Chirurginnen. Volker Klimpel

Chirurginnen - Volker Klimpel


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sein Kollege von der Pathologie, Johannes Orth (1847–1923), der Nachfolger Rudolf Virchows. Orth wörtlich: „Man denke sich nur die junge Dame im Seziersaal mit Messer und Pincette vor der gänzlich entblößten männlichen Leiche sitzen und Muskeln oder Gefäße und Nerven oder Eingeweide präparieren, man denke sie sich die Leichenöffnung eines Mannes oder einer Frau machen und zur notwendigen Aufklärung der Krankheitserscheinungen die Beckenorgane mit allem was dazu gehört, untersuchen … man berücksichtige, dass das alles in Gegenwart der männlichen Studenten vor sich geht, dass die männlichen wie die weiblichen in der ersten Zeit der Mannbarkeit stehen, wo die Erregung der Sinnlichkeit ganz besonders leicht und gefahrvoll ist, – man stelle sich das einmal so recht lebhaft vor und dann sage man, ob man junge weibliche Angehörige der eigenen Familie in solchen Verhältnissen sehen möchte! Ich sage nein und abermals nein!“ [57]. Wie krank war das denn – Erotik im Angesicht der Formaldehyd-Leichen?! Der medizinische Enzyklopädist Julius Leopold Pagel (1851–1912) hoffte, dass „diese ganze absonderliche Bewegung bald der Vergangenheit angehört“ und ließ sich zu der Äußerung hinreißen: „Nur in einer Beziehung ist für mich die ‚ Ärztin‘ diskutabel: nämlich als Helferin für die Krankenküche!“.2 Selbst für einen so gebildeten Mann wie Pagel schien mit der Gleichberechtigung der Frau „das Ende der Welt“ gekommen [91]. In das gleiche Horn stieß Professor Ernst von Leyden (1832–1910), Ordinarius für Innere Medizin in Straßburg und Berlin, indem er meinte, dass die physischen Kräfte der Frau geringer seien als die des Mannes, ebenso wie die geistige Begabung der Frau im Durchschnitt geringer sei als die des Mannes. Allerorten wurde die generelle Forderung nach Zulassung von Frauen zum Studium an deutschen Universitäten noch im März 1891 mit „ungeheurer Heiterkeit“ quittiert <QI8>.

      Medizinstudentinnen bei der Sektion (um 1900, vermutlich USA).

      John Deaver (1855–1931) operiert 1914 mit und vor Frauen im Women’s Medical College Philadelphia (aus: Rutkow <QI3>, S. 508).

      Ärztinnen bei einer Operation im Women’s Medical College Philadelphia um 1900.

      Den Vogel aber schoss aus heutiger Sicht der Leipziger Psychiater Paul Julius Möbius (1853–1907) mit seiner skandalträchtigen und in zahlreichen Auflagen erschienenen Schrift „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“ ab (1900 ff.). Auch Möbius schließt von der Gehirngröße auf die geistige Kreativität (oder Nicht-Kreativität) der Frau und weist auf ihre Hauptrolle für die Arterhaltung des Menschen hin. Die Ärztin und feministische Schriftstellerin Johanna Elberskirchen (1864–1943) konterte 1903 in ihrem Buch „Feminismus und Wissenschaft“: „Ich hätte auch schreiben können ‚ Feminismus und Schwachsinn‘, denn die Kritik, die im Namen der Wissenschaft am Feminismus verbrochen wird, hat oft mit Wissenschaft wenig zu tun. Jedoch meine angeborene Courtoisie gegenüber dem männlichen Geschlecht verbot mir, auf den Wegen des Herrn Möbius zu wandeln. Meiner Ansicht nach sind die Herren Gelehrten, insbesondere die Herren Naturwissenschaftler und die Herren Mediziner die ungeeignetsten Leute, sich kritisch mit dem Feminismus zu befassen. Sie stehen dem Weibe zu persönlich und zu materialistisch gegenüber und beurteilen es aus einer ganz schiefen und recht beschränkten Perspektive, jedenfalls von ganz unwissenschaftlichen Gesichtspunkten aus … Nein, Herr Möbius, das Weib ist nicht schwach, nicht inferior, nicht ‚physiologisch schwachsinnig‘, aber das Weib ist krank – es leidet zu sehr unter der Herrschaft des männlichen Sexus“ <QI9>. Johanna Elberskirchen erreichte aber längst nicht so eine große Öffentlichkeit wie Möbius. Fundament derartiger frauenfeindlicher Äußerungen war nicht zuletzt Arthur Schopenhauers Text „Über die Weiber“ (1851), welche er „weder zu geistiger noch zu körperlicher Leistung fähig“, sondern ihrer „Natur nach zum Gehorchen bestimmt“ sah. Ein wenig später erklärte der Kulturhistoriker Wilhelm Heinrich Riehl: „Unser Staat ist männlichen Geschlechts!“ (1855). Der Schweizer Rechtswissenschaftler und Politiker Johann Caspar Bluntschli bezeichnete die unmittelbare Teilnahme an Staatsgeschäften als unweiblich, für das Gemeinwesen gefährlich und für die Frauen verderblich. Da durfte der Zeitgenosse, Nicht-Arzt und geisteskranke Philosoph Friedrich Nietzsche nicht fehlen, der sagte: „Wenn ein Weib gelehrte Neigungen hat, so ist gewöhnlich etwas an ihrer Geschlechtlichkeit nicht in Ordnung“ (S. 7 [45]). Als Anti-Feminist par excellence erwies sich auch der andere Nicht-Mediziner Max Funke, der in seiner 1910 erschienenen Schrift „Sind Weiber Menschen? Mulieres homines non sunt“ die von ihm gestellte Frage umgehend verneinte und in der Frau das Bindeglied zwischen Mensch und Menschenaffen sah. Während Funke und seine „wissenschaftlichen Quellen“ in das Reich des Kuriosen und Absurden zu verweisen sind, erstaunt es doch, dass noch 1983 eine Art Ehrenrettung des Möbius’schen Pamphlets unternommen wird [112].

      Angehende Ärztinnen schauen beim Operieren zu. Women’s Medical School of London um 1900.

      Gabriele Possanner von Ehrenthal

      Endlich beschäftigte sich 1891 der Deutsche Reichstag mit der Zulassung von Frauen zum Universitätsstudium, legte es aber in die Kompetenz der Länder, die ab 1899 schon Frauen generell als „Gasthörerinnen“ an ihren Universitäten zugelassen und ihnen dann einen anerkannten deutschen Abschluss ermöglicht hatten, wozu auch das ärztliche Staatsexamen, die Approbation und die Promotion zählten. Um Eintritt in das Reich des Äskulap zu erlangen, führte der Weg der Frauen meistens über das Lehrerinnenstudium. In entsprechenden Seminaren erwarben sie dann die Hochschulreife und konnten sich aber bis 1899 nur an ausländischen Universitäten zum Medizinstudium einschreiben [8]. Dieser Sachverhalt spiegelt sich auch in zahlreichen, weiter unten beschriebenen Lebensläufen wider. Die Medizinhistorikerinnen Johanna Bleker (*1940) und Sabine Schleiermacher (*1957) von der Berliner Charité publizierten im Jahr 2000 rund 850 Kurzbiographien von Ärztinnen aus dem deutschen Kaiserreich in Buchform, unter ihnen nur wenige Chirurginnen [9]. Darauf basierend hat die Charité 2015 eine Internet-Datenbank eingerichtet, die ständig aktualisiert wird, die Namensliste dort hat über 1500 Einträge! (Verweise dazu können wie unter [9] angegeben recherchiert werden). <QI10-1>


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