Die letzte aus dem Hause Wulfenberg. Anny von Panhuys

Die letzte aus dem Hause Wulfenberg - Anny von Panhuys


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      Hans Westfals Stirn zeigte eine tiefe Falte.

      „Die Fürstin beweist durch derartige Reden, dass sie vollkommen an der neuen Zeit vorbeilebt. Dass sie es, weil ihr die neue Zeit nicht gefällt, verschmäht, Augen und Ohren aufzutun.“ Er sprach lebhafter. „Der Adel darf sich heutzutage auf Grund alter, längst vermoderter Privilegien nicht mehr Dinge erlauben, die der Auffassung von Recht und Gesetz ins Gesicht schlagen. Ein adliger Name berechtigt nicht mehr zum Faulenzertum, und niemand findet mehr etwas dabei, wenn der Träger eines hohen, klangvollen Namens sich sein Brot auf anständige Weise verdient. Ein Studiengenosse von mir ist zum Beispiel ein Prinz Pilgrim, seine Schwester ist Direktrice in einem grossen Berliner Modehaus.“

      Margarete sah ihn lächelnd an.

      „Jetzt willst du mir natürlich einen Bären aufbinden. Eine Prinzessin Pilgrim kann doch nicht in einem Kleidergeschäft so was wie erste Verkäuferin sein?“

      Hans Westfal empfand ein leichtes Unbehagen.

      Die Art und Weise, wie Margarete die beiden Worte ‚Kleidergeschäft‘ und ‚Verkäuferin‘ betonte, hatte etwas Verächtliches.

      „Ich scherze nicht etwa,“ gab er zurück, „sondern es verhält sich so, und die Prinzessin Pilgrim hat Kolleginnen. Im selben Geschäftshause mit ihr tut eine Komtesse Widland Mannequindienste oder deutlicher, sie ist dort Probiermamsell. Ich hörte auch, eine junge Baronesse ernähre sich als Fremdenführerin, da sie flüssig mehrere Sprachen beherrscht, und ihre Schwester sei Bureauvorsteherin bei einem Notar. Du siehst, Gretel, die neue Zeit ist schon von vielen eures Blutes richtig verstanden worden. Und es ist auch nötig. Die Entwicklung aller Lebensverhältnisse geht plötzlich voran, verlangt schmiegsame, biegsame Menschen, die sich rasch in neue Lagen zu finden wissen. Der Wind ist von Amerika über das grosse Wasser zu uns nach Europa geflogen. Der Wind, der wohl nicht alle Menschen gleich machen kann — denn dem setzen Unbegabte und Faule ein natürliches Hindernis entgegen — der aber allen, die zu lange im Schatten gestanden haben, einen wärmenden Platz an der Sonne vergönnt, und der auch ein bischen mit dem Ahnenkultus aufräumt.“

      Margarete dachte an die Worte der Grossmama: Auf deine Ahnen musst du Rücksicht nehmen, auf alle die Fürsten und Fürstinnen Wulffenberg, die vor uns gelebt haben!

      Sie sass ganz still, aber es war etwas in ihrer Haltung, das wie Abwehr gegen Hans Westfals Rede schien.

      Vielleicht merkte er es wieder, wollte es aber nicht bemerken.

      „Höre, Gretel, ich bin keiner, der sich irgendwie in Parteidebatten und Parteigezänk mischt, aber in den Parteien brodelt es zur Zeit wie in einem Hexenkessel, es erstehen täglich mehr Unzufriedene, die behaupten, vielen Menschen ginge es zu schlecht, weil es vielen anderen zu gut geht. Gesetze, an deren Ewigkeitsdauer man geglaubt hat, stürzen, und neue erheben sich, die unsere Vorfahren für unmöglich gehalten hätten. Ich gönne dir den Frieden von Wulffenberg. Trotzdem du dich nach dem bunten Leben da draussen sehnst, möchte ich, du bliebest hier, aber du musst dir Mühe geben, Verständnis aufzubringen für Dinge, die alles umkrempeln, was dir die Fürstin beibringt und was im Ahnenkultus gipfelt.“

      Margarete lächelte.

      „Wenn du ein Wulffenberg wärst, würdest du anders sprechen!“

      Hans Westfal seufzte. Die Lehren der Fürstin sassen scheinbar schon zu fest in dem jungen Geschöpf, das von je entzückend liebenswert gewesen, so lange er es kannte, wenn es nicht manchmal der Hochmutsteufel in den Krallen hielt.

      Er entsann sich, dass Margarete stets lieb wie ein Schwesterchen zu ihm gewesen, bis sie dann, durch irgendein Wort von ihm ihr hochfahrendstes Prinzessingesicht aufgesetzt.

      Er sah sie an, fühlte sich diesem schmalen blassen Geschöpfe unendlich überlegen

      Wie ein Beschützer kam er sich ihr gegenüber vor.

      „Warte nur, Gretel, die Standesunterschiede werden mehr und mehr in der Welt abgeschafft, eines Tages, wenn ich etwas ganz Bedeutendes geworden bin, dann —“

      Er stockte. Er hatte sagen wollen: dann wirst du meine Frau! Halb scherzend war es ihm auf die Lippen getreten.

      Und nun brachte er es nicht über sich, es auszusprechen.

      Es schien ihm plötzlich furchtbar ernst und schwerwiegend. Denn plötzlich ward er sich darüber klar, dass sich diese seltsame Kinderfreundschaft bei ihm zur Liebe gewandelt. In diesem Augenblick erst begriff er das vollständig.

      Mit scheuer Zärtlichkeit huschte sein Blick über das mattgetönte Antlitz Margaretes, und ihm war es, als müsse er sich neigen und den brennend roten Mund küssen, der ihn lockte wie eine reife Frucht.

      Seine einundzwanzig Jahre, die noch nie an müssige Tändeleien mit hübschen Mädchen gedacht, erkannten jählings, weshalb er sich so sehr auf das Wiedersehen mit Margarete gefreut.

      Das Mädchen fragte: „Wenn du etwas ganz Bedeutendes geworden bist, was ist dann, was wolltest du sagen?“

      Er erhob sich.

      „Ich bin jetzt immer so zerstreut, beginne Sätze und weiss nachher nicht mehr, was ich eigentlich zu sagen beabsichtigte, so war es eben. Und jetzt muss ich gehen, sonst schimpft Mutter, der Braten, den sie meinetwegen macht, sei ihr verdorben.“

      „Wann darf ich dich wieder erwarten, Hans?“ fragte Margarete.

      „Uebermorgen, Gretel, danach fahre ich acht Tage zu Mutters Bruder, und wenn ich zurückkomme, treffen wir uns öfter. Lass dich doch auch einmal bei uns sehen.“

      Margarete nickte. „Auf Wiedersehen, Hans. Vorläufig erwarte ich dich übermorgen wie heute, und nochmals, nimm herzlichsten Dank für den Ring.“ Ihre schmalen Arme hoben sich, ihre Hände legten sich auf seine Schultern. „Du bist ein lieber Mensch, Hans, der liebste, den ich kenne.“

      Das Mädchengesicht war dem seinen jetzt so nahe, dass er nicht widerstehen konnte, er strich ihr mit der Rechten über die zarte Wange.

      Margarete lächelte. „Meinst wohl, ich sei noch acht Jahre, Hans, damals hast du mich oft gestreichelt und dann hast du mir irgendwas Süsses mitgebracht, wenn ich dir meine winzigen Leiden klagte.“

      Er trat einen Schritt zurück, denn der rote Mund war zu verführerisch nahe gewesen und er hätte sich schämen müssen, die Ruhe dieses Kinderherzens aufzuwühlen.

      Du bist ein lieber Mensch, Hans, der liebste, den ich kenne! Die Worte wollte er wie einen köstlichen Schatz behalten. Vielleicht erfüllten sich seine ehrgeizigen Wünsche.

      Keine Mühe und Arbeit wollte er sich verdriessen lassen, um zum Ziele zu kommen. Und dann würde er Margarete Wulffenberg fragen, ob aus der eigenartigen Kinderfreundschaft ein Bund fürs Leben werden konnte.

      Margarete hatte ihn wohl auch lieb, deshalb hing sie so an ihm, nur war sich ihre grosse Jugend, die fernab allem Erleben wohnte, dessen noch nicht bewusst geworden.

      In einigen Jahren sann sie wohl schon darüber nach, weshalb sie ihn seit Jahren immer so strahlend begrüsste, wenn er in den Ferien heimkehrte.

      Als Gymnasiast hatte er manchmal mitleidig auf die Kleine niedergeblickt, die wie ein magerer, gerupfter Spatz aussah, und die von ihrer Grossmama jedem kindlichen Spiel mit Altersgenossinnen ferngehalten wurde.

      Margarete beobachtete ihn.

      „Was ist dir, Hans, habe ich dich gekränkt, du siehst so ernst und nachdenklich aus?“

      Der junge Mann zeigte sofort eine heitere Miene.

      „Du kannst mich gar nicht kränken, Gretel, überhaupt würde ich dir nichts Kränkendes glauben, seit du vorhin sagtest, ich sei für dich der liebste Mensch auf der Welt.“ Er nahm noch einmal ihre Hand. „Auf Wiedersehn, Gretel, auf Wiedersehn übermorgen!“

      Er verliess auf demselben Weg, auf dem er gekommen, den Park.

      Margarete aber kehrte noch einmal in den Pavillon zurück, setzte sich wieder auf das brüchige Sofa, liess den Ring an ihrem Finger


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