Michaela löst eine Verschwörung. Marie Louise Fischer

Michaela löst eine Verschwörung - Marie Louise Fischer


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verschlug es die Sprache; sie schnappte förmlich nach Luft. Rollys Rücken war bis zum Hals von roten Striemen gefurcht, die stark geschwollen, teilweise aufgeplatzt und mit verkrustetem Blut bedeckt waren.

      „Das kann doch wohl nicht wahr sein!“ rief Michaela endlich ganz erschüttert. „Wie ist denn das passiert?“

      Rolly zog eine Grimasse. „Kleine Auseinandersetzung mit meinem Alten.“

      „Und das läßt du dir gefallen?“

      „Was soll ich denn tun?“

      „Und deine Mutter? Hilft die dir nicht?“

      „Was geht dich das an? Ich hab dich ja bloß gefragt, ob man es im Gymnastikanzug sehen wird.“

      „Wenn man nicht blind ist … bestimmt.“

      Rolly ließ sich auf die schmale Wandbank sinken. „Die Blamage überleb ich nicht. Da ziehen die mich doch bis zum Abi mit auf.“

      Michaela runzelte die Stirn. „Glaubst du? Ich kann das gar nicht komisch finden.“ Aber sie begriff doch, daß es manche in der Klasse gab, die gerade Rolly die Tracht Prügel gönnen würden.

      „Kannst du der Stein nicht sagen, daß mir schlecht geworden ist?“

      „Das nimmt die dir nicht ab. Aber warte mal. Ich werde tun, was ich kann.“

      Michaela lief in die Turnhalle, wo sich die Riegen inzwischen aufgestellt hatten.

      „Na, wird’s bald!“ rief Fräulein Stein; sie war eine athletisch gebaute junge Frau mit ganz kurzgeschnittenem Haar und einer tiefen Stimme. „Auf deinen Platz!“

      Aber Michaela dachte nicht daran zu gehorchen, sondern lief zu der Turnlehrerin hin und flüsterte rasch: „Bitte, Fräulein Stein, kommen Sie mit zu Rolly!“

      Die Dringlichkeit ihrer Worte machte Eindruck. „Ist was passiert?“

      „Ja. Was sehr Schlimmes.“

      „Stellt die Barren auf!“ befahl Fräulein Stein. „Ellen, du übernimmst das Kommando!“ Dann folgte sie Michaela in die Garderobe.

      Rolly hockte immer noch wie ein Häufchen Unglück auf der Bank.

      „Also, was ist?“ fragte Fräulein Stein.

      „Sehen Sie sich mal ihren Rücken an!“

      Die Turnlehrerin tat es, aber sie war keineswegs so entsetzt, wie Michaela erwartet hatte.

      „Saftig!“ sagte sie nur. „Dein Vater hat eine kräftige Handschrift. Es war doch dein Vater?“

      „Ja“, sagte Rolly.

      „Wie hat er das bloß gemacht?“ fragte Michaela.

      „Mit seinem Gürtel.“

      „Das war wohl längst mal fällig“, sagte Fräulein Stein. „Fällig?“ Michaela riß die großen dunklen Augen auf. „Finden Sie das etwa in Ordnung?“

      Fräulein Stein zuckte die breiten Schultern. „Darüber steht mir kein Urteil zu.“

      „Aber hören Sie mal! Das ist doch einfach … brutal!“ „Rolly ist ja auch kein Unschuldsengel.“

      „Sicher nicht! Das hat ja niemand behauptet! Aber deshalb kann man sie doch nicht so zurichten.“

      Fräulein Stein blieb ungerührt. „Du siehst, daß man’s kann.“

      „Und was soll jetzt geschehen?“

      „Ich werde Gnade vor Recht ergehen lassen und Rolly ausnahmsweise vom Turnunterricht befreien.“

      „Danke!“ rief Rolly unendlich erleichtert und schlüpfte rasch wieder in ihren Pulli.

      „Ist das alles?“ fragte Michaela.

      „Was hast du denn sonst erwartet?“

      „Daß Sie etwas unternehmen, eine Anzeige erstatten …“

      „Ich soll mich ausgerechnet Rollys wegen in die Nesseln setzen? Ich denke ja nicht daran.“

      „Es ist Ihnen also ganz egal, daß Rolly blutig geschlagen wird?“

      „Du übertreibst, Micky! Und dann … die Eltern haben nun mal das Recht, ihre Kinder körperlich zu züchtigen.“

      „Recht, sagen Sie? Unrecht nenne ich das … schreiendes Unrecht!“

      Fräulein Stein legte Michaela die Hand in den Nacken. „Nun reg dich bloß nicht künstlich auf, Micky! Wenn Rolly sich anständiger benehmen würde, könnte sie sich die Prügel bestimmt ersparen.“

      Aber Michaela entzog sich dem Griff der Lehrerin. „Das ist Ansichtssache“, sagte sie böse.

      „Mach bloß meinetwegen kein Theater“, mischte Rolly sich ein, „mein Vater würde ganz schön sauer, wenn jemand es wagte, ihn anzuzeigen. Dadurch würde alles nur noch schlimmer.“

      „Gut, daß du das einsiehst. Also bessere dich.“ Fräulein Stein kehrte in die Turnhalle zurück.

      „Du erzählst es doch nicht den anderen?“ bat Rolly.

      „Bloß keine Bange!“

      Michaela folgte der Lehrerin und reihte sich in ihre Riege ein. Sie hatte Mitleid mit Rolly, gleichzeitig war sie aber auch wütend, weil sie, die sonst immer den Mund so weit aufriß, die väterlichen Prügel ohne Protest hinnahm. Sie begriff auch, daß es nicht das erste Mal gewesen war, daß ihr Vater zugeschlagen hatte; nicht umsonst hatte Rolly sich schon öfter im Trainingsanzug in die Turnstunde zu schmuggeln versucht. Wenn Michaela nur daran dachte, wurde es ihr siedendheiß.

      Bisher hatte sie Fräulein Stein immer für eine strenge Lehrerin gehalten, die sich Respekt zu verschaffen wußte. Jetzt wurde ihr klar, daß die Turnlehrerin gar nicht die starke Persönlichkeit war, als die sie sich ausgab. Sie war zu feige, sich mit Rollys Vater anzulegen.

      In Michaelas Achtung war sie klaftertief gesunken.

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