Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Ader an ihrer Stirn nicht bemerkte, die immer dann pulsierte, wenn sie sich über Gebühr anstrengte. Wenigstens dieses eine Mal ging ihr Wunsch in Erfüllung, und Matthias wandte sich wieder seiner Patientin zu, die aussah, als ob sie schliefe.
*
»Mach dir keine Sorgen, Feelein. Das kriegen wir schon wieder hin«, versicherte Dr. Norden auf dem Weg in die Orthopädie. »Sobald die Tat vollbracht ist, gebe ich dir Rückmeldung.« Er nickte und lächelte. »Ich dich auch.« Er steckte das Telefon ein und machte vor dem Fahrstuhl Halt. Schnurrend glitten die Türen auf und gaben den Blick frei auf den Verwaltungsdirektor.
»Ah, Herr Dr. Norden! Das ist doch nicht nötig, dass Sie mich zu unserer kleinen Besprechung abholen.« Er schien ein paar Zentimeter zu wachsen und trat aus dem Aufzug.
Die Besprechung! Daniel stöhnte auf.
»Tut mir leid. Ich habe völlig vergessen, Sie zu informieren. Mir ist etwas Wichtiges dazwischengekommen. Ich bin sehr in Eile.«
»Kein Problem, mein Lieber, kein Problem.« Dieter hob die Hände. »Wir müssen nur eine Winzigkeit besprechen. Es dauert auch nicht lange.«
Seine Freundlichkeit hätten im Normalfall längst sämtliche Alarmglocken ausgelöst. Nicht so in diesem Moment. Daniel Norden trat von einem Fuß auf den anderen.
»Hat das nicht Zeit bis später?«
Dieter Fuchs zog die Mundwinkel herab.
»Habe ich nicht neulich erst den Investitionsantrag für ein hochmodernes Ultraschallgerät unterschrieben?«
Daniel verdrehte die Augen. Er brauchte eine neue Strategie.
»Hören Sie. Vielleicht interessiert es Sie zu hören, dass unser geschätzter Kollege Lammers unglücklich in seinem Büro gestürzt ist.«
Seine Worte hatten die erhoffte Wirkung.
»Du liebe Zeit! Ausgerechnet Lammers. Wie ist das passiert?«
»Er ist über ein Paket mit unbekanntem Inhalt gestolpert und so unglücklich gestürzt, dass ein chirurgischer Eingriff unerlässlich ist. Ich bin gerade auf dem Weg in den OP. Wollen Sie mitkommen und zusehen?« Er deutete auf die Aufzugtüren, die sich erneut öffneten.
Fuchs verzog das Gesicht.
»Gott bewahre! Das erledigen Sie mal schön selbst.« Er wischte sich die Hände am braunen Cordsakko ab. »Nicht umsonst habe ich Gesundheitswesen und nicht Medizin studiert.« Den Falten auf seiner Stirn war anzusehen, dass ihm ein anderer Gedanke in den Sinn kam. »Aber warum erfahre ich erst jetzt von dem Unfall? Sie müssen dringend an Ihrer Kommunikation arbeiten«, erklärte er mit hoch erhobenem Zeigefinger.
Daniels Fußspitze zuckte auf und ab. Er warf einen Blick auf die Armbanduhr.
»Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen. Die Kollegen warten auf mich.«
»Also gut. Dann verschieben wir meine Angelegenheit auf später.« Zögernd gab Fuchs den Weg frei.
»Danke. Ich weiß Ihren Großmut zu schätzen.«
Täuschte sich Dieter oder lag ein Anflug von Spott in Daniel Nordens Miene? Ehe er sich aber darüber klar werden konnte, schoben sich die Aufzugtüren zwischen sie.
*
Bei jedem Herzschlag gab das EKG einen pulsierenden Ton von sich. Das Beatmungsgerät, das mit dem Tubus verbunden war, rauschte leise vor sich hin. Die Luft schmeckte nach Desinfektionsmitteln und Medikamenten. Daniel sah zu seinem Kollegen Bernhard Kohler hinüber und nickte ihm zu. Die Schleife der Maske kratzte ihn im Nacken. Doch darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen.
»Dann wollen wir mal.« Er sah hinüber zum Bildschirm, auf dem ihnen Volker Lammers‘ Mittelfuß entgegen strahlte. »Was schlagen Sie vor?«
Dr. Kohler betrachtete das Bild eingehend.
»Wir müssen die verschobenen Frakturfragmente repositionieren und fixieren. Am besten mit Kirschnerdrähten. Anschließende Stabilisierung mit Minischrauben.«
»Wie schade, dass der Kollege Lammers Sie nicht hören kann. Er wäre zufrieden mit Ihnen.«
»Ein Glück, dass er schläft.« Die Haut um Bernhards Augen kräuselte sich. Er machte eine leichte Verbeugung. »Bitte, Chef, setzen Sie den Schnitt.«
»Da hat der Kollege Klaiber auch noch ein Wörtchen mitzureden.« Daniel sah hinüber zum Anästhesisten.
»Blutdruck 110 zu 85. Herzfrequenz 100.«
»Also schön.« Dr. Norden räusperte sich. Er streckte die Hand aus. Die Operationsschwester legte das Skalpell hinein. Er schloss kurz die Augen und holte tief Luft. Vergeblich wartete er auf die Woge der Ruhe, die ihn normalerweise unmittelbar vor Operationen durchflutete. Warum wunderte ihn das? Hatte er nicht vorher schon gewusst, dass dieser Eingriff anders sein würde als alle anderen? Daniel ahnte mehr, dass das Skalpell zitterte, als dass er es sah. Mit einem schnellen Blick versicherte er sich, dass die Augen der Kollegen auf dem Bildschirm über dem Operationstisch ruhten. »Lassen wir die Spiele beginnen.« Er beugte sich über den schlafenden Lammers. Im taghellen Licht der OP-Lampe glänzte Daniels Stirn. Beherzt setzte er den Schnitt.
Dr. Kohler stand ihm gegenüber und wartete auf seinen Einsatz.
»Wie sage ich immer? Ein Chirurg ist wie ein Zimmermann. Er braucht nur ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl.«
»Eine schöne Metapher.« Die Falte zwischen Daniels Augen glättete sich ein wenig. Er nahm sich vor, dem Orthopäden nach diesem Eingriff ein Bier auszugeben. »Jetzt sind Sie dran.«
Er nickte Kohler zu und trat einen Schritt zurück. Die Schwester trat zu ihm und tupfte die Schweißperlen weg.
Er nickte ihr zu, ehe er sich wieder auf den Eingriff konzentrierte und darauf, den Kollegen bestmöglich zu unterstützen.
*
Schwester Elena stand mit zwei Kollegen am Tresen zusammen und blätterte durch einen Ordner.
»Wie wäre es mit dem da?« Pfleger Valentin tippte mit dem Zeigefinger auf eine der Seiten.
»Nein.« Elena schüttelte den Kopf.
»Und das hier? Das sieht extravagant aus«, fragte Schwester Ilona.
»Auch nicht. Zu extravagant für meinen Geschmack.«
Valentin schnaubte.
»Dann bin ich raus. Das andere gefällt mir nicht«, beschloss er.
»Typisch Mann. Wenn er nicht seinen Willen bekommt, spielt er die beleidigte Leberwurst.« Ilona schoss wütende Blicke wie Blitze auf ihn. »Wegen dir habe ich schon auf meine fliederfarbenen Handschuhe verzichtet.«
»Ruhig, Kinder, es geht hier lediglich um ein Mittagessen.« Aus den Augenwinkeln bemerkte Elena ein bekanntes Profil.
Die Hände in den Kitteltaschen, schlenderte Felicitas mit gesenktem Kopf über den Flur.
Ohne aufzusehen, ging sie am Tresen vorbei.
»Mahlzeit, Frau Dr. Norden«, rief Elena ihr nach.
Fee blieb stehen und sah sich um. Es dauerte einen Moment, ehe sich ihre Lippen zu einem Lächeln durchringen konnte.
»Entschuldige, ich habe dich nicht bemerkt.«
»Ach, wirklich? Das ist mir gar nicht aufgefallen.« Elena zwinkerte ihrer Freundin zu und winkte sie zu sich. »Du bist unsere Losfee und entscheidest, bei wem wir heute unser Mittagessen bestellen.«
Verwundert sah Fee von einem zum anderen.
»Warum geht ihr nicht zu Tatjana ins ›Allerlei‹?« Noch immer wirkte sie wie eben aus tiefem Schlaf erwacht.
»Immer nur Kuchen und Gebäck ist auf Dauer auch langweilig«, murrte Valentin. »Ein richtiger Mann braucht hin und wieder ein ordentliches Stück Fleisch.«
Ilona verzog