Elfenzeit 7: Sinenomen. Susanne Picard
entlang, die auf dem Wehrgang warteten. Er hielt einen schweren Schmiedehammer in beiden Händen und murmelte etwas Unverständliches. Die Elfen berührten nacheinander den Stiel des Hammers. Manche küssten ihn sogar.
Bogenschützen rückten enger zusammen, als Robert, Anne und Nadja den Wehrgang betraten. Sie waren staubbedeckt. Wind pfiff durch die brusthohen Zinnen der Mauer und brachte den Sand der Ebene mit.
Robert schirmte seine Augen mit einer Hand ab. Trotzdem sah er die beiden Katapulte erst, als die Elfe neben ihm auf sie zeigte. Sie ragten verschwommen auf, braunes Holz und graues Metall inmitten des Staubs. Karren, wahrscheinlich mit Steinen beladen, standen neben ihnen. Schemenhaft erkennbare Gestalten eilten zwischen ihnen umher. Robert hörte einen weit entfernten Ruf, dann wurde ein Felsbrocken über die Ebene katapultiert. Er flog langsam und trudelnd und doch schoss er in der nächsten Sekunde bereits über die Mauer hinweg und schlug in ein Haus ein.
Der Knall ließ die Steine unter Roberts Füßen vibrieren und hallte in seinem Magen nach.
»Gleich«, sagte die Elfe neben ihm. Sie trug einen Helm, unter dem ihr Gesicht nicht zu erkennen war. Ein Köcher mit Pfeilen stand zwischen ihren Füßen, der Bogen hing locker von ihrem Arm. Robert ahmte sie nach. Er wagte nicht zu fragen, was gleich zu bedeuten hatte.
Nadja stand auf seiner anderen Seite, Anne ein wenig hinter ihm. Beide hielten ihre Bögen in der Hand und starrten mit zusammengekniffenen Augen in die Ebene hinaus. Sie wirkten nervös.
Und dann hörte er das Kreischen. Ein dunkler Fleck breitete sich dort draußen aus wie Blut, das aus einer Wunde strömte.
Die Elfe spannte ihren Bogen. Robert folgte ihrem Beispiel, ebenso wie alle anderen, die auf der Mauer standen.
»Für den Schmied!«, schrie jemand. Einige Elfen nahmen den Ruf auf, doch die meisten blieben stumm. Robert roch ihre Angst.
Der Fleck kam näher, verwandelte sich in einzelne Schemen hoch in der Luft. Flügel wurden sichtbar, dunkle Lederschwingen, jede so lang wie ein ausgewachsener Mensch. Robert sah aufgerissene Mäuler und Stacheln, die aus dem Körper ragten.
»Grawnya«, hörte er Anne hinter sich flüstern. Ihre Lippen kamen nahe an sein Ohr. »Lass dich nicht beißen. Selbst du würdest daran zugrunde gehen.«
Er schluckte, ohne den Blick von den Kreaturen zu nehmen, die rasch näher kamen. »Ihr Biss ist tödlich«, sagte er an Nadja gewandt. Sie nickte. Der gespannte Bogen in ihrer Hand zitterte ein wenig. Er wusste nicht, ob Anstrengung oder Angst dafür verantwortlich war.
»Los!«, schrie die Elfe neben ihm plötzlich. Robert ließ die Bogensehne los. Sein Pfeil zischte den Kreaturen entgegen, war Teil einer gewaltigen Salve, die Dutzende aus dem Himmel riss. Schwere Körper schlugen im Sand auf, wanden sich kreischend am Boden. Lederschwingen knallten wie Peitschen, Klauen pflügten den Sand auf.
Die nächste Salve stieg bereits in die Luft, bevor Robert sich nach einem neuen Pfeil bücken konnte. Er bemerkte, dass die Elfe kurz den Kopf in seine Richtung drehte und hob die Schultern. »Ich bin kein guter Schütze.«
»Offensichtlich«, sagte sie dumpf unter dem Helm.
Die Pfeile rissen große Lücken in den Schwarm der Grawnya. Kreischend stürzten die Kreaturen ab, erschlugen teilweise die, die bereits verletzt am Boden lagen. Doch die Grawnya gaben nicht auf. Immer näher kamen sie der Mauer. Robert sah ihre langen faltigen Hälse, die Zähne in den aufgerissenen Mäulern und die orangefarbenen, schmalen Augen.
Zwei von ihnen kamen einige Meter von Robert entfernt an die Mauer heran. Ihre Schwingen fegten drei Elfen herunter. Einer fiel rückwärts auf einen mit Waffen beladenen Karren, die anderen beiden verschwanden jenseits der Mauer.
Elfen stachen mit Schwertern, Dolchen und Speeren nach den Grawnya, die wild vor ihnen flatterten und immer wieder nach ihnen schnappten. Die Schreie des Mannes, der auf den Karren gefallen war, übertönten sogar ihr Kreischen. Robert drehte sich nach ihm um. Speere und Schwertklingen ragten aus seinem Körper, aber er lebte noch.
Er wandte sich wieder den Grawnya zu. Das Gedränge auf der Mauer verhinderte, dass er näher an den Kampf herankam. Die Elfen standen sich gegenseitig im Weg, schrien sich an, stießen einander zur Seite um selbst nach den Flugwesen zu stechen.
Die Grawnya wichen mit einigen Flügelschlägen den Speeren und Schwertern aus. Es überraschte Robert, wie schnell und elegant sie wirkten. Der Erste stieg auf, lenkte die Angreifer einen Moment ab, worauf der Zweite in die Lücke stieß und einem Elfen den Arm abbiss.
»Mein Gott«, würgte Nadja neben ihm hervor. Robert hoffte, dass sie niemand gehört hatte. Der Grawnya packte den in sich zusammensinkenden Elf mit den Klauen und stieg mit ihm in die Luft. Blut spritzte aus dessen Armstumpf und regnete auf die Schützen herab, die hilflos unter ihm standen.
Der zweite Grawnya flog einen weiten Bogen, so wie ein Jagdflieger, dann raste er wieder auf die Mauer zu. Die Schwingen breitete er weit aus, wollte wohl so viele Elfen wie möglich in den Tod reißen.
Am Rande von Roberts Gesichtsfeld tauchte plötzlich ein Pfeil auf. Er spürte den Luftzug, als er an seiner Wange vorbeischoss. Ein zweiter lag keine Sekunde später auf der Sehne. Dieses Mal nahm Robert den Kopf zurück.
Beide Pfeile fanden ihr Ziel. Der eine bohrte sich in den Kopf des Grawnya, der den Elfen in den Klauen hielt, der zweite traf den Bauch des anderen. Er flatterte erschrocken zur Seite, verlor die Kontrolle und prallte gegen die Mauerzinnen. Gleichzeitig stürzte der Elf auf die Mauer. Der Grawnya, der ihn selbst im Tod noch festhielt, landete auf ihm.
Robert drehte den Kopf. Die Elfe neben ihm legte ruhig einen neuen Pfeil auf die Sehne. »Vergiss die anderen nicht.«
Unter der Mauer wurden Befehle geschrien. Die Ritter setzten sich auf ihre Cosgrachs, einige Bogenschützen kletterten von den Wachgängen und sprangen auf Pferde. Im ersten Moment verstand Robert nicht, was die Ritter gegen einen Angreifer aus der Luft ausrichten sollten, doch dann entdeckte er die Kolonne, die auf der Ebene auftauchte.
Schwer gepanzerte Elfen schoben einen mehrere Meter langen Wagen über Bretter, die von anderen vor ihnen in den Sand geworfen und hinter ihnen wieder aufgehoben wurden. Spitz zulaufende Balken ragten von dem Wagen hoch. Zwischen ihnen hing ein angespitzter, hölzerner Rammbock in armdicken Seilen. Schildträger umgaben die Kolonne, Ritter, auf deren Röcken das Wappen der gelben Flamme leuchtete, ritten in Zweierreihen rechts und links von ihnen durch den Sand.
»Brighde!«, schrie jemand. »Du auch.«
Die Elfe neben Robert drehte sich um und nahm den Helm ab. Kurzes, dunkles Haar rahmte einen Katzenkopf ein. Mit einem Satz sprang sie von der Mauer, rollte sich am Boden ab und kam geschmeidig wieder auf die Beine. Jemand reichte ihr einen Köcher voller Pfeile. Sie schnallte ihn sich auf den Rücken und sprang auf ein Pferd.
Das ist unsere Chance, dachte Robert. Nadja schien das im gleichen Moment zu erkennen. »Sie öffnen das Tor«, sagte sie.
Er nickte. »Jetzt oder nie.«
Anne kletterte bereits die Leiter herab, als er sich umdrehte. Die Grawnya sammelten sich vor der Mauer zu einem weiteren Angriff, hielten die Bogenschützen davon ab, die Kolonne anzugreifen. Robert schoss ein letztes Mal auf sie – daneben – während Nadja an ihm vorbei von der Mauer kletterte. Dann folgte er ihr.
Niemand beachtete sie. In dem Chaos aus kreischenden Grawnya, schreienden Verletzten und Befehle brüllenden Soldaten fielen sie nicht auf.
Es standen nur noch wenige reiterlose Pferde vor dem Tor. Sie fanden drei. Anne schwang sich geschmeidig in den Sattel, Robert und Nadja kämpften sich mühsam hoch. »Wir müssen zusammenbleiben«, sagte Robert. Die Zügel in seinen Händen fühlten sich fremd an. Er war noch nie geritten, hatte aber das seltsame Gefühl, das Pferd seinem Willen unterwerfen und beherrschen zu können. Noch so ein Superheldenzeugs? Für einen kurzen Moment war er wie berauscht.
»Artair ist da vorne zwischen den Rittern.« Nadja zeigte in den Gang, der zum Tor führte. Das Pferd tänzelte unter ihr, und sie zog eine kritische Miene. Robert wusste, dass sie Angst