Das magische Buch 3 - Voodoo. Anne-Marie Donslund
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Anne-Marie Donslund und Inez Gavilanes
Das Magische Buch 3
„Voodoo“
Saga
Neue Welt
Ich konnte mir nie erklären, wozu Mathematik eigentlich gut sein sollte. Aber eigenartigerweise bin ausgerechnet ich nun ganz besessen von Zahlen. Seitdem ich nämlich in dem Magischen Buch gelesen habe, dass Zahlen uns viel mehr beeinflussen, als wir zunächst glauben. Nichts passiert zufällig.
Meine Mutter glaubt, Numerologie und Magie mit Zahlen sind reiner Aberglaube. Sie geht gerade einen halben Meter vor mir und erzählt von einer alten Freundin, die Hella hieß, sich dann aber plötzlich Maike-Dea nannte, weil sie glaubte, die Zahlen, die in ihrem Namen stecken, hätten Einfluss auf ihr Leben. Ich zähle währenddessen im Stillen die Striche auf dem Gehwegpflaster. 745, 746, 747...
Mama hat darauf bestanden, mich heute Morgen zu begleiten, weil Helena und Julie mich nicht abholen kommen. Das haben sie sonst gemacht, wenn wir in die Schule mussten, aber jetzt sind wir ja zerstritten.
„Bei dem schönen Wetter mache ich doch gerne einen kleinen Umweg auf dem Weg ins Amt“, hat sie gesagt und so geschah es. Jetzt bin ich dazu verdonnert, ihrem Gerede zuzuhören.
Hätte ich bloß nie etwas von den Zahlen gesagt. Würde sie doch einfach aufhören. 749, 750...
„Das gibt es ja nicht: Wie langsam du gehst.“ Mama hat sich umgedreht und ihr Parfüm dringt in meine Nase. Ich muss niesen.
„Als ich zur Schule ging, wollte man immer früh da sein. Hella und ich waren immer früh!“
„Maike-Dea“, murmle ich. Es ist, als wären meine Beine schwer wie Blei, so als wenn es überhaupt nicht das Richtige ist, sich der Schule zu nähern. Deshalb zähle ich auch. Ich muss wissen, ob ich tatsächlich reingehe oder besser draußen bleibe.
Es sind 762 Striche auf dem Gehweg von unserem Haus bis zur Schule.
Man muss Quersummen bilden und die Zahlen immer weiter zusammenziehen bis am Ende nur noch eine Ziffer übrig bleibt. Sieben plus Sechs plus Zwei. Das macht 15. Und Eins plus Fünf, das macht... zum Glück: Sechs!
Ich atme erleichtert auf. Sechs ist meine Glückszahl. Also wird heute vielleicht doch nicht alles so schlimm werden wie gedacht. Mama redet immer noch einfach drauflos. So als hätte sie einfach nicht verstanden, wie schwierig es in meinem Leben gerade ist.
„Da, wo der neue Gebäudeflügel jetzt ist“, sagt sie, „da war früher ein Schuppen in dem sich die Pärchen versteckt haben um zu küssen. Schade, dass sie den abgerissen haben, was?“ Sie zwinkert mir zu und stößt mir leicht ihren Ellenbogen in die Seite. Als hätte ich jemanden, den ich heimlich küssen könnte. Das hatte ich mal, also fast. Aber jetzt nicht mehr. Mein Hals schnürt sich sofort zu.
„Ja, wirklich schade. Tschüss dann“, sage ich und schlurfe rüber zur Tür. Meine Füße sind wieder schwer. Schwer wie Stein und Eisen. Ich bekomme kaum die Flipflops über die Türschwelle.
„Hallooo“, höre ich dann Mama von hinter mir mit beschwingter Stimme. Aus meinem Augenwinkel sehe ich Hinkeheiner. Er war beim Frisör und hat ein neues Hemd an. Komisch. Jetzt hatte er sieben Jahre die gleichen Sachen an und gerade heute, wo ich zu einer Art Eisenskulptur mutiert bin, ist auch er ganz anders.
Dann sind wir also zwei.
Nach den Sommerferien gibt es immer irgendetwas das neu und anders ist. Einer ist gewachsen, eine andere hat Brüste oder längere Haare bekommen und wieder andere tragen ein Armband aus irgendeinem exotischen Land. Aber Herr Hein ist normalerweise immer der Alte und ich freue mich normalerweise darauf, wieder in die Schule zu kommen. Aber nicht dieses Jahr.
Herr Hein ist stehen geblieben, um sich mit Mama zu unterhalten.
Aber im Ernst mal, nur weil wir auf seiner Nachtwanderung waren und Mama und er vor gefühlten 1oo Jahren zusammen zur Schule gegangen sind, müssen sie doch nicht gleich beste Freunde werden. Vielleicht reden sie auch über mich? Über meinen Streit mit Helena und Julie? Hauptsache, Mama fragt ihn nicht, ob er irgendwas machen kann, um es in Ordnung zu bringen, denn dann wird alles nur noch schlimmer.
Wenn es überhaupt noch schlimmer werden kann.
Aber ja, es geht immer schlimmer...
Ich sehe es sofort, als ich die Tür zum Klassenzimmer aufmache. Hier ist auch alles anders. Die U-Anordnung der Tische, in der wir jedes Schuljahr gesessen haben, wurde umgestellt. Jetzt sind es Bankreihen, in denen man jeweils zu zweit nebeneinander sitzt. Drüben am Fenster sitzen Julie und Helena beieinander. Beide in weißen Tops, mit sonnengebräunter Haut und gleichen Pferdeschwänzen. Hinter ihnen sitzen Hannes und Kasper. Alle haben schon einen Banknachbar, außer zwei. Der eine, der alleine sitzt, ist Sven, natürlich.
Die andere ist das neue Mädchen in der Klasse, Anna. Sie hat knallrote Haare, schwarze Augen, schwarze Klamotten, schwarzen Nagellack und kreidebleiche Haut. Sie hat außerdem ihre Kopfhörer drin und hört damit bestimmt irgendwelchen Metal von dem iPod vor ihr auf dem Tisch. Sie sieht jedenfalls so aus, als würde sie so etwas mögen.
Ich fühle mich noch tausendmal schwerer, als Sven bei meinem Anblick zu lächeln beginnt und seine Tasche vom Stuhl neben sich nimmt.
Alle starren mich an und warten auf die Entscheidung. Sven oder Anna?
Sechser
Wir hatten Anna vor zwei Wochen am Strand zum ersten Mal getroffen. Es war der Katastrophentag, der alles veränderte. An diesem Tag habe ich meine beiden besten Freundinnen, meine Liebespuppen und denjenigen, in den ich schon seit einem Jahr verliebt bin, verloren. Kasper und ich waren eigentlich gerade dabei... naja, vielleicht nicht direkt dabei, ein Paar zu werden, aber wir waren auf dem Weg dahin. Wir haben beinahe Händchen gehalten und uns geküsst.
Aber dann kamen Helena und Julie aus dem Urlaub zurück und haben die Liebespuppen in meiner Tasche gesehen und so herausgefunden, dass ich sie nicht kaputtgemacht habe, wie wir es uns eigentlich versprochen hatten.
Ich habe damals nicht mit Anna gesprochen. Niemand hatte es getan. Sie saß einfach nur da und sah mega-feindselig aus. Genau wie jetzt.
Sven dreht seinen Kopf leicht seitlich. Er macht mich Wahnsinnig mit seinen Hundeaugen. Ich verstehe jetzt so gut, warum meine Beine schon beim ersten Schritt in Richtung Schule so schwer waren. Mit meinem sechsten Sinn wusste ich, dass das neue Schuljahr genau so werden wird: ein Alptraum.
Vielleicht können mir die Zahlen helfen. Ich bin richtig gut im Kopfrechnen geworden, seitdem ich das Kapitel über Numerologie im Magischen Buch gefunden habe. Ich habe die Übersicht mit dem Alphabet und den dazugehörigen Zahlen abgeschrieben und mitgenommen. Ich ahnte wohl, es könnte nützlich sein. Ich ziehe den Zettel halb aus meiner Hosentasche und schiele unauffällig drauf.
Jeder Buchstabe hat eine Zahl.
Sven:
S= 8
V= 1
E= 4
N= 12
8+1+4+12 = 25 = 7
Sieben? Fuck, das kann nicht sein. Sieben! Genau wie bei meinem Namen. Von jetzt an kann ich nicht mehr Cille heißen! Ich habe keine Lust, die gleiche Zahl zu sein wie Sven! So ein Dreck aber auch! Von jetzt an muss ich mich Cecilie nennen, dann bin ich ein Zweier, wenn man die Zahlen der Buchstaben zusammen nimmt. Der ewige Zweier, für immer nur an zweiter Stelle. Helena ist natürlich ein Einser.
Aber Kasper ist ein Sechser. Deshalb ist Sechs auch meine Glückszahl. Anna ist... auch ein Sechser. Und es waren 762 Striche auf dem Gehweg, die werden auch zu einem Sechser.
Die Zahlen wollen mir etwas sagen. Ich spüre es. Und ich spüre auch Herr Heins Hand auf meiner Schulter.
„Hallo und herzlich willkommen zurück im Schulalltag, trotz der Sommerhitze!“, ruft er hinter mir und schließt die Tür. Ich gehe