Der Tanz mit Regitze. Martha Christensen

Der Tanz mit Regitze - Martha Christensen


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wissen, daß das Mädchen, das ihm gegenüber saß und mit seinen braunen Augen so lächelte, für ihn so lebensnotwendig werden würde wie die Luft, die er einatmete. Er fühlte nur, daß ein Strom zwischen ihnen hin und her wogte. Hier bin ich. Dort bist du. Hier sind wir.

      Er ist ja nie ein besonders guter oder eifriger Tänzer gewesen, aber sie tanzten weiter, als der Pianist wieder begann. Sie tanzten noch, als er den Deckel zuschlug und die Noten zusammenlegte und die letzten Gäste zur Garderobe gingen. Sie tanzten, bis die Kellner ungeduldig anfingen, die Stühle hochzustellen.

      Draußen warteten Rikard und Annie mit hochgeschlagenem Mantelkragen, um die Ohren vor der Kälte zu schützen. Die letzte Straßenbahn war weg, und es waren nur wenige Nachtwanderer auf der dunklen Straße.

      „Wir begleiten dich nach Hause“, fing Rikard an, „du solltest den langen Weg nicht allein gehen, wo es jetzt so spät geworden ist und...“

      Aber sie unterbrach ihn, indem sie ihn mit einer schnellen, etwas scheuen Bewegung, die er noch so gut kennenlernen sollte, über die Wange strich.

      „Das ist nicht nötig, Karl Aage begleitet mich.“ Es war weit von dort in der Stadt bis zu dem Wohngebiet, wo sie ein Zimmer in der ersten Etage hatte, aber es war keinen Schritt zu weit, nie war sein Gang so leicht gewesen, und er hätte noch stundenlang mit ihr Hand in Hand gehen können. In seiner Erinnerung blühte es in allen Vorgärten, und die Luft war angefüllt mit einem feinen, sommerlichen Duft von Flieder und Jasmin, obwohl er wußte, daß es eine der kältesten Nächte im ersten Kriegswinter gewesen war. So kalt, daß er seinen Arm um sie legte, um sie zu wärmen, weil sie in ihrem dünnen Mantel vor ihm stand und einer von ihnen als erster „Auf Wiedersehen“ sagen mußte.

      „Ich nehme gewöhnlich niemand mit nach oben“, sagte sie mit ihrer Wange an seiner, „es ist nicht meine Art, jemand mit hochzunehmen.“ „Nein“, sagte er und wollte sie nicht weiter bedrängen, im Gegenteil, er wollte sich nach ihr richten, ihren Wunsch erfüllen. Er war innerlich erfüllt von der Freude, daß das nicht ihre Gewohnheit war: „Das ist schon in Ordnung, Regitze.“

      Sie zitterte etwas, aber ihre Stimme war fest und ruhig, als sie fortfuhr: „Aber mit dir ist das anders, ich hätte gern, daß du mit raufkommst.“

      Und das war der Anfang.

      Seitdem war – nach so vielem anderen – Börges Haar ganz weiß geworden, und an Ilses Mundwinkeln hatten sich ein paar Linien gezeigt, die das diskrete Make-up nicht verbergen konnte. Er hatte das früher nicht bemerkt, er hatte in ihnen wahrscheinlich das ewig junge Paar gesehen, das lächelnd zur Tür herinkam – immer mit dem größten Blumenstrauß oder der prächtigsten Schachtel Schokolade – herausgeputzt auf ihren Festen. Ilses lächelnde Freundlichkeit und Börges dahinplätschernde Tischreden – Ilse und ich. Strahlend, immer ohne Kinder, ständig am Umziehen von einer herrschaftlichen Villa in die nächste und größere.

      „So werden wir wohl im Sommer zu Hause bleiben“, beendete Börge einen längeren Bericht.

      „Ihr seid ja auch fast überall gewesen“, sagte Regitze und fuhr fort: „Karl Aage hatte ja nie Lust zum Reisen.“ Das traf ihn wie eine Anklage. Das hatte er nie gewollt. Er hatte mit ihr nicht eine Reise ins Ausland machen wollen und es auch nicht getan. Er wollte auch nicht aus seiner Wohnung ausziehen, und deswegen haben sie dort die ganze Zeit gewohnt, so dunkel und finster sie auch war.

      „Ich hätte natürlich auch allein reisen können, aber...“

      „Wir zwei“, sagte Ilse, „wir könnten doch mal eine Tour zusammen machen, meinst du nicht auch, Regitze?“

      Irgendwann einmal.

      Das gab ihm einen Stich, und er sah sie unruhig an, aber sie lächelte: „Ja, doch, das könnten wir vielleicht. Irgendwann...“

      „Nun kommen die nächsten Gäste“, sagte er schnell und erhob sich, um ihnen entgegenzugehen.

      Rikard und Annie hatten die Freundinnen auf den hinteren Sitzen im Volkswagen. Gloria, der große Kleiderständer von einem Frauenzimmer, in einem gewaltigen, großgeblümten Sommerkleid mit dünnen Schulterstrippen, die sich in die fleischigen Schultern einschnürten, und der Schatten Vera. Regitzes Arbeitskollegen, soweit wie sie zurückdenken konnte.

      „Danke für die Einladung“, rief Gloria, lachte übers ganze Gesicht und schwang seine Hand rauf und runter wie einen Pumpenschwengel – sie hatte einen Händedruck wie ein Schiffsheizer und eine Stimme wie ein erkältetes Nebelhorn: „Und wie braun du hier im Garten wirst, du siehst richtig gut aus, Karl Aage.“ Und mit plötzlich gedämpfter Stimme und leicht errötenden Wangen wandte sie sich dem Gast zu, der gerade aus seinem eigenen Gartenhaus hier in der Nähe gekommen war: „Du bist auch da, wie schön!“

      Es war wirklich schön, so daß sich ein verständnisvolles Lächeln auf den Gesichtern zeigte, denn es war kein Geheimnis, daß der Dichter Jonas und das Fabrikmädchen Gloria sich gern hatten. So himmelschreiend verschieden sie auch waren.

      „Und Börge und Ilse sind auch hier“, sagte Rikard mit einem Blick auf den Porsche und nahm die Brille ab und blinzelte kurzsichtig in die Richtung der Terrasse: „Da kann man mal sehen.“

      „Die gehören ja dazu“, sagte Annie mit Regitzes Worten – „warum sollten sie auch nicht dabei sein. Setz endlich die Brille auf, Mann, sonst kannst du ja gar nichts sehen! Und rückt alle etwas zusammen, so daß John auch parken kann!“ John, Vibeke und die Kinder, die ja eigentlich keine Kinder mehr waren, wälzten sich aus der alten Klapperkiste von Auto, während Regitze eilig über den Rasen dazukam. So standen sie alle plötzlich zusammen in einer Runde neben der Pforte. Willkommensgrüße, Umarmungen, Schulterklopfen und Händeschütteln kreuz und quer in buntem Durcheinander. „So, hier soll demnach ein richtiges Fest stattfinden, was?“

      Das war sein Sohn, der neben ihm stand und ihn anstieß: Ihn anstieß – ‘Wach auf, Vater, es ist Sonntag, und Mutter sagt, wir sollen Brötchen holen.’

      Das kleine Ungeheuer, das sonntagsmorgens stets so unchristlich aufgelegt war, daß er in sein Bett zum Toben kam und ihn nicht schlafen ließ, wo er nur das eine Mal in der Woche dafür Zeit hatte. Und Regitze, ebenfalls munter, ließ schon Wasser in den Kessel in der Küche. ‘Wach endlich auf, Vater.’

      Sein Sohn lachte ihn mit blendend weißen Zähnen an, umrahmt von einem weichen, braunen Bart. Sein Sohn war schon lange ein erwachsener Mann.

      Fest? Ja – das ist ja wahr.

      „Ja – Mutter meinte, daß wir einige Menschen versammeln sollten.“ John lachte wieder und gab ihm einen Klaps auf die Schulter: „Das ist weiß Gott gut, daß du Mutter hast, um für dich zu entscheiden.“

      „Ja, ja, das ist schon gut, daß ich sie habe. Was sollte ich ohne sie machen, John, was soll ich machen?!“ Regitze nahm ihn unter den Arm: „So, nun sind wir alle beieinander, dann könnten wir zu Tisch gehen. John, setz du dich an das unterste Tischende, und Gloria und Annie nehmen rechts und links von dir Platz! Jonas setzt sich an die Seite von Gloria und Anni an die andere Seite, und dann kommen die Kinder. Und du, Karl Aage, setzt dich zwischen Annie und Ilse, dann kommen Rikard und Vibeke. Börge und ich sitzen am anderen Tischende. Und wenn du, John, dich gleich um die Getränke kümmern würdest, dann kann Karl Aage mir bei den Broten und den Heringen helfen.“

      Regitze organisierte, und John spielte Kellner mit den Bierflaschen zwischen den gespreizten Fingern und einem Geschirrtuch im Hosenbund. Er teilte die Flaschen aus, schenkte Schnaps ein und machte Faxen, so daß die Kinder sich ansahen und den Kopf schüttelten. Alles gehörte dazu und war wie immer.

      Er ließ seinen Blick um den Tisch herum schweifen. Sie waren da – alle – die Nächsten, wie Regitze es sich gewünscht hatte. Sie saßen lächelnd da, mit dem Schnapsglas in der Hand und warteten darauf, daß Regitze sie willkommen hieße. Ein Bild, eingefroren eine Sekunde oder zwei, das auf den Grund seiner Erinnerung sinken und dort bleiben würde.

      „Wir warten auf dich, Karl Aage.“ Ja. Ja, er würde schon kommen. Wenn nur John das Glas nicht so voll geschenkt hätte. So schwer zu halten. So


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