Die phantastische Welt der Literatur: 90+ Romane, Märchen & Zauberhafte Geschichten. Gustav Weil

Die phantastische Welt der Literatur: 90+ Romane, Märchen & Zauberhafte Geschichten - Gustav  Weil


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Stolzes geschaffen hatte.

      Eines Abends kam es an das Tor einer Stadt mit festen Mauern, die an einem Flusse lag, und so müde und fußwund es war, wollte es doch hineingehen. Aber die Soldaten, die Wache hielten, senkten ihre Hellebarden vor den Eingang und fragten es barsch: »Was willst du in der Stadt?«

      »Ich suche meine Mutter,« antwortete es, und ich bitte dich, laß mich vorbei, denn vielleicht ist sie in dieser Stadt.«

      Aber sie spotteten seiner, und einer von ihnen schüttelte seinen schwarzen Bart, setzte seinen Schild hin und sprach: »Wahrlich, deine Mutter wird nicht froh sein, wenn sie dich sieht, denn du bist abscheulicher als die Kröte im Sumpf und die Natter, die über das Moor kriecht. Fort mit dir! Fort mit dir! Deine Mutter wohnt nicht in dieser Stadt.« Und ein anderer, der eine gelbe Fahne in der Hand trug, sprach zu ihm: »Wer ist deine Mutter, und warum suchst du sie?«

      Da antwortete es: »Meine Mutter bettelt wie ich, und ich habe schlecht an ihr gehandelt. Darum bitte ich dich, laß mich hineingehen, damit ich ihre Vergebung erlange, wenn sie sich in dieser Stadt aufhält.« Aber sie weigerten sich und stachen nach ihm mit ihren Speeren.

      Und als es sich weinend abwandte, kam einer heran, der eine Rüstung mit eingelegten goldnen Blumen und einen Helm mit einem kauernden Löwen darauf trug, und fragte die Soldaten, wer es sei, der da um Einlaß gebeten habe. Und sie sagten zu ihm: »Es ist ein Bettler und ein Kind von Bettlern, und wir haben ihn fortgetrieben.«

      »Nein,« rief er lachend, »wir wollen das häßliche Geschöpf als Sklaven verkaufen, und sein Preis soll der Preis für einen Humpen süßen Weines sein.«

      Und ein alter Mann von bösem Aussehen, der vorüberging, rief aus: »Für diesen Preis will ich ihn kaufen.« Und dann zahlte er den Preis, nahm das Sternenkind bei der Hand und führte es in die Stadt.

      Und als sie durch viele Straßen gegangen waren, kamen sie zu einer kleinen Tür in einer Mauer, die von einem Granatapfelbaum überhangen war. Der alte Mann berührte die Tür mit einem Ring aus geschnittenem Jaspis und öffnete sie, und sie gingen fünf Erzstufen hinab in einen Garten, der mit schwarzen Mohnblumen in grünen Töpfen aus gebranntem Ton gefüllt war. Dann nahm der alte Mann aus seinem Turban ein Tuch aus buntgewebter Seide, verband damit dem Sternenkind die Augen und trieb es vor sich her. Und als ihm das Tuch von den Augen genommen war, befand sich das Sternenkind in einem Kerker, der von einer Hornlaterne beleuchtet war.

      Und der alte Mann setzte auf einem Holzbrett schimmliges Brot vor ihn hin und sprach: »Iß!« und in einem Becher schlechtes Wasser und sprach: »Trink!«, und als es gegessen und getrunken hatte, ging der alte Mann fort, indem er die Tür hinter sich zuschloß und sie mit einer eisernen Kette befestigte.

      Und am Morgen kam der alte Mann, der in Wirklichkeit einer der scharfsinnigsten Zauberer aus Libyen war und seine Kunst von einem gelernt hatte, der in den Gräbern am Nil lebte, zu ihm, blickte es finster an und sprach: »In einem Wald nahe bei dem Tore dieser Stadt der Giauren liegen drei Klumpen Gold. Einer ist von weißem Gold, der andere ist von gelbem Gold, und das Gold des dritten ist rot. Heute sollst du mir den Klumpen weißen Goldes bringen, und wenn du ihn nicht bringst, werde ich dir hundert Hiebe geben. Geh schnell hinweg, und bei Sonnenuntergang werde ich dich an der Gartentüre erwarten. Sieh zu, daß du das weiße Gold bringst, sonst wird es dir schlecht ergehen, denn du bist mein Sklave, und ich habe dich um den Preis eines Humpen süßen Weines gekauft.« Und mit dem Tuch aus bunter Seide verband er dem Sternenkind wieder die Augen und führte es durch das Haus und den Mohngarten und dann die fünf Stufen von Erz hinauf. Und als er mit seinem Ring die kleine Tür geöffnet hatte, setzte er es auf die Straße. Und das Sternenkind ging zum Stadttor hinaus und kam nach dem Wald, von dem ihm der Zauberer gesprochen hatte.

      Nun war dieser Wald von außen herrlich anzusehen und schien ganz voll von singenden Vögeln und süß duftenden Blumen zu sein, und das Sternenkind schritt fröhlich hinein. Doch nützte ihm diese Herrlichkeit wenig, denn überall, wo es ging, wuchsen scharfe Dorn- und Stachelsträucher aus dem Boden und umgaben es, böse Nesseln brannten es, und die Distel stach es mit ihren Dolchen, so daß es in bitterer Not war. Auch konnte es nirgendwo den Klumpen weißen Goldes finden, von dem der Zauberer gesprochen hatte, obgleich es vom Morgen bis zum Mittag und vom Mittag bis zum Abend danach suchte. Am Abend aber wandte es sich wieder heimwärts und weinte bitterlich, denn es wußte, welches Schicksal seiner wartete. Als es aber den Waldrand erreicht hatte, hörte es, wie jemand im Dickicht in Angst schrie. Da vergaß es sein eigenes Leid, lief zurück an die Stelle und sah dort einen kleinen Hasen in einer Falle, die ein Jäger aufgestellt hatte.

      Und das Sternenkind hatte Mitleid mit ihm, befreite ihn und sprach zu ihm: »Ich bin selbst nur ein Sklave, doch kann ich dir die Freiheit geben.«

      Aber der Hase antwortete ihm und sagte: »Du hast mir wirklich die Freiheit gegeben, was soll ich dir nun dafür zurückgeben?«

      Und das Sternenkind sprach zu ihm: »Ich suche nach einem Klumpen weißen Goldes und kann ihn nirgendwo finden. Wenn ich ihn aber nicht mitbringe, wird mich mein Herr schlagen.« »Komm mit mir,« sagte der Hase. »Ich will dich dahinführen; denn ich weiß, wo er verborgen ist und welchem Zweck er dient.«

      Da ging das Sternenkind mit dem Hasen, und siehe, in der Höhlung einer großen Eiche fand es den Klumpen weißen Goldes, den es suchte. Und es war voll Freude und ergriff ihn und sprach zum Hasen: »Den Dienst, den ich dir erwies, hast du mir viele Male erwidert, und die Güte, die ich dir erzeigte, hast du hundertfach zurückgezahlt.«

      »Nein,« antwortete der Hase, »wie du an mir gehandelt hast, habe ich auch an dir gehandelt,« und er lief geschwind von dannen, und das Sternenkind ging nach der Stadt.

      Nun saß an dem Stadttore ein Aussätziger. Über sein Gesicht hing eine Kapuze von grauem Leinen, und durch die Augenschlitze glimmten seine Augen wie rote Kohlen. Und als er das Sternenkind kommen sah, klopfte er auf eine hölzerne Schüssel, klingelte mit seiner Glocke und rief nach ihm, indem er sprach: »Gib mir ein Stück Geld, sonst muß ich vor Hunger sterben. Denn sie haben mich aus der Stadt gejagt, und niemand hat Mitleid mit mir.«

      »Ach,« rief das Sternenkind, »ich habe nur einen Klumpen Gold in meiner Tasche, und wenn ich ihn nicht meinem Herrn bringe, wird er mich schlagen, denn ich bin sein Sklave.«

      Aber der Aussätzige beschwor ihn und bat ihn, bis das Sternenkind Mitleid hatte und ihm den Klumpen weißen Goldes gab.

      Und als es an des Zauberers Haus kam, öffnete ihm der Zauberer und brachte es hinein und fragte: »Hast du den Klumpen weißen Goldes?« Und das Sternenkind antwortete: »Ich habe ihn nicht.« Da fiel der Zauberer über das Sternenkind her, schlug es und setzte ihm einen leeren Teller vor und sprach: »Iß!« und einen leeren Becher und sprach: »Trink!«, und warf es wieder in den Kerker.

      Am Morgen kam der Zauberer zu ihm und sagte: »Wenn du mir heute nicht den Klumpen gelben Goldes bringst, will ich dich sicherlich als meinen Sklaven behalten und dir dreihundert Hiebe geben.«

      Da ging das Sternenkind nach dem Wald, und den ganzen Tag über suchte es nach dem Klumpen gelben Goldes, konnte ihn aber nirgendwo finden. Und bei Sonnenuntergang setzte es sich hin und begann zu weinen, und als es weinte, kam der kleine Hase, den es aus der Falle befreit hatte.

      Und der Hase sprach zu ihm: »Warum weinst du? Und was suchst du in dem Walde?«

      Und das Sternenkind antwortete: »Ich suche einen Klumpen gelben Goldes, der hier verborgen ist, und wenn ich ihn nicht finde, wird mich mein Herr schlagen und mich als Sklaven behalten.«

      »Folge mir,« schrie der Hase und lief durch den Wald, bis er an einen Wasserpfuhl kam.

      Und auf dem Boden des Pfuhles lag der Klumpen gelben Goldes.

      »Wie soll ich dir danken?« fragte das Sternenkind, »denn du hast mir nun zum zweiten Male geholfen.«

      »Nein, du hattest zuerst Mitleid mit mir,« sagte der Hase und lief geschwind davon.

      Und das Sternenkind nahm den Klumpen gelben Goldes, steckte ihn in seine Tasche und eilte zur Stadt. Aber der Aussätzige sah es kommen, lief ihm entgegen, kniete nieder und sprach: »Gib mir ein Stück


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