Die schöne Sylvia - Kriminalroman. Axel Rudolph

Die schöne Sylvia - Kriminalroman - Axel Rudolph


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scheinen vor Sylvias Augen zu flackern, grell, mißtönig ist das leise Klingen der Gläser. Vorbei! Grau und inhaltlos scheint die Zukunft, ohne all die Farben, die das Dasein lebenswert machen für ein Mädchen, wie Sylvia Gauda. Es wird nicht viel Schönes übrigbleiben, wenn Hernando fort ist. Acht Stunden tägliche Arbeit in der Bank, unter den Augen des gestrengen Geheimrat Herkrath! Keine Vergnügungen, keine lustigen Abende mehr! Schulmeisterliche Strenge der gräßlich nüchtern denkenden jüngeren Schwester! Auf lange Zeit an jedem Monatsersten ein Abzug vom Gehalt, der nur das Allernotwendigste übrig läßt! Und da ist ja nicht einmal nur die Rechnung von Bendler & Croy. Sylvia denkt mit Schrecken daran, daß sie noch andere Schulden hat, die bald bezahlt werden müssen: beim Friseur, in der Konditorei, bei der Hutmacherin. Kleine Beträge, aber zusammengerechnet ergeben sie wieder eine Summe, die zu neuen Demütigungen vor Helen und zu weiteren Einschränkungen zwingt. Aber das Schlimmste wäre doch, wenn Hernando nicht wiederkäme.

      „Es gibt eine Möglichkeit …“ sagt Las Feras langsam, „eine Möglichkeit, dir sofort und gründlich zu helfen. Ich müßte meinen Plan allein durchführen, ohne Mitwirkung eines bezahlten Helfers.“

      „Du? Wie meinst du das?“

      „Ganz einfach, ich könnte das Geld, das ich für fremde Hilfe beim Besuch der Stahlkammer zahlen müßte, für dich frei machen.“

      Sylvia schüttelt ungläubig den Kopf. „Es ist nicht so leicht, in die Stahlkammer der Westbank zu kommen.“ Trotz allem muß Sylvia fast lächeln, wenn sie sich den stolzen aufrechten Hernando als Einbrecher vorstellt. Las Feras aber lächelt nicht.

      „Es hat schon etwas für sich,“ sagt er überlegend. „Sich einem Fremden anzuvertrauen, das wäre doch der letzte, verzweifelte Ausweg. Der Schlag kann mißlingen, der Einbrecher gefaßt werden. Dann würde so ein bezahlter Kerl natürlich seinen Auftraggeber glatt verraten und …“

      Ein neuer Schreck durchzuckt Sylvia. Hernando verhaftet, von seinem „Mann“ preisgegeben, als Mitbeteiligter an einem versuchten Bankeinbruch angeklagt, vielleicht zu langer Freiheitsstrafe verurteilt — nein, das darf nicht sein! Hernando darf sich dieser Gefahr nicht aussetzen! Er muß seinen Plan aufgeben.

      „Es ist nicht so leicht,“ fährt Las Feras halblaut fort. „Aber — unter Umständen wäre es doch möglich. Das betreffende Fach zu öffnen, traue ich mir schon zu. Die Schwierigkeit liegt nur darin, unbemerkt und ungehindert in die Stahlkammer zu gelangen. Dazu müßte man die Sicherheits- und Alarmvorrichtungen der Bank genau kennen, also einen Einblick haben, der mir natürlich vollkommen fehlt. Man müßte wissen, wo die Alarmvorrichtungen liegen. Weißt du, es gibt in jeder Bank einen genauen Plan dieser Vorrichtungen;“

      „Ja, das stimmt,“ sagt Sylvia atemlos. „Geheimrat Herkrath hat erst kürzlich mit Dr. Rentz, seinem Sekretär, einige Veränderungen in diesem Plan besprochen.“

      „So, so. — Und — dieser Plan liegt in seinem Geldschrank, ja?“

      „Nein, im Privatbüro Herkraths, in einem Schreibtischfach. Aber — laß uns von etwas anderem reden, Hernando — oder denkst du etwa im Ernst daran, bei der Westbank — einzubrechen?“

      Las Feras’ Antlitz verfinstert sich. „Wenn es sein müßte, ich würde auch das tun, um zu meinem Recht zu kommen, Sylvia. Aber es ist leider völlig ausgeschlossen. Ebensogut könnte ich den Versuch wagen, ohne Kenntnis der Alarmanlagen in die Stahlkammer einzudringen. Aber wenn ich — den Plan hätte! Sylvia! Dann wäre alles gut. Eine Zukunft, wie ich sie erträumt. Deine kleinen Läpperschulden — pah! Das Erbe meiner Mutter würde mich mit einem Schlage zu einem reichen Mann machen. Ich könnte zu deiner Mutter gehen und um deine Hand bitten. Und wenn sie mich abweisen sollte, ich würde dich auf meine Arme nehmen und mit mir forttragen, weit fort, in meine sonnige Heimat, Ich will dir den Platz im Leben geben, der dir gebührt, schöne, wundervolle, liebe Sylvia. Wenn wir in unserer Villa über den Palmen säßen, wenn wir auf unserer Jacht das blaue Meer durchkreuzten, würden wir lachen in der Erinnerung an diese graue, schwere Zeit, stolz und glücklich lachen: Zwei Menschen, die zusammen gekämpft haben um ihr Glück, gekämpft und — gesiegt! Sylvia —!“ Zwingend, strahlend senkt sich sein Blick in ihre Augen. Ganz nahe sieht Sylvia in sein kampffrohes Gesicht. Heiß und fordernd hört sie seine halblaute Stimme. „Verhilf mir zu dem Plan, Sylvia! So verhilfst du uns zu unserem Glück!“

      Ein Glas fällt um und zerschellt klirrend am Boden. Dienstbeflissen steht der Ober mit einem neuen Glas vor Sylvia. Ein rotbefrackter Page fegt schnell die Scherben auf. Wie im Traum sieht Sylvia, daß Hernando mit der Lässigkeit eines großen Herrn die Rechnung begleicht und den Pagen fortschickt, die Garderobe zu holen; wie im Traum hört sie seine halb bittende, halb befehlende Stimme:

      „Wir wollen gehen, Sylvia. Es spricht sich nicht gut über so ernste Dinge, hier in dem Lärm und Trubel.“

      Ihre Knie zittern leicht, als sie schweigend vor ihm her durch die Tischreihen dem Ausgang zuschreitet. Furchtbar häßliche und furchtbar schöne Bilder flattern im Nebel vor ihren Augen: Hernando als Einbrecher, Hernando mit Handschellen gefesselt, Helen zählt streng und schulmeisterhaft die Geldscheine, die Sylvia ihr zaghaft reicht, der Geheimrat Herkrath wirft ihr schroff einen Stoß Briefe auf den Tisch, Hernando hockt verzweifelt, arm, als Bettler irgendwo am Wege, ein weißes Schloß, umrauscht von Palmenkronen, Dienerschaft, ein mächtiger, nagelneuer Rennwagen, zwei Menschen auf einer breiten, marmorglänzenden Terrasse, sonnenüberstrahlt, glücklich — Hernando und Sylvia — Sylvia Las Feras.

      „Wir müssen noch einmal darüber sprechen.“ Im Flur, der zur Straße hinausführt, faßt Las Feras ihren Arm, preßt ihn heftig an sich. „Das Geld für deine Rechnung geb’ ich dir heut’ abend noch. Ich weiß, daß du mir helfen wirst. Um unserer Zukunft willen!“

      *

      „Die Zeit ist um, Sylvia.“ Helen vertritt mit ernstem Gesicht ihrer Schwester den Weg, die fröhlich trällernd in ihrem Zimmer verschwinden will. „Du wolltest mir doch heute abend Bescheid sagen.“

      „Bescheid sagen? Wieso?“

      „Bitte, spiel nicht die Unwissende, Sylvia! Heute mittag, als ich heimkam, warst du schon wieder fort, ohne etwas für mich zu hinterlassen. Jetzt ist’s bald Mitternacht. Seit zwei Stunden warte ich auf dich. Die Sache muß doch in Ordnung gebracht werden. Ich nehme an, daß du damit einverstanden bist, daß ich morgen zu Bendler & Croy gehe?“

      „Ach so, das meinst du!“ Sylvia öffnet ihr Täschchen und kramt ein Papier hervor. „Wie du siehst, ist die Angelegenheit bereits erledigt.“

      „Betrag dankend erhalten?“ Helen sieht überrascht auf und mustert argwöhnisch noch einmal Unterschrift und Firmenstempel der Empfangsbescheinigung. „Du hast die ganze Rechnung bezahlt? Woher hast du denn …?“

      Sylvia lacht herzlich, wie über einen wohlgelungenen Streich. „Nicht so neugierig sein, liebe Helen. Wie du siehst, sind deine Sorgen jetzt überflüssig. Meine Schulden sind bezahlt. Und gestohlen habe ich das Geld ganz gewiß nicht!“

      „Das hab’ ich auch nicht angenommen … So ist das also!“ Helen blickt traurig zu Boden. Eine Hoffnung, die sie sich nie eingestanden hat, die aber nicht vergehen wollte, sinkt endgültig ins große Nichts. „Du wirst dich — bald — verloben, Sylvia?“

      „Vielleicht werde ich sogar bald — heiraten! Gute Nacht, Helen!“

      Mit einem unbeschwerten Lächeln nickt Sylvia ihrer Schwester zu. Dann verschwindet sie in ihrem Zimmer.

      3.

      Herbert Rohde und Helen, die eben aus der Tür getreten sind, grüßen, sich umwendend und winkend, noch einmal zu dem Atelierfenster ’hinauf, hinter dem Valerie mit Gerhard Lenneberg steht.

      „Herbert Rohde ist wirklich ein ungewöhnlich netter junger Mann.“ Frau Gauda schaut den beiden nach, die im ’gleichen Schritt wie gute Kameraden nebeneinander die Straße entlang gehen. Auch Lenneberg sieht den jungen Leuten nach. Es liegt etwas Gemeinsames, Verbundenes in diesem raschen, gleichmäßigen Schreiten.

      „Mir


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