Das Geisterschiff. Hubert Haensel
wenig Zeit, um zu verschwinden.«
Hinter ihnen war schon ein fernes Rauschen wie von näherkommenden Fahrzeugen zu vernehmen. Noch mochten sie allerdings einige Kilometer entfernt sein, denn jedes Geräusch wurde von den Felswänden um ein Vielfaches verstärkt zurückgeworfen.
Ein gleißender Energiestrahl verflüssigte etwa dreißig Meter vor den Männern einen Teil der Seitenwand. Eine enorme Hitze brandete ihnen entgegen.
»Sie haben uns!«, schrie Quinger auf und warf sich mit den anderen zu Boden. Keinen Augenblick zu früh, denn ein weiterer Strahlschuss fauchte dicht über sie hinweg.
Fast gleichzeitig entdeckten sie den Angreifer. Er stand höchstens zweihundert Meter entfernt, auf der anderen Seite des Stollens, in einer Öffnung, die vor wenigen Augenblicken noch nicht zu erkennen gewesen war.
Finch riss den Laser hoch und löste aus. Oam-Pham-Phus Schuss röhrte dem Angreifer einen Sekundenbruchteil eher entgegen.
Der Donner einer schweren Explosion dröhnte in vielfachem Echo durch den Tunnel. Gesteinsbrocken prasselten wie Hagel herab.
»Da hinein!« Oam-Pham-Phu stürmte weiter auf den Seitenstollen zu und warf sich förmlich hinein.
Die Männer folgten ihm dichtauf. Es ging eine enge, steile Wendeltreppe hinab ‒ ein Anachronismus in dieser hoch technisierten Umgebung ‒ und weiter durch ein wahres Labyrinth von Gängen, in dem Finch, Quinger und Küber sich ohne ihren Führer bald hoffnungslos verirrt hätten.
Samuel Finch nahm die Umgebung nur noch unbewusst wahr. Seine Gedanken drehten sich ausschließlich um das Fragment, das er nach der Explosion aufgehoben hatte. Er spürte deshalb ein intensiver werdendes Würgen, das ihm die Kehle zuschnüren wollte. Das Fragment steckte in einer Außentasche seiner Kombination.
»Nein!« Quingers Aufschrei hallte von den Wänden wider. Aus vor Schreck weit aufgerissenen Augen starrte er den Photiden entgegen, die soeben einen Seitengang verließen. Die Waffen in ihren Händen waren nicht zu übersehen.
Quinger riss seinen Laser hoch, aber schon fiel ihm Oam-Pham-Phu in den Arm, und der Schuss entlud sich gegen die Decke.
»Es scheinen Freunde zu sein«, sagte Küber und deutete auf Oam-Pham-Phu, der seine Waffe schon weggesteckt hatte. Er war auch der Erste, dem die verblüffende Ähnlichkeit der Photiden auffiel. »Sie sehen aus wie eineiige Zwillinge«, stellte der Lagerist fest. »Ich kann sie jedenfalls nicht auseinanderhalten.«
Die Hand des Captains verkrampfte sich um das Bruchstück in seiner Tasche. Es war der Teil eines menschlich wirkenden Handgelenks. Unter einer dünnen, lebenden Hautschicht und einer gallertartigen Masse, die nicht unbedingt biologischen Ursprungs sein musste, steckte ein massiver Knochen aus Metall.
»Wir haben es mit Androiden zu tun«, informierte Finch seine Kameraden. »Also brauchen wir keine Hemmungen zu haben. Größenwahnsinnige Maschinen waren mir immer schon ein Gräuel.«
*
Man hätte William O’Harra lieber in Ruhe sterben lassen sollen, statt ihn nach stundenlangen Bemühungen ins Bewusstsein zurückzurufen. Was von ihm geblieben war, verdiente die Bezeichnung »Mensch« nicht mehr: ein stumpfsinniges, reaktionsloses Geschöpf, das von nichts und niemand Notiz nahm. Nur die urtümlichsten Instinkte erhielten ihn weiterhin am Leben.
Jack Swensson schüttelte in stummer Verzweiflung den Kopf. Er verstand durchaus, dass einige der Männer sich angewidert abwandten. Ihnen allen stand deutlich vor Augen, was sie erwartete. Swensson brachte es dennoch nicht fertig, die kleine Flamme des Feuerzeugs zu ersticken, denn sie allein brachte einen Hauch von Wärme in das Verlies. O’Harras bedrückende Gegenwart konnte er ohnehin keinem der Gefangenen abnehmen.
»Ich halte das nicht länger aus …« Mit einem jämmerlichen Aufschrei sank Dan Henderson in sich zusammen. »Ich werde verrückt dabei. Schafft ihn raus, ich … ich …« Die Stimme des jungen Technikers erstickte in hemmungslosem Schluchzen.
Es ist kein Wunder, erkannte Swensson bestürzt. Wenn nichts geschieht, erwischt es uns alle der Reihe nach. Und keiner kann etwas dagegen tun. William hat das nicht verdient. Hoffentlich begreift er seinen Zustand nicht.
Steven Kincaid spie aus. »Wer immer diese Fremden sind, das sollen sie nicht ungestraft getan haben.«
Der Erste Offizier warf dem Ortungstechniker einen resignierenden Blick zu. »Was willst du dagegen tun? Wir sind ohne Waffen machtlos.«
»Noch habe ich meine Fäuste.« In rasendem Zorn hob Kincaid die Arme. »Irgendwann wird jemand kommen ‒ die wollen etwas von uns, oder? Dann müssen wir zeigen, dass sie mit uns nicht so umspringen dürfen.«
»Sie schicken wieder einen Androiden«, sagte Swensson und zerstörte damit jede Hoffnung. »Trotzdem hast du recht. Sie wollen etwas von uns: unser Wissen. William hat schon hinter sich, was uns bevorsteht.«
Der fahle Lichtschimmer reichte aus, das blanke Entsetzen in Kincaids Gesicht erkennen zu lassen.
»Sie werden kommen und uns holen, einen nach dem anderen«, vollendete Swensson.
*
Was Captain Finch am Ziel seines Weges durch die subplanetare Station zu sehen erwartet hatte, war nicht der kleine kahle Raum, dessen Einrichtung sich in einem kabelgebundenen Bildtelefon erschöpfte. Nach allen technischen Leistungen, die er unterwegs gesehen hatte, wirkte das unverständlich. Er sagte sich, dass die Clique flexibel bleiben und notfalls in kürzester Zeit auf andere Treffpunkte ausweichen musste. Keinesfalls durften die Friedfertigen sich durch eine Anhäufung schnell anmessbarer Geräte verraten.
»Die Sprechverbindung ist absolut abhörsicher, so veraltet ist sie«, bekundete Oam-Pham-Phu nicht ohne Stolz.
Der Captain ertappte sich zum wiederholten Mal dabei, dass er den Photiden eindringlich musterte. Nichts an Oam-Pham-Phus Erscheinung deutete darauf hin, dass er kein Wesen aus Fleisch und Blut war, sondern ein vermutlich perfektes maschinelles Ebenbild seiner Schöpfer. Wenn Finch dagegen an irdische Roboter dachte, ihre eckigen, abgehackt wirkenden Bewegungen …
Während er unschlüssig seinen Gedanken nachhing, fühlte der Captain sich plötzlich an den Schultern gepackt und herumgedreht. Der Blick des Photiden sezierte ihn geradezu.
»Ihr Vertrauen zu mir scheint nachzulassen«, sagte Oam-Pham-Phu. »Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, lassen Sie es mich wissen.«
»Es ist nichts«, murmelte Finch wenig überzeugend. Konnte er es wagen, die Frage zu stellen, die ihm auf den Lippen brannte? Was ging in einem Androiden vor, der mit seiner eigenen, künstlich geschaffenen Existenz konfrontiert wurde?
»Also …«, drängte Oam-Pham-Phu, der sich mit der erhaltenen Antwort nicht zufriedengab.
Finch platzte so direkt heraus, dass es nur falsch sein konnte: »Weshalb haben Sie uns verschwiegen, dass Sie Roboter sind, oder Androiden, oder wie immer man Ihre Erscheinungsform nennen soll?«
Der Captain warf das Fragment, das von dem getöteten Krieger stammte, vor ihm auf den Tisch. Gleichzeitig bereute er seine impulsive Handlung schon. Hoffentlich war das kein Fehler gewesen. Finch war auf alles gefasst, weil Oam-Pham-Phus Griff um sein rechtes Schultergelenk stärker wurde. Dann ließ der Photide ihn unverhofft los.
»Sie wussten es nicht?« Oam-Pham-Phu war sichtlich überrascht und suchte nach einer Erklärung. »Auf unserem Planeten gibt es außer Pflanzen kein organisches Leben. Seit Jahrtausenden nicht mehr.«
Finch nickte irritiert. Sein Gegenüber schien kein Geheimnis aus seiner künstlichen Existenz machen zu wollen.
Oam-Pham-Phu begann zu erzählen. Er berichtete vom einstigen Imperium der Photiden, die ihren Geschöpfen nicht nur den Namen vererbt hatten. Er ließ die Szenerie grauenhafter Vernichtungswaffen wiederauferstehen und schilderte deren Wirkungen so beklemmend, dass in Finch geradezu der Eindruck entstand, er wäre selbst dabei gewesen. Der Widerständler vergaß auch nicht den Hinweis, dass die MADELEINE mit diesen Waffen ausgerüstet werden sollte. Ein einziges kleines Raumschiff,