Sozialdumping. Jakob Mathiassen
und zierte seit nunmehr 100 Jahren das Stadtbild. Es war ein schönes Gebäude mit drei Turmvorsprüngen an der Fassade und zwei Kupferspitzen. Das Haus mit den vier Stockwerken ist das höchste auf dem Bahnhofplatz, und man sieht deutlich, dass sich der Kaufmann Tolstrup damals gewünscht hatte, der Stadt ein Gesicht zu geben. Aber die Jahre vergingen. Das Nørrehus büßte mehr und mehr von seiner einstigen Schönheit ein und wurde im Jahr 2003 von einem lokalen Immobilienmatador namens Dan Sandberg gekauft. Dan hatte das Gebäude im Blick auf Weiterverkauf erworben, aber die Immobilienblase platzte, bevor er es weiter verkaufen konnte. Er gab den Verkauf auf und plante 2010 stattdessen eine Renovierung des Hauses. Da die finanzielle Lage nicht sehr rosig war, wählte Dan eine polnische Firma für die Renovierung, weil sie billiger als der Rest auf dem Arbeitsmarkt war. Die Renovierung war bereits seit einem Monat im Gange, als die zwei alte Gebäudehandwerker es entdeckten.5
Der First Mover
Am nächsten Morgen gingen die beiden Bauarbeiter zu ihrer Gewerkschaft „3F Midtvendsyssel“, und erzählten von ihrer Entdeckung. Polnische Arbeiter sah man so selten in Brønderslev, dass es nicht lange dauerte, bis Leo und Mogens es geschafft hatten, einen Baufachsekretär von 3F und noch einen von der Gewerkschaft „TIB“ (Holz-Industrie-Bau) mit zur Baustelle zu lotsen. TIB organisierte die dänischen Zimmerleute und Schreiner, und ein großer Teil der Arbeit am Nørrehus war vermutlich Schreinerarbeit.
Auf der Baustelle war die Arbeit in vollem Gange, polnische Arbeiter kratzten die Fugen im Erdgeschoss aus und auf dem Dach waren andere dabei, die alten Dachziegel und Dachplatten hinunter zu reißen. In der Einfahrt zum Platz stand ein Mann in Jeans und einer abgetragenen braunen Lederjacke. Er schaute sich einige Arbeitspläne an. Der Sekretär von TIB ging zu ihm, streckte ihm die Hand entgegen und sagte:
„Hallo. Ich bin John Andersen. Wir kommen aus der Gewerkschaft. Bist du der Bauleiter?“
Der Mann mit den Arbeitsplänen blickte etwas überrascht auf die kleine Gruppe, dann lächelte er und drückte Johns Hand.
„Hallo. Ich heisse Ole Tuesen und ich bin Chef der Baufirma AWD sp. z o.o. Wir haben die Bauleitung.“
Der Name Ole Tuesen kam John bekannt vor, aber er konnte sich nicht daran erinnern, in welchem Zusammenhang er ihn schon einmal gehört hatte. Er kam sofort zum Punkt und fragte, ob es ein Abkommen mit einer dänischen Gewerkschaft gäbe.
„Nein, haben wir nicht, und das werden wir auch nicht haben“, antwortete Ole mit einem freundlichen Lächeln.
„Bist du dir da ganz sicher?“ mischte sich Leo ein.
„Hört mal. Ihr könnt aufgeben. Wir haben schon unten bei Gudum gebaut, und auch dort habt Ihr versucht, uns zu stoppen. Es gelang euch nicht, und auch hier wird es euch nicht gelingen. Verschwendet doch nicht eure Zeit mit uns.“6
In Dänemark gibt es keinen Mindestlohn, sodass es nicht gesetzeswidrig ist, wenn ein Unternehmer bestimmt, dass seine Angestellten einen Stundenlohn von (zum Beispiel) zwei dänischen Kronen erhalten. Der Lohn in jeder Branche, in jedem Fach und in jedem Unternehmen wird von den Abkommen reguliert.7
Jedes dritte oder vierte Jahr vereinbaren die Gewerkschaften und die Arbeitgeberorganisationen, wie hoch der Mindestlohn sein sollte, ob ein Arbeiter das Recht auf Arbeitskleidung, Zuschläge für Überstunden, Kündigungsfrist, Urlaubstage, Pension, Schmutzzuschlag, Barackenzuschlag bei fehlender Baracke, Transporterstattung, Regeln bei Akkordarbeit, den ersten freien Tag im Falle eines kranken Kindes, Lohn während Krankheit, und auf Regeln für die Wahl der Vertrauensmänner hat, um nur einige der wichtigsten Punkte aufzuzählen.8 Die Abkommen sind von einer Gültigkeit, die ähnlich wie die Gesetzgebung in anderen EU-Ländern anerkannt wird.9
Der Nachteil dieses Modells besteht natürlich darin, dass ein Abkommen unterzeichnet werden muss, bevor es Regeln für diese Sachen gibt. Wenn ein Arbeitgeber das Abkommen nicht unterzeichnen will, dann darf die Gewerkschaftsbewegung im Gegenzug einen fachlichen Konflikt gegen den Arbeitgeber einleiten.
Die vier Gewerkschaftsleute in Brønderslev konnten Ole Tuesen nicht überzeugen, ein Abkommen zu vereinbaren. Sie gingen also ins Gewerkschaftsbüro zurück, um ihren nächsten Schachzug zu planen. Auf dem Weg zurück zum Auto, kam es John plötzlich in den Sinn, was er über Ole Thuesen früher gehört hatte. Ole war ja fast ein Prominenter in der Geschichte der billigen, osteuropäischen Arbeitskraft in Dänemark. Er war Besitzer des ersten polnischen Unternehmens, das mit der dänischen Gewerkschaftsbewegung ein Abkommen unterzeichnete, und als logische Konsequenz war er leider auch Besitzer des ersten polnischen Unternehmens, das sich bei einem Arbeitsrechtsurteil aus dem Staub machte. Eine Praxis, die später so gewöhnlich wie Weißbrot wurde, aber Ole war daher der „First Mover“ damals in den ersten Monaten nach der EU-Osterweiterung.
Wie bei vielen anderen Männern der Weltgeschichte, war es auch in Oles Fall eine Frau, die hinter seinem Weg zum Ruhm stand. Als die EU dabei war, 2004 die Osterweiterung durchzuführen, wohnte Ole im kleinen polnischen Dorf Zelechowo mit seiner polnischen Frau. Eines Tages schlug sie vor, dass Ole in den dänischen Zeitungen inserieren und den Dänen billige Arbeitskraft anbieten sollte, sobald die Osterweiterung am 1. Mai 2004 in Kraft treten würde. Ole lehnte den Vorschlag ab, weil er der Meinung war, dass er mehr als genug arbeitete. Er leitete eine Schweinefarm und nebenbei eine kleine Baufirma, die Schweineställe renovierte. Oles Frau wusste jedoch, wie sie zu ihrem Willen kam. Sie weigerte sich einfach, für ihn zu kochen, bis er schließlich die Anzeige schaltete. Nach wenigen Tagen ergab er sich und setzte ein kleines Inserat in Jyllandsposten.
Vermutlich wäre die Geschichte hier zu Ende gewesen, hätte Pengemagasinet im DR (Dänischen Radio) nicht von Ole und seiner Anzeige erzählt. Die anderen Medien zogen nach, und sehr bald war Ole bekannt wie ein bunter Hund. In meinem Interview beschreibt Ole den Beitrag im Pengemagasinet:
„Es war wahnsinnig gut gemacht, sie haben wirklich alles Mögliche getan, um die Gewerkschaften zu provozieren. Auf dem Bildschirm, unten am Rand, liefen die ganze Zeit sowohl mein Name als auch der Name der Firma, und dann hatten wir einen verdammt großen Telefonansturm.“10
Ole hatte irgendetwas in der dänischen Volksseele getroffen. Die Dänen mögen Angebote und Tiefpreis-Produkte. Warum 30 Kronen für zwölf ökologische Eier bezahlen, wenn man 15 Batteriehühner-Eier für eine Zwanzigernote bekommt? So denken viele Dänen auch über die Handwerkerrechnungen, und Ole konnte eine sehr billige Handwerkerrechnung anbieten. Seine Lohnkosten waren sehr niedrig. Laut seiner eigenen Aussage in Information am 1. Mai 2004 erhielten seine Leute in Polen nur acht Kronen die Stunde, und sie arbeiteten mehr als zwölf Stunden am Tag ohne Überstundenzuschlag. Er konnte sogar das Material in Polen billig kaufen, wo er auch seine Steuern bezahlte.11
Es wurde ein schneller Erfolg, jedoch kam der Erfolg ein wenig zu schnell. In einem Interview erzählt Ole, dass viele von den Menschen, die bei den Handwerkerrechnungen sparen wollten, sehr oft Schwindler und Betrüger waren, die zuhause in Dänemark schon von der Branche auf die schwarze Liste gesetzt worden waren. Ole kannte die Baubranche damals nicht gut, und er verbrannte sich zwischendurch die Finger.12
Der große Medienrummel hatte auch andere Auswirkungen. Die Gewerkschaftsbewegung entdeckte Ole und sein Unternehmen Biomax. Sie fingen an, ihn zu jagen, und bereits Mitte Juni 2004 erwischten sie ihn bei einem öffentlichen Bau in Aarhus. Ole musste ein Abkommen unterzeichnen, und es endete damit, dass er eine Geldstrafe von 350.000 Kronen bekam, weil er das Abkommen nicht einhielt.13 Das nahm er nicht so tragisch, er zog die Firma nach Polen zurück, weigerte sich, die Strafe zu bezahlen und setzte mit einer anderen Firma, AWD Spolska14, seine Arbeit in Dänemark fort. Natürlich versuchte die Gewerkschaftsbewegung, ihn wieder zu erwischen, und im Juli 2005 organisierte TIB eine Blockade und leitete auf einer von Oles Baustellen in Gudum, ein wenig südlich von Aalborg, einen Sympathiekonflikt ein. Ole hatte aus seiner bitteren Erfahrung gelernt und diesmal hielt er dem Druck stand, sodass TIB schließlich ihre Blockade aufgeben musste.15
Laut Ole war der Rummel um seine Baustelle in Gudum eine fantastische Werbung, die ihm eine Reihe Neukunden einbrachte, insbesondere Bauern. Selbst