leicht zu Hause!«
»Warum hast du denn so lebensmüde getan – in deinem Brief?«
»Ich bin auch lebensmüde, lange mach’ ich das nicht mehr!«
»Warum denn aber bloß?« fragte er mißmutig.
»Das kannst du nicht verstehen, Theo – das könnt ihr Männer alle nicht verstehen! Wie lange noch, und dann hast du mir auch über – dann sitze ich da! Na, schließlich kommt ja wieder einer, und dann jehe ich mit dem wieder ’n Vierteljahr, und dann ist es auch wieder aus! Und dann wieder einer – und wieder einer, aber keiner bleibt kleben, alle wollen sie nur ihr Verjnügen. Und ziert man sich, is’s jleich aus – es jibt ja jenuch andere Mädchen! Heiraten tut uns nur einer aus unseren Kreisen, aber man wollte doch ’raus aus dem Kamuff, wat Besseres werden! Mit so ’n Mann wird das dann bloß ’ne unjlickliche Ehe, wie Muttern ihre – danke, Herr Franke! Dann lieber in die Spree!«
»Aber ich habe dir ja gleich gesagt: Heiraten is nicht!«
»Du sollst ja auch jarnich, Theo! Ich meine man bloß, so is’s! Immer denkt man ja nich dran, aber manchmal über kommt’s einem doch, und dann schreibt man sonne dämlichen Briefe!«
»Mit meiner Gitarre
Steh’ ich und harre!
Liebchen, laß mich ein –
Will ganz artig sein ...«
Der Klavierspieler brach jäh ab, und der Tanzmeister schrie: »Damenwahl!«
Mieze stand auf, verbeugte sich vor Theo, und nun schwebten sie beide leicht und zierlich durch den Saal. »Liebst du mir denn überhaupt noch, Theo?«
Er drückte sie fester an sich: »Dummes Mädel, warum fragst du so?«
Ihre Augen standen voll Tränen. Und mit zuckenden Lippen flüsterte sie: »Is ja aus – ich weiß es, bloß du weißt es noch nich!«
»Mieze – mach doch keine Jeschichten!«
Sie nahm sich auch sofort zusammen. Als der Klavierspieler jetzt mitten im Walzer jäh abbrach, die kurze Pause machte, um die Groschen einzusammeln, stand sie lächelnd zwischen den anderen Paaren; niemand hätte ihr eine Gemütsbewegung angemerkt. Und dann griff der Spieler wieder in die Tasten, man tanzte den »Schwanz« – den Rest des Walzers.
»Ich schlage vor, wir fahren jetzt ’rein und essen was«, sagte Theo einige Zeit später.
»Die Henkersmahlzeit«, bemerkte Mieze halblaut.
Heupferd sah von einem zum anderen, begriff sofort, daß zwischen den beiden etwas vorgefallen war.
»Einverstanden – wenn Fräulein Jrete will!«
»Mir ist alles janz egal!«
»Na, dann los – Ober, zahlen!«
In der mondhellen Nacht wanderte man, zu zwei und zwei untergefaßt, die aufsteigende Chaussee hinauf zur Station Schmargendorf, um nach Bahnhof Friedrichstraße zu fahren. Bis Halensee hatte man das Abteil allein für sich, und Heupferd, der in der entgegengesetzten Ecke mit Grete Platz genommen, sagte von Zeit zu Zeit befriedigt aufatmend: »O knutsch, solang’ du knutschen kannst!«
Wenn die Küsse zu laut knallten, rief Theo jedesmal »Prost!«
Er saß mit Mieze in würdiger Ruhe da – ein glückliches Elternpaar, das die Tollheiten der Jugend nachsichtig aufnahm. »Ach – könnt’ ich noch einmal so lieben ...«, summte Mieze.
»Werd bloß nich elegisch«, warnte er.
In Halensee, aus dem dortigen Tanzlokal kommend, stiegen ausgelassene Pärchen ein – eine andere Mädchenart und ein anderer Schlag junger Männer.
Endlich war man am Ziel, kam in das Getriebe der nächtlichen Friedrichstadt, suchte eine von Aschingers »Bierquellen« auf, die jetzt überall neu entstanden waren. Und dann saß man in dem mit Spiegelglas ausgelegten Raum, aß Bockwurst mit Kartoffel- und Schusterjungen mit italienischem Salat, spendierte den Damen Kaviarbrötchen, Tartar-Beefsteak und echte Kulmbacher.
»Jehen wir dann noch in ’n Café?« erkundigte sich Theo.
»Nein, Jrete muß früh zu Hause sein, sonst schimpft Mutter« erklärte die ältere Schwester.
»Ich will aber noch ...«, maulte die jüngere, die allmählich Geschmack an diesem Dasein bekam; doch Miezes Widerstand gab den Ausschlag. Es ging nach der Luisenstraße. Die Händler boten den Pärchen auf Schritt und Tritt Wachsstreichhölzer an, Apfelsinen- und Blumenverkäufer drängelten sich ihnen auf, fanden aber keine Beachtung.
»Is es ex?« fragte Mieze. Und als Theo nicht gleich antwortete, sagte sie: »Ja – es ist ex! Immer, wenn mir einer zuredet, daß ich noch Liptauer Käse jarniert essen soll, dann ist es aus. Ich weiß nicht, wie das kommt, aber Liptauer ist mein Verhängnis!«
Als er noch immer schwieg, sagte sie: »Theo, quäl dir nicht, mir was vorzuspinnen! Ich weiß, was ich tue: Ich jeh’ von jetzt ab nach Halensee tanzen!«
»Das tust du nicht, Mieze!«