James Bond 15: Colonel Sun. Robert Markham
gewesen war, kam auf sie zu, als sie den letzten von drei Anrufen beendet hatten. Er hatte einen großen, unverschlossenen hellbraunen Umschlag bei sich.
»Wir sind hier so gut wie fertig, meine Herren. Wenn Sie aufbrechen wollen, denke ich, dass Sie alles, was Sie benötigen, hier drin finden werden.« Er reichte Tanner den Umschlag und deutete dann auf die Leiche auf dem Boden, ohne sie anzusehen. »Das ist der Inhalt der Taschen des Mannes. Wir waren recht überrascht, dass es darin überhaupt etwas gab. Man sollte meinen, sie hätten versucht, seine Identität zu verbergen. In dem Umschlag sind auch seine Kleidungsetiketten, die leider alle der Standardausführung entsprechen. Es gibt keine Wäschereietiketten. Außerdem finden Sie darin drei recht gute Fotografien von dem, was von ihm übrig ist, sowie einen Satz Fingerabdrücke, Größen- und geschätzte Gewichtsangabe. Er hatte keinerlei auffällige Merkmale. Aber wenn er in Ihren Akten steht, gehe ich davon aus, dass Sie in der Lage sein sollten, ihn in null Komma nichts zu finden, auch ohne sein Zeug. Schließlich konnte Mr Bond einen ausgiebigen Blick auf ihn werfen, als er noch lebte. Oh, und dann ist in dem Umschlag noch der vorläufige Bericht des Arztes, nur der Vollständigkeit halber. Das ist alles. Ich muss Sie bitten, für die Besitztümer des Toten zu unterschreiben, Sir. Und wir brauchen sie zurück, sobald Sie damit fertig sind.«
Tanner kritzelte seine Unterschrift auf das hingehaltene Formular. »Danke, Inspector. Ich fürchte, Sie werden uns umgehend nach London begleiten müssen, um an einer Besprechung teilzunehmen, die womöglich den Rest der Nacht in Anspruch nehmen wird. Das meiste davon wird Sie nicht betreffen, aber irgendjemand wird sich zweifellos beschweren, wenn Sie nicht vor Ort sind, um die Polizei zu repräsentieren. Ich nehme an, Sie verstehen das.«
Crawford nickte gleichgültig. »Ich denke schon, Sir. Wenn Sie mir nur noch zwei Minuten geben, stehe ich danach zu Ihrer Verfügung.«
»Ihnen ist natürlich klar, dass diese Angelegenheit als absolut geheim behandelt werden muss, nicht wahr? Teilen Sie Ihren Kollegen mit, dass sie das Telefon wieder funktionsunfähig machen sollen, sobald alle hier raus sind. Ich danke Ihnen für alles, was Sie und Ihre Männer getan haben. Wir treffen Sie dann draußen, sobald Sie aufbruchsbereit sind.«
Als sie das Haus verließen, warf Bond einen kurzen Blick auf die Leiche des Mannes, dessen Tod er unwissentlich herbeigeführt hatte. Sie lag da und wartete darauf, weggebracht und ordnungsgemäß entsorgt zu werden, ein Stück Schutt, vollkommen bedeutungslos. Bond hasste und fürchtete die halb verschleierte Absicht, die diese Männer in dieses Haus geführt hatte, doch er konnte nicht umhin, ein wenig Mitleid bei dem Gedanken an den beiläufigen Zufall zu empfinden, der zu diesem unerfreulichen Ergebnis geführt hatte. Würde James Bond ebenfalls so enden? Würde man ihm einen Kopfschuss verpassen und ihn dann wie einen Haufen ungewollter Kleidung beiseitewerfen, um einen kleinen Fehler in jemandes Plan auszubügeln?
Das enorme Strahlen der Sterne am samtschwarzen Spätsommerhimmel draußen vor dem Haus verscheuchte diese Gedanken. Das war gutes Flugwetter. Wohin brachten sie M? Das spielte momentan keine Rolle. Es hatte keinen Sinn, wild ins Blaue zu spekulieren. Ein frostiger Hauch lag in der Luft, und Bond merkte, dass er hungrig war. Das spielte jetzt ebenfalls keine Rolle. Vor seiner Ankunft in London würde er nichts zu essen bekommen und dort womöglich auch erst einmal nicht.
Gemeinsam mit Tanner passierte Bond die dunklen klobigen Gestalten der beiden Polizeiautos und ging auf seinen Bentley zu, der noch immer dort stand, wo er ihn vor einer gefühlten Ewigkeit geparkt hatte. Tanner legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Nein, James. Sie fahren mit mir. Ich werde mich morgen um Ihren Wagen kümmern.«
»Unsinn, ich bin vollkommen in Ordnung.«
»Und wir können nicht sicher sein, dass der Wagen nicht mit einer Sprengfalle versehen ist.«
»Das ist ebenfalls Unsinn, Bill. Sie wollten mich lebend und unversehrt.«
»Das war vor ein paar Stunden. Niemand weiß, was sie jetzt wollen.«
GRÜSSE AUS PARIS
Sir Ranald Rideout, der zuständige Minister, war nicht gerade erfreut darüber, dass man ihn urplötzlich von einer ausklingenden Abendgesellschaft wegholte, die eine österreichische Prinzessin gab, in deren gesellschaftliche Kreise er schon seit Jahren hatte vordringen wollen. Die telefonische Botschaft betonte das Ausmaß der Angelegenheit, die seine Aufmerksamkeit erforderte, ohne Hinweise darauf zu geben, worum es sich handelte. Der Untergebene, mit dem er sprach, hatte aufgelegt, bevor Sir Ranald Gelegenheit hatte, angesichts der Ungehörigkeit zu protestieren, dass er zu den Vereinbarungen für dieses Treffen oder diese Konferenz oder was auch immer es war nichts zu sagen hatte. Er sollte sich also in den Büros von Transworld Consortium, also dem Hauptquartier des Secret Service, einfinden? Demnach steckte dieser verwirrte alte Admiral, der für seinen sturen Widerstand gegen politische Führung berüchtigt war, in Schwierigkeiten. Den Burschen hätte man schon längst absägen sollen. Als Sir Ranald zu absolut ungehöriger Stunde um zwanzig nach eins die Treppe in dem großen grauen Gebäude hinaufstapfte, das über dem Regent’s Park aufragte, war er mehr als nur ein wenig verärgert. Er war ein flinker kleiner Bursche von sechzig Jahren und in bester körperlicher Verfassung. Diese war nicht das Ergebnis irgendeiner Selbstdisziplin, sondern der Gleichgültigkeit gegenüber dem Essen und Trinken, das so oft zum Leben der Mächtigen gehörte.
Die Tatsachen wurden ihm ohne Umschweife präsentiert. Er starrte mit gereizter Ungläubigkeit in die Gesichter der Personen, die rund um den abgenutzten Eichenholztisch saßen: der Ministerialrat seines Ministeriums, der stellvertretende Commissioner Vallance von Scotland Yard, dieser Tanner, in dessen Büro sie saßen und dessen Bedeutungslosigkeit sich schon allein am Zustand seines Mobiliars zeigte, der Spion namens Bond, der für dieses Durcheinander verantwortlich zu sein schien, und ein paar Polizisten aus Windsor.
»Also wirklich, meine Herren.« Sir Ranald blies die Backen auf und stieß die Luft langsam und geräuschvoll wieder aus. »Eine schöne Bescherung, das muss ich schon sagen. Damit werden wir uns an den Premierminister wenden müssen. Ich hoffe, das ist Ihnen klar.«
»Schön, dass Sie uns zustimmen«, erwiderte Tanner in gemäßigtem Ton. »Aber wie Sie wissen, ist der Premierminister heute – nein, gestern – nach Washington geflogen. Von dort aus kann er in dieser Angelegenheit nichts unternehmen, und ich bezweifle, dass er in der Lage sein wird, seinen Aufenthalt zu verkürzen. Also sieht es so aus, als müssten wir uns selbst darum kümmern.«
»Natürlich müssen wir das.« Dieses Mal schnaubte Sir Ranald nachdrücklich. »Natürlich müssen wir das. Die Frage ist, wo fangen wir an? Wo greifen wir ein? Sie scheinen nichts zu haben, das man als Spur bezeichnen könnte. Sehr ungewöhnlich. Nehmen Sie zum Beispiel diesen Mann, der erschossen aufgefunden wurde. Nicht der Bedienstete, der Gangster oder was immer er war. Alles, was Sie über ihn zu wissen scheinen, ist, dass er den Tod durch eine Kugel fand, die seinen Schädel zertrümmerte. Sehr hilfreich. Ist das wirklich alles, was man darüber sagen kann? Man hat doch sicher irgendeinen Hinweis bei ihm gefunden, oder?«
Inspector Crawford ergriff sofort das Wort, und Sir Ranald runzelte leicht die Stirn. Man sollte doch wohl erwarten, dass sich der unwichtigste Mann im Raum zuerst vergewisserte, dass niemand der vergleichsweise höhergestellten Anwesenden antworten wollte, bevor er sich in den Vordergrund drängte. Zumindest hätte man das wohl einst erwarten können.
»Seltsamerweise gab es tatsächlich einige Habseligkeiten, Sir«, erklärte der Inspector. Er nickte in Richtung des kleinen Haufens aus diversen Gegenständen, die Vallance hin und her drehte. »Aber sie verraten uns nicht viel. Außer …«
»Verraten Sie uns irgendetwas über die Identität des Mannes?«
»Meiner Meinung nach nicht, Sir.«
Vallance, der auch zu dieser frühen Stunde so adrett wie immer gekleidet war, warf Crawford einen Blick zu und schüttelte ebenfalls den Kopf.
»Darf ich dann so frei