Ján Kuciak und die Paten von Bratislava. Christoph Lehermayr

Ján Kuciak und die Paten von Bratislava - Christoph Lehermayr


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er alles gesammelt hat und die Personen im Visier mit seinem Wissen konfrontiert.

      So an die Sache heranzugehen, war schon früh sein Traum gewesen. Wenngleich die Realität dann ganz anders aussah, als er vor fünf Jahren neben dem Journalismus-Studium bei der renommiertesten Wirtschaftszeitung des Landes anfing. Ein Jahr blieb er dort und füllte brav die leeren Spalten mit Meldungen. Doch an so vielen Stellen hätte er gern tiefer gegraben, härter nachgefragt und mehr erfahren wollen. „Investigativ arbeiten, bist du verrückt?“, meinte eine Kollegin einmal nur erschrocken. „So was ist doch viel zu gefährlich, gerade wenn du dabei den Falschen auf die Füße trittst.“ Kuciak musste damals nur schmunzeln: „Das Schlimmste, was dir in der Slowakei passieren kann, ist doch, dass sie dich verklagen.“

      Als er im Alter von 24 Jahren die Wirtschaftszeitung verließ, war sich Ján Kuciak nicht sicher, ob es das schon war mit ihm und dem Journalismus. Er war in einem kleinen Dorf im Norden der Slowakei aufgewachsen. Außerhalb der Region kannte den Ort keiner, und die, die es doch taten, verorteten ihn nur im Tal der Hungerleider. Er also, plötzlich ein Journalist in der Hauptstadt? Dort, fünfzig Kilometer Luftlinie östlich von Wien, ballte sich der Wohlstand des jungen Landes. Immer mehr Hochhäuser kratzten am Himmel. In den edlen Broschüren der Investoren sprach man bereits von einem Dubai an der Donau, das da entstünde. Große Konzerne hatten in Bratislava ihren Sitz, und die Löhne näherten sich dem an, was gleich jenseits der Stadtgrenze, in Österreich, gezahlt wurde. Die Hauptstadt boomte und prosperierte, staute sich ins Wochenende, wuchs und machte bald Grenzorte wie Kittsee oder Hainburg zu ihren Vorstädten. Immer mehr Bewohner Bratislavas begannen, sich auf der österreichischen Seite Grundstücke und Häuser zu kaufen, da sie dort weit billiger waren als in der eigenen Hauptstadt. Passte Ján Kuciak in diese Stadt und war er bereit für das, was sich hinter den gläsernen Fassaden an Abgründen verbarg? Stoff würde es ihm genug liefern.

      Im Herbst 2014 wollte Ján Kuciak es wissen. Das Tschechische Zentrum für Investigativen Journalismus veranstaltete einen Workshop, zu dem es erstmals auch slowakische Uni-Absolventen einlud. Ihr Mentor war der erfahrene Investigativ-Reporter Marek Vagovič, ein drahtiger Kerl, der in der Arbeit meist Hoodies trug und dem schon mal die Autoreifen zerstochen oder tote Katzen vor die Haustür gelegt wurden. Am Ende des Kurses sollte jedes Team eine Story so weit ausgearbeitet haben, dass sie publizierbar wäre. Kuciak geriet in sein Element. Mit den Kollegen entschied er sich, einem anonymen Hinweis zu folgen, wonach große Pharmafirmen slowakische Ärzte zu Urlauben in die Karibik eingeladen hätten. Kuciak erstellte Organigramme, aus denen klar wurde, wer die entscheidenden Player in dem Business waren, welche Verbindungen sie in die Politik besaßen und wie dort die Vergabe von Aufträgen lief. Vagovič merkte, dass Kuciak den richtigen Riecher hatte und die Gabe, Dinge zu kombinieren, wo andere anstanden. Dabei blieb er höflich, wirkte bei der Konfrontation der Ärzte und Pharma-Vertreter nie unsicher, zugleich aber auch nicht arrogant, sondern argumentierte ruhig und sachlich. Ihnen Korruption vorzuwerfen, war für einen angehenden Journalisten keine kleine Sache. Doch Kuciak war seiner Sache sicher. Die „Jäger und Sammler“, wie sich die Gruppe um ihn getauft hatte, präsentierten nach drei Monaten Recherche ihr Ergebnis und landeten auf dem zweiten Platz. Den Sieg errang Kuciak, als ihm sein Mentor Vagovič sagte: „Du kommst gleich mit mir mit und fängst bei uns an.“

      Das Model und die Mafia

      Und jetzt, an diesem bitterkalten Februartag des Jahres 2018 also das Finale, der Knüller, die große Story, an der Ján Kuciak so lange recherchiert hat. In seinem Artikel soll es um die Verflechtungen zwischen slowakischen Politikern, Unternehmern und der kalabrischen ’Ndrangheta gehen – der mächtigsten Mafiaorganisation Europas. Die Sache scheint heikel, weshalb nur ein kleiner Kreis in Kuciaks Recherchen eingeweiht ist. Noch am Nachmittag schickt Kuciak einer Kollegin in Tschechien, mit der er gemeinsam an der Story arbeitet, eine verschlüsselte Nachricht. Er habe eine weitere Verbindung zwischen den Italienern und einem Vertreter der sozialdemokratischen Regierungspartei Smer gefunden. Als sein Chefredakteur die Rohfassung der Story liest, ist er verblüfft. Vor ihm ist es keinem Journalisten gelungen, das Wirken der italienischen Mafia in der Slowakei auch nur annähernd so präzise zu beschreiben.

      Kuciak legt in seinem Text nahe, dass die ’Ndrangheta im Osten des Landes Gelder aus ihrem weltweiten Kokaingeschäft wäscht. Dort, fast 500 Kilometer von Bratislava entfernt, am anderen Ende der Republik, sind die Sitten rauer als in der Hauptstadt und die Löhne gleich um die Hälfte niedriger. Kuciak identifiziert einen gewissen Antonino Vadalà als Kopf des Clans. Der Mann aus Kalabrien kam vor Jahren in die Slowakei, nachdem ein Job in Rom, bei dem er einen Mann hätte „bestrafen“ sollen, nicht ganz nach Wunsch ausgegangen war. Im Text wird Vadalàs ganze Geschichte dargelegt, Namen werden genannt, Orte ausgewiesen. Kuciak nimmt an, dass die Drogengelder in den Kauf großer Agrarflächen fließen. So legalisieren die Italiener, die dort längst als Großgrundbesitzer gelten, nicht nur ihr schmutziges Geld, sondern sie saugen mit den erworbenen landwirtschaftlichen Flächen auch noch EU-Fördergelder ab. Für Kuciak ist ab diesem Punkt klar, dass ein solcher Betrug nicht ohne Deckung und mögliche Teilhabe höchster staatlicher Stellen klappt. Weshalb die Krönung der Recherche in einer Erkenntnis besteht: Die langjährige Geliebte und frühere Geschäftspartnerin des Mafioso Vadalà ist heute die engste Assistentin des slowakischen Regierungschefs. Insofern kommt der schönen Mária Trošková in Kuciaks Report eine tragende Rolle zu. Die frühere „Miss Universe“-Teilnehmerin, die auch schon mal für Nacktfotos posierte, wird zur personifizierten Verbindung zwischen der Mafia und der Macht. Nicht umsonst hat der sozialdemokratische Premier Robert Fico bisher jeden Kommentar zu ihrer Rolle an seiner Seite tunlichst vermieden. Erst weit später würde herauskommen, dass sie aus dem Regierungspalast an die dreihundert Mal ihren Ex-Lover, den Mafioso, angerufen hat und auch Fico selbst mit diesem telefonierte. „Damit haben wir ihn! Das kann ein Erdbeben auslösen, die Regierung zum Sturz bringen, vorzeitige Neuwahlen provozieren“, sagt Investigativ-Chef Marek Vagovič an jenem Mittwoch, sichtlich stolz auf Kuciaks Recherche. Gemeinsam besprechen sie mit dem Chefredakteur, was es noch zu erledigen gilt, bevor die Story online gehen kann. Als sich Kuciak am Abend verabschiedet, sieht ihn Vagovič zum letzten Mal. Zehn Tage später wird er vor seinem Sarg stehen.

      Ján Kuciak sprintet die Treppen hinunter und stößt die Tür auf. Scharfer, schneegespickter Wind schlägt ihm entgegen. Am nächsten Tag, einem Donnerstag, will er von zu Hause arbeiten, dort seiner Story den letzten Schliff verleihen und sich auf die Konfrontation mit den Italienern vorbereiten. Die hat er sich für den kommenden Montag vorgenommen. Gemeinsam mit einem Fotografen will er die Reise in den Osten antreten und die Männer der ’Ndrangheta auf ihren Ländereien aufsuchen. Von dort aus ziehen sie die Fäden und bedrohen jeden, der sich ihnen in den Weg stellt.

      Kinder des Sozialismus

      In Gedanken ist Kuciak wohl seine Recherchen wieder und wieder durchgegangen, während er durch die Kälte eilt. Er folgt dabei einer Route, die denen, die ihm nach dem Leben trachten, vertraut ist. Von der Redaktion mit dem Bus zum Bahnhof, von dort, wo jede Stunde auch der Regionalexpress aus Wien ankommt, weiter mit dem Zug in die Bezirksstadt Galanta. Gut eine halbe Stunde Fahrt. Und dann die letzten Kilometer mit dem Auto nach Hause. Es ist Kuciaks tägliche Routine – und seine Mörder kennen sie. Ohne dass er es geahnt oder gar bemerkt hätte, ist Kuciak beschattet worden. Fotos, die viel später sichergestellt werden, zeigen ihn beim Verlassen der Redaktion, beim Warten auf den Bus und sogar bei sich daheim, bei Renovierungsarbeiten am Haus. Seine Mörder wissen, wer er ist, wie er aussieht und wo er wohnt. Sie verfügen über Daten, die aus dem Inneren des Sicherheitsapparats stammen. Auf Anweisung von oberster Stelle ist eine „Spinne“ von Kuciak abgerufen und weitergegeben worden. Der Polizeijargon bezeichnet so ein Beziehungsnetzwerk, in dessen Mitte die gesuchte Person steht, samt Meldeadresse, Kfz-Kennzeichen sowie etwaigen Eintragungen im Strafregister. Linien führen von ihr weg zu den Daten der Familienmitglieder. Ján Kuciak ist ausspioniert, beschattet und durchleuchtet worden. An diesem 21. Februar 2018 soll er sterben.

      Vor dem Bahnhof von Galanta erwartet ihn eine Frau mit über die Schulter fallendem brünettem Haar: Martina Kušnírová, seine Verlobte. Die beiden gleichaltrigen Studienkollegen haben sich 2013 an der Uni in Nitra kennengelernt und sind seither ein Paar. In gut zwei Monaten, am 5. Mai, wollen sie


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