Following You - Bis du nicht mehr fliehen kannst. Mika D. Mon

Following You - Bis du nicht mehr fliehen kannst - Mika D. Mon


Скачать книгу
tun, uns selbst zu schützen.«

      »Nein, ihr braucht mich nicht zu beschützen. Wenn ich sterbe, ist das okay. Ich habe alles verloren …« Ihre großen, aquamarinfarbenen Augen füllen sich mit Tränen, während ihre Unterlippe zittert.

      »Ach, Kleines«, sagt Ace, während ich meine Worte verloren habe und sie einfach nur anstarren kann. »Du hast deinen Vater verloren, es ist klar, dass du trauerst und dass es ein Verlust ist, bei dem es dauern wird, bis du ihn verarbeitet hast. Aber glaub mir, die Zeit wird diese Wunde schon heilen und du wirst neue Hoffnung finden. Du bist jung. Du solltest dein Leben nicht so einfach wegwerfen.«

      Sprach der Mann, der sie eben noch umlegen wollte. Heuchler.

      »Ich will es nicht wegwerfen«, betont Kiki. »Ich will es nutzen. Diese Kerle haben mein Heim zerstört. Sie haben meinen Vater umgebracht! Sie haben mir alles genommen!«

      Die Tränen lösen sich und rollen ihre dreckverschmierten Wangen hinab. »Es gibt nur eins, was ich jetzt noch will, und das ist, diese Männer dafür büßen zu lassen!«

      »Wie willst du uns denn helfen?«, frage ich unsicher nach.

      »Wissen die, dass ihr mich gerettet habt?«

      »Nein«, antwortet Grimm. Sein erstes Wort, seitdem wir abgehoben sind. Er sitzt auf den Plätzen neben uns und hat den ganzen Flug bisher damit zugebracht, seine Klingen zu säubern und sie danach zu betrachten.

      »Dann kann ich euer Lockvogel sein. Sie wollen mich, oder? Sie wollen Rache an mir. Und sie wollen Rache an euch. Aber ich kann im Gegensatz zu euch nicht kämpfen. Einer von euch wäre als Lockvogel viel zu auffällig. Aber ich kann nach dem Anschlag geflohen sein, bin untergetaucht. Sie werden mich weiter jagen, oder? Dann können wir ihnen genauso gut eine Falle stellen und sie zu uns kommen lassen, anstatt selbst ins Wespennest zu stechen, oder? Das hattet ihr doch vor, oder nicht? Ihr seid auf dem Weg zu Angelo.«

      Wir drei tauschen einen Blick. Das Mädchen hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Eine Weile herrscht Stille, ehe Ace antwortet:

      »Das ist ein dummer, gefährlicher Plan«, sagt er. »Aber er ist besser als alle, die wir bisher hatten.«

      9

      Sie

       Mit einem Mal ist in meiner Welt alles Licht erloschen. Ich brauche deine Dunkelheit nicht mehr, ich habe meine eigene gefunden.

      Es war unmöglich, nicht aufzuwachen, während Seth und Ace aneinandergeraten sind. Ich habe fast das gesamte Gespräch mitbekommen. Jetzt weiß ich wenigstens, dass Seth sich durchaus noch Sorgen um mich macht und dass er der Auftraggeber von Grimm war, der mich bewacht hat.

      Letztendlich hat Grimm sein Versprechen gehalten, auf mich aufzupassen. Er war es, der Seth von dem Anschlag berichtet und mich zusammen mit ihm aus den Trümmern meines Hauses und meines Lebens gerettet hat.

      Ich bin erschüttert, dass Ace vorgeschlagen hat, mich umzubringen. Irgendwie hatte ich ihn für einen netten Kerl gehalten. Aber möglicherweise hatte er es auch gar nicht ernst gemeint. Dennoch sitzt mir deswegen ein Kloß im Hals. Meine Finger zittern und ich balle sie zu Fäusten, um es zu unterbinden. Innerlich fühle ich mich leer und tot.

      Die Bilder von meinem Vater, wie er erschossen wird, von Dimitri, der vor ihm auf dem Boden liegt, und von dem völlig zerfetzten Ansgar, gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Diese Ungerechtigkeit, dass diese guten Menschen sterben mussten, entfesselt etwas in mir, das ich so bisher noch nicht kannte. Hass. Und den Wunsch nach Rache. Ja, ich gebe es zu. Dieser Angelo soll dafür büßen!

      Bin ich deswegen jetzt ein schlechter Mensch? Für wen versuche ich überhaupt, das liebe, nette Mädchen zu sein? Für meine Mutter, der ihr neuer Mann wichtiger war als ich? Für meinen toten Vater? Für mich selbst?

      Ich weiß es nicht.

      Nicht mehr.

      Ich weiß nur, dass ich entweder untergehen oder kämpfen kann. Und ich bin eine König. Wir geben nicht auf. Wir kämpfen.

       Eine Königin zieht ihr Schwert, mein Schatz.

      Meine Augen füllen sich erneut mit Tränen. Es fühlt sich an, als würde ich gleich mein Herz regelrecht auskotzen. Ich will es aus meiner Brust reißen, damit es endlich aufhört zu schmerzen. Mein Atem geht abgehackt. Es fühlt sich erneut an, als würde ich ersticken. Ich kenne dieses Gefühl und auch die Kälte, die sich in meiner Brust ausbreitet. Es ist dasselbe Phänomen wie vor ein paar Wochen, als ich diesen Anfall hatte, während Leonie bei mir war.

      »Ist alles in Ordnung?«, fragt Seth und kommt mit zwei schnellen Schritten um den Sitz herum auf mich zu. Allerdings bleibt er dann stehen und berührt mich nicht. Es ist, als würde er es sich nicht trauen. Seine Hände verharren auf halbem Weg mitten in der Luft, bevor er sie wieder sinken lässt.

      »Alles in Ordnung? Was denkst du denn, Seth?«, frage ich und sehe ihn fassungslos an. »Wonach sieht es denn aus? Mein Vater ist umgebracht worden! Dimitri ist tot! Ansgar lag zerfetzt auf den Trümmern des Hauses!«

      »Ich weiß, … es … fuck.« Er schlägt mit der Faust gegen das Kopfteil eines Sitzes und wendet sich von mir ab. Ich bin mir bewusst darüber, dass er sich die Schuld für das alles gibt und dass irgendwo in seinem »Fuck« ein »Tut mir leid« steckt.

      Ich lasse die Wolldecke zu Boden fallen, weil ich plötzlich Schweißausbrüche bekomme. Dann laufe ich an ihm vorbei in den Gang des Jets und gehe dort auf und ab. Dabei versuche ich meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Vor meinen Augen wird es schwarz. Ich möchte vor diesem Gefühl in mir flüchten, aber ich kann es nicht. Egal, wohin ich laufe, es verfolgt mich, denn ich kann mir selbst und meinen Ängsten nicht entkommen.

      »Kiki!«, ruft Seth.

      »Sie hat nur eine Panikattacke«, stellt Ace wie selbstverständlich fest. »Du weißt, das haben viele Menschen nach traumatischen Erlebnissen. Zum Beispiel Soldaten, die aus dem Krieg kommen …«

      »Ja, aber …«

      »Was kann ich dagegen tun?«, frage ich verzweifelt.

      Eine Panikattacke? Kann das wirklich sein?

      »Nichts«, antwortet Grimm, der von seinem Platz aufsteht und auf mich zukommt. Er fasst nach meinen Handgelenken, drückt mich nach hinten, sodass meine Knie gegen einen Sitz stoßen und ich unwillkürlich auf diesen falle.

      Der Mann mit der Skeletttätowierung kniet sich vor mich und blickt herauf in meine Augen.

      Ich bin so überrumpelt, dass ich das Atmen vergesse.

      Seth zuckt hinter ihm und will auf uns zukommen, doch Ace legt ihm eine Hand auf die Schulter und hält ihn so zurück.

      »Du darfst nicht vor deiner Angst fliehen«, sagt Grimm ruhig. »Sieh mich an.«

      Vorsichtig suchen meine Augen seine und ich blicke in die smaragdfarbenen Iriden, die genauso außergewöhnlich sind, wie der Mann, zu dem sie gehören. Dennoch haben seine tiefe Stimme, seine Berührung und sein intensiver Blick, eine beruhigende Wirkung auf mich. Langsam entspanne ich mich.

      »Gut«, lobt er mich. »Lass die Angst einfach zu. Sie ist nur ein Gefühl und sie kann dir nichts anhaben. Du kannst sie nur besiegen, indem du es geschehen lässt und aufhörst, vor ihr davonzulaufen.«

      »Aber wie soll das gehen?«, frage ich verzweifelt.

      »Erzähl mir, was du fühlst.«

      »Mein Herz rast, mein Atem geht schnell, mir ist schwindelig und es fühlt sich an, als würde ich gleich in Ohnmacht fallen. Ich schwitze …«, zähle ich auf.

      »Ja. Das alles passiert, weil dein Körper auf ›Überleben‹ umschaltet. Deine


Скачать книгу