Die Abenteuer der Weissen Feder. Stig Ericson

Die Abenteuer der Weissen Feder - Stig Ericson


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Feder schwieg.

      „Für uns Rote sind jetzt schwere Zeiten angebrochen“, sagte der Vater. „Ich habe viel gesehen auf meiner langen Reise. Sei mutig, mein Sohn.“

      Als Grauer Bär das gesagt hatte, legte er sich auf den Rücken und schloß die Augen.

      Seine Frau schob die Kinder hinaus.

      Weiße Feder ging langsam zum Fluß hinunter.

      Er dachte an das, was der Vater gesagt hatte.

      Seine Worte bedeuteten ihm sehr viel.

      Sei mutig, mein Sohn.

      Es war ein schöner Tag, mit klarem Himmel, und hoch oben schwebte Wangbli, der Adler.

      Die Weißen sind unsere Feinde

      Als die Sonne am folgenden Tag hinter den Hügeln verschwand, versammelten sich die Männer im Ratszelt. Grauer Bär hatte die Kleider des weißen Mannes angezogen.

      „Oh, diese verrückten Kleider, die man nicht wieder ausziehen kann“, hatte seine Frau gesagt, als er sich anzog.

      Der Häuptling erwiderte darauf, daß er sie nur zum Zeichen dafür trug, daß er tatsächlich beim Großen Vater gewesen war.

      „Vielleicht findest du auch, daß du fein darin aussiehst“, sagte seine Frau leise.

      Grauer Bär antwortete nicht. Aber bevor er ging, steckte er eine Adlerfeder in den Hut. Die Feder hatte drei rote Streifen, die zeigten, daß er dreimal im Kampf verwundet worden war.

      Im Rat berichtete Grauer Bär von seiner langen Reise.

      Er erzählte von der seltsamen Lebensweise der Weißen. Daß sie sich wie Ameisen in gewaltigen Hütten aus Stein zusammendrängten, die ebenso hoch wie die Berge hinter dem Fluß waren.

      Er erzählte von der Eisenbahn, von Postkutschen, großen Wagen und anderen Merkwürdigkeiten, die er gesehen hatte.

      Er erzählte von den großen Festen: von der Musik, den Kleidern und von den Reden.

      Er erzählte, wie müde seine Ohren waren von all den fremden Geräuschen, allen Worten, allen leeren Versprechungen.

      „Meine Augen haben viel gesehen“, sagte er. „Vieles kann ich nicht verstehen. Und ich will es auch nicht verstehen. Unsere Zeit ist vorbei. Wir können nicht mehr Büffel jagen wie unsere Väter – denn es gibt bald keine Büffel mehr zum Jagen. Krieg hilft uns auch nicht. Und die Waren, die wir bei der Agentur erhalten, reichen nicht ...“

      Hier verstummte Grauer Bär. Die anderen saßen bewegungslos in ihre Decken gehüllt. Das Feuer glühte schwach.

      „Hört, was ich euch jetzt sage“, fuhr der Häuptling mit dunkler Stimme fort. „Ihr, die ihr noch jung seid, ihr, die ihr noch offene Ohren habt, lernt, wie die Weißen zu reden. Ihre Worte sind wie ihre Waffen: Sie sind stärker, und sie reichen weiter als die unsrigen.“

      Grauer Bär schwieg abermals. Die Männer bewegten sich unruhig. Einige nickten zustimmend. Andere wiederum schüttelten die Köpfe und sahen unzufrieden aus. Doch sie schwiegen mit ihrer Unzufriedenheit.

      Grauer Bär war ihr Führer. Er besaß ihr Vertrauen. Und sie wußten, daß er früher bei vielen Gelegenheiten kluge Worte gesprochen hatte.

      Der Häuptling hob die Hand.

      „Die Weißen sind unsere Feinde“, sagte er. „Und wir werden uns gegen sie verteidigen – nicht mit Waffen, sondern mit Worten.“

      Nach dem Ratstreffen vernachlässigte Grauer Bär seine neuen Kleider mehr und mehr. Der hohe Hut lag im Zelt herum, und niemand kümmerte sich um ihn.

      Aber eines Tages entdeckten die zwei kleinen Schwestern der Weißen Feder, wie man den Hut noch verwenden konnte.

      Sie nahmen ihn mit zum Fluß hinunter und füllten ihn mit Wasser. Dann faßten sie ihn an beiden Seiten und trugen ihn vorsichtig zu ihrer gumbo-Stelle. Gumbo war eine Art Lehm, aus dem man Figuren kneten konnte. Jetzt war er ausgetrocknet, doch das Wasser machte ihn wieder weich und geschmeidig.

      Die Sonne schien, das Gras duftete, und die Fliegen surrten. Die Mädchen schwatzten und lachten und formten hohle Kugeln, die an der warmen Sonne rasch trockneten.

      Dann trugen sie die Kugeln zum Fluß hinunter und warfen sie ins Wasser. Rasch trug die Strömung die Kugeln davon; jetzt galt es, sie mit Steinen zu treffen. Es war ein spannendes Spiel; Weiße Feder spielte auch mit.

      „Poff“, machte es, wenn er eine Lehmkugel weit draußen im Wasser traf.

      Er drehte sich um und wollte gerade den Mädchen sagen, daß er doch entschieden besser im Werfen sei als sie, da erblickte er seinen Vater. Er stand oben am Hang und winkte ihn zu sich. Grauer Bär sah ernst und entschlossen aus.

      „Ich werde zur Agentur reiten“, sagte er, als Weiße Feder heraufkam. „Und du, mein Sohn, wirst mitkommen. Aber geh vorher noch zu deiner Mutter. Ich warte bei den Pferden auf dich.“

      Gefleckte Büffel

      Weiße Feder ging langsam durch die Zeltreihen und ließ die Hand an den Lederwänden entlangstreifen. Er begriff nicht, warum sie eigentlich zur Agentur sollten. Die Waren, die sie immer von dort erhielten, hatten die Männer schon im Monat der Juni-Beeren geholt.

      Seine Mutter kniete neben dem Zelt und schabte eine Hirschhaut. Ihre weiten Ärmel bewegten sich wie Vogelflügel.

      „Ich werde Vater begleiten“, sagte Weiße Feder. Er war gleichzeitig ängstlich und neugierig.

      „Ich weiß ...“

      Die Mutter drehte sich zu ihm um und strich sich die Haare aus dem Gesicht.

      „Nimm das Weiß-Hemd“, sagte sie.

      Das Hemd hieß so, weil es aus einem großen Sack genäht war, den sie vor zwei Sommern von der Agentur erhalten hatten. Der Sack war mit einem weißen Pulver gefüllt gewesen. Niemand hatte gewußt, was man mit dem weißen Pulver anfangen sollte. Daher hatte man es in den Fluß geschüttet.

      Später hatten sie dann erfahren, daß man Brot daraus machen konnte.

      Außen auf dem Sack war ein Krieger mit Pfeil und Bogen abgebildet gewesen. Dieser Krieger war jetzt vorne auf dem Hemd der Weißen Feder.

      Er konnte das Hemd nicht leiden. Es wurde allmählich zu klein. Und es kratzte auf der Haut.

      „Heute ist es doch so warm“, wandte er ein.

      „Bevor ihr zurück seid, wird die Sonne untergegangen sein“, sagte die Mutter.

      „Aber ...“

      „Zieh das Hemd an. Dein Vater wartet.“

      Jetzt sprach die Mutter mit derselben scharfen Stimme, die sie sonst abends hören ließ, wenn die kleinen Geschwister sich nicht schlafen legen wollten.

      Weiße Feder zog das Weiß-Hemd an, steckte das Jagdmesser mit dem Horngriff in den Gürtel und ging zur Weide.

      Die Hunde kläfften ihm nach, und ein paar von den anderen Jungen fragten ihn, wohin er ging, aber er antwortete nicht. Er dachte daran, daß er vielleicht bald weiße Männer aus der Nähe sehen würde.

      Wie immer war die Weide voller Schwarzstare. Sie wurden durch die Heuschrecken angelockt, die wiederum von den Pferden beim Grasen aufgescheucht wurden. Als Weiße Feder kam, flatterten die Vögel davon.

      Plötzlich blieb er stehen. Er hatte etwas Eigenartiges erblickt.

      Sein Pony hatte vier Vögel auf dem Rücken! Die Stare und die Pferde waren Freunde. Daher war es nicht ungewöhnlich, daß ein paar Vögel auf einem Pferd saßen. Aber so viele – vier auf einmal, das hatte Weiße Feder noch nie gesehen.

      Vier Stare. Vier wie die vier Winde. Das war ein gutes Zeichen.

      Weiße Feder ging langsam näher.


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