BioBoi. Tanja Weitner
schien er nicht sehr gerne, er hat dann noch mal geklingelt und noch mal. Durch das Fenster konnte ich sehen, dass er ganz ungeduldig wurde. Mama kam die Treppe runtergestürmt und öffnete ihm mit zusammengezogenen Augenbrauen die Tür.
Der Mann mit Hut wollte den Hofbesitzer sprechen, das ist mein Papa. Also musste Mama in den Stall laufen – durch den Regen. Von der Stube aus konnte ich sehen, dass der Mann mit Hut sich umgeschaut hat und dann einen Fotoapparat aus der Tasche holte, um Fotos vom Flur zu machen. Als Mama und Papa reinkamen, hat er den Fotoapparat ganz schnell wieder weggesteckt, stattdessen Blätter aus seiner Aktentasche geholt und sie Papa unter die Nase gehalten. Mama und Papa haben dann ganz entsetzt geguckt und um ein paar Tage Bedenkzeit gebeten. „Fünf Tage“, hat der Mann mit Hut gesagt.
Mama und Papa waren den ganzen Abend sehr still und haben gar nicht viel geredet. Papa hat dann auch meine Gutenacht-Geschichte vergessen. Aber wie soll man denn ohne Geschichte einschlafen können?
Ich konnte jedenfalls nicht einschlafen. Manchmal darf ich mich dann zu Mama und Papa aufs Sofa setzen und ein bisschen fernsehen. Dabei schlafe ich auch immer sehr schnell ein.
Ich bin dann aufgestanden und wollte die Treppe runterlaufen, als ich Papa sagen hörte: „Wir haben keine andere Wahl, wenn wir den Hof nicht verkaufen, sind wir pleite.“ Ich blieb oben an der Treppe stehen und lauschte den weiteren Worten. Ja ich weiß, man soll nicht lauschen, aber ich musste doch wissen, was los war. Hof verkaufen? Wo sollten wir denn dann hin? Ich mag unseren Hof doch so gerne.
„Das also soll aus unserem Traum und unserer Überzeugung werden? Eine Massenhühnerhaltung?“, sagte Mama darauf. Ich hörte sie schniefen.
Papa antwortete: „Denk an die Kinder, die Massentierhaltung wird so oder so hier gebaut, und wenn wir den Hof verkaufen, bekommen wir wenigstens noch Geld, um uns irgendwo anders eine neue Existenz aufzubauen.“
„Vielleicht können wir uns trotzdem über Wasser halten“, sagte Mama hoffnungsvoll, „vielleicht sehen die Leute ein, dass unsere Produkte besser und gesünder sind, auch wenn sie dafür etwas mehr bezahlen müssen. Qualität hat ihren Preis.“ Jetzt klang Mama sogar ein bisschen wütend.
Ich habe mal was über Massentierhaltung im Fernsehen gesehen, da sind alle Hühner auf ganz engem Raum eingesperrt, sodass sie sich gar nicht richtig bewegen können. Deshalb werden sie auch ziemlich schnell ganz fett. Und Papa hat gesagt, die armen Tiere würden noch an ihrer eigenen Kacke ersticken. Da hat Mama böse geguckt und Papa hat ganz schnell gesagt, dass man Kacke nicht sagen soll, aber ganz leise hat er dann hinzugefügt: „… ist aber doch so.“
„Willst du wirklich so schnell aufgeben?“, fragte Mama und Papa antwortete: „Wir verkaufen den Hof, basta.“
Dabei sagt Papa doch immer „Gib niemals auf!“
Jetzt konnte ich erst recht nicht schlafen, und als ich dann doch endlich eingeschlafen war, träumte ich von Hühnern mit Aktenkoffern und Hut und von dem Mann mit Hut, wie er mit einem riesigen Hühnerschnabel unseren Hof zerpickt hat und dabei immer dicker und dicker wurde.
Ich bin ganz oft wach geworden und einmal habe ich sogar ein bisschen geweint. Aber nur ein ganz kleines bisschen. Superman weint schließlich auch nicht! Dafür hat Superman immer eine Lösung und die brauchte ich jetzt auch.
Die Idee
Am nächsten Tag war das Wetter immer noch ganz grau und nass und zu allem Überfluss hatte Julius auch noch die Windpocken und musste den ganzen Tag im Bett liegen, sodass wir gar nicht zusammen spielen konnten. Immerhin konnte ich nun wenigstens den ganzen Tag nachdenken, ohne abgelenkt zu werden. Also bin ich in meinen grünen BioBoi-Strumpfhosen – so kann ich besser denken – herumgelaufen und habe gegrübelt. Vor lauter Grübeln habe ich sogar fast vergessen, meinen Nachtisch zu essen. Aber nur fast! Und trotzdem ist mir nichts eingefallen.
Immerhin war den Tag darauf das Wetter wieder besser, aber Julius hatte immer noch die Windpocken. Er sah aus wie der Kirsch-Streuselkuchen, den Mama immer backt. Nur verheulter. Also, er sah ganz furchtbar aus und hat die ganze Zeit an seinen Pusteln herumgekratzt. Das hat das Ganze nicht schöner gemacht.
Aber ich konnte wenigstens wieder rausgehen, doch zum Spielen war trotzdem keine Zeit, immerhin fehlte mir ja immer noch die Idee. Ich ging so draußen rum, vorbei an den Kaninchen, an dem Hund, an den Katzen, die faul in der Sonne lagen, vorbei an den Ziegen-Schafen, vorbei an den Hühnern und an Carlos … Carlos … da fiel es mir ein.
Ich rannte an den Hühnern, den Ziegen-Schafen, den Katzen, dem Hund und den Kaninchen vorbei wieder ins Haus. Mit dem Fotoapparat von Papa bewaffnet – der hat übrigens ganz schön verdutzt geguckt, als ich so an ihm vorbeigerast bin – bin ich wieder rausgerannt, wieder vorbei an Kaninchen, Hund, Katzen, Ziegen-Schafen und den Hühnern, hin zu Carlos, den ich fotografierte. Besonders fotogen ist so ein halb nackter Hahn ja nicht.
Und dann wieder rein ins Haus, genau, vorbei an Hühnern, Ziegen-Schafen, Katzen, Hund, Kaninchen und einem staunenden Papa hoch zu Julius. Ihn hab ich dann auch fotografiert. Ein Junge mit Windpocken ist ungefähr genauso unfotogen wie ein gerupfter Hahn.
Als Nächstes bin ich in mein Zimmer geflitzt. Diesmal musste ich nicht an Kaninchen, Hund, Katzen, Ziegen-Schafen und den Hühnern vorbei. Die sind schließlich nicht bei uns im Haus.
Ich habe dann mein Sparschwein geschlachtet. Und das, obwohl ich auf ein Trikot vom FC Köln spare. Aber für einen guten Zweck muss man manchmal Opfer bringen. Trotzdem war ich ein bisschen traurig. 27 Euro 63 sind schon viel Geld, finde ich.
Mama sagt auch ganz oft zu Papa, dass man für einen guten Zweck Opfer bringen muss, aber meistens rollt sie dabei mit den Augen und schaltet den Fernseher um, damit Papa Fußball gucken kann.
Mit Geld, Fotoapparat und wehendem Umhang bin ich dann aufs Fahrrad gesprungen und in die Stadt geradelt. Da gibt es einen Fotografen. Ich habe Angst vor ihm, weil er immer so mürrisch guckt, aber ich habe meinen ganzen Mut zusammengenommen und bin in seinen Laden gegangen. Weil ich es sehr eilig hatte, habe ich ihm gesagt, er solle so schnell es geht die beiden Fotos entwickeln, koste es, was es wolle. Na ja, also höchstens 27,63€. Bitte!
Er hat die auch ganz schnell entwickelt und meinte dann zu mir: „Für kleine Superhelden gibt’s die heute gratis.“ Eigentlich war er ja doch ganz nett!
Ich hab mich dann ganz artig bedankt, bin wieder auf mein Fahrrad gesprungen und nach Hause gestrampelt. Zu Hause habe ich mir Schere und Kleber geschnappt, die Fotos auf ein großes Blatt geklebt und mit Buntstiften noch was draufgeschrieben.
Perfekt!
Ich hätte es geglaubt, wenn ich es nicht selbst gemacht hätte.
Aber ein Plakat war ein bisschen wenig. Ich hab mich dann ganz heimlich in das Arbeitszimmer von Papa geschlichen, um das Blatt zu kopieren. Ich dachte, hundertmal reicht. Nach 36 Blättern stand dann auf dem Bildschirm „Papier leer“. Also mussten 36 Plakate halt reichen.
Mit Klebestreifen bewaffnet ist BioBoi dann zu seiner letzten Tat für diesen Tag geschritten: Ich habe überall in unserem Dorf die Plakate aufgehängt.
Happy Huhn?!
Mein Plan war absolut sicher, davon war ich überzeugt. Aber leider durfte ich Mama und Papa nichts davon erzählen, sonst hätten sie ja gewusst, dass ich gelauscht habe. In dieser Nacht konnte ich super schlafen, und als ich am nächsten Morgen aufgewacht bin, stand Mama neben dem Bett. Ich hab mich gefreut, weil ich dachte, sie wollte sich bei mir bedanken, aber dann ist mir ihr ernster Blick aufgefallen. Sie hat ganz traurig den Kopf geschüttelt und gesagt: „Was hast du dir dabei gedacht, Lasse?“
Dann habe ich erfahren, dass das Gesundheitsamt hier war und unsere Hühner notschlachten wollte, um die Vogelpest direkt einzudämmen. Weil das meine Schuld war, musste ich den Männern vom Gesundheitsamt dann auch erklären, dass Carlos einfach so alt ist, dass er kaum noch Federn hat und Julius die Windpocken hat. Als ich gerade damit fertig war, alles zu erklären, klingelte es an der Türe.
Der Mann mit Hut. Wutentbrannt zerfetzte er das Dokument, das er letztes