Berufsbezug in südeuropäischen DaF-Hochschulcurricula vor und nach der Krise von 2008. Matthias Prikoszovits
des Zielsprachenlandes lernen, sich mehrheitlich eher unspezifisch auf fremdsprachliche Berufsanforderungen vor[bereiten] […]“. Dennoch sei das Erlernen des Deutschen immer häufiger beruflich motiviert.
Kiefer, Schlak & Iwanow (2012) stellen Sprachbedarfsanalysen in einem Callcenter vor. Ein Curriculum, das sich aus Analysen an einem derartigen Ort ableitet, ist für jemanden, der künftig z. B. als Lehrkraft oder in der Altenpflege arbeiten wird, ungeeignet. Somit scheint eine Lehr- und Lernzielfindung nach Prinzipien (Abschnitt 2.5.2) die erfolgversprechendste Variante für Lehrpläne der hier relevanten Ausrichtung zu sein, da durch diese Prinzipien Ziele ermittelt werden können, die den Erwerb berufsfeldübergreifender Qualifikationen mit sich bringen. Innerhalb dieses dreigliedrigen prinzipiengeleiteten Vorgehens muss allerdings differenziert werden. Das Wissenschaftsprinzip ist, wie bereits dargelegt, weitgehend auszuklammern, da alleiniges Faktenwissen im beruflichen Umfeld nur beschränkt Erfolg verspricht. Ähnlich wie die Kritik an der Ableitung von Lebenssituationen im Robinsohnschen Modell muss im DaF-Bereich die Kritik am Situationsprinzip ausfallen, vor allem im Hinblick auf berufsbezogenen Unterricht.
Das Persönlichkeitsprinzip scheint demnach die geeignetste Leitlinie für die Erstellung berufsvorbereitender DaF-Hochschullehrpläne zu sein, da Lehr- und Lernziele, welche die Entwicklung und Stärkung der Persönlichkeit (Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit, Flexibilität, Teamfähigkeit etc.) der Lernenden berücksichtigen, in weitaus geringerem Maße Alterungsprozessen und Unvorhersehbarkeiten unterworfen sind als Ziele, die sich aus dem Situations- und Wissenschaftsprinzip ableiten. Das Persönlichkeitsprinzip involviert auch eine wünschenswerte Kompetenz-, Prozess- und Zielorientierung bei der Entfaltung persönlicher berufsrelevanter Eigenschaften. Gerholz und Sloane (2011) erwähnen das prinzipiengeleitete Vorgehen auch konkret im Kontext universitärer Lehrpläne, was die Annahme stützt, dass dieses Vorgehen auch den Lehrplänen des Korpus der Hauptstudie vorliegender Arbeit zugrunde liegt.
Abb. 8 zeigt einen Vorschlag, wie bei einer Curriculumerstellung nach dem prinzipiengeleiteten Vorgehen zu verfahren ist, wenn ein Curriculum für den FSU berufsbezogen und vor allem berufsfeldübergreifend gestaltet werden soll:
Phasen prinzipiengeleiteter Erstellung berufsbezogener Hochschullehrpläne für den FSU
Das in Abb. 8 dargestellte Vorgehen verspricht einen Planungsprozess, der berufsfeldübergreifende Hochschullehrpläne für den FSU hervorbringt und Unwägbarkeiten sowie Unvorhersehbarkeiten umgeht. Die erste und wichtigste Phase ist die Herleitung von Zielen, welche die (berufsrelevante, sprachbezogene) Persönlichkeitsentwicklung der Studierenden unter Berücksichtigung der Entfaltung fremdsprachlicher Kompetenzen fördern. Wie aus der Grafik hervorgeht, soll das Persönlichkeitsprinzip jenes sein, das den gesamten Curriculumgestaltungsprozess umspannt. Es ist von Anfang an die tragende Leitlinie. Situations- und Wissenschaftsprinzip setzen im Erstellungsprozess erst später ein. Aus den in der 1. Phase gewonnenen Zielen in einem weiteren Schritt (2. Phase) Situationen abzuleiten, bedeutet, dass diese Situationen sich ebenso auf die Persönlichkeitsentwicklung der Studierenden beziehen und es sich dabei um keine schwer vorhersehbaren künftigen Situationen im Beruf handelt. Wenn etwa in der 1. Phase Ziele festgelegt worden sind, welche die Entwicklung von Teamfähigkeit und fremdsprachlicher Kommunikationsfähigkeit im Team fördern sollen, so können in der 2. Phase berufliche Situationen erdacht werden, in denen Teamfähigkeit eine große Rolle spielt. Diese Situationen können sodann etwa anhand von handlungsorientierten Unterrichtsformaten wie Berufsszenarien, Fallstudien, Planspielen oder globalen Simulationen thematisiert, umgesetzt und somit in der Fremdsprache realisiert werden. Durch das in der Curriculumplanung zuletzt eintretende Wissenschaftsprinzip (3. Phase) können die in der 1. und 2. Phase bearbeiteten Inhalte und Situationen nach Bedarf fach- bzw. berufsspezifisch und somit wissenschaftlich untermauert werden.
Aufgrund der Lehrplananalysen der Hauptstudie wird in Ansätzen zu bestimmen versucht werden, welche der drei Prinzipen die italienische und spanische DaF-Hochschullehrplanerstellung leiten (Abschnitt 8.2).
2.6 Curriculare Veränderungen als Forschungsfokus
In diesem Band werden Lehrpläne für den DaF-Unterricht auf curriculare Veränderungen hin untersucht, die sich im Laufe der 2000er hin zu den 2010er Jahren vollzogen haben. Dies ist, betrachtet man vergleichbare Studien (Abschnitt 3.5), ein tendenziell seltener Schwerpunkt in der einschlägigen Forschung und verdeutlicht die Notwendigkeit der Fokussierung derartiger curricularer Phänomene. In diesem Unterkapitel 2.6 werden zum Abschluss von Kapitel 2 einige Autoren referiert, die sich im DaF-Bereich in Ansätzen mit Fragen curricularer Veränderungen befasst haben.
Laut Neuner (2001, S. 800) sind Lehrpläne „[…] Kinder ihrer Zeit“. Die Entstehungsbedingungen sind potenziellen Veränderungen unterworfen. Gründe zum Anstoß für curriculare Veränderungen können vielfältig sein, etwa kann ein Erkenntniszuwachs in einer bestimmten Wissenschaft in schulischen oder universitären Lehrplänen Wandel herbeiführen (s. Königs, 2004, S. 3). In vorliegender Arbeit wird ein globales wirtschaftliches Ereignis als Grund für Veränderungen in südeuropäischen DaF-Hochschullehrplänen angenommen. Auch dies ist in der einschlägigen Forschung eine rare Schwerpunktsetzung.
Ein Beispiel aus der Fachliteratur zeigt jedoch, dass etwas Vergleichbares in der Vergangenheit bereits eingetreten ist, dass also ein Krisengeschehnis Einflüsse auf das Germanistikstudium und somit auf universitäre DaF-Curricula hatte. Lee (2010, S. 35) schreibt zunächst von einer 1995 in Südkorea durchgeführten Universitätsreform. Alleine diese Reform hatte germanistische Curricula bereits verändert. Hinzu kam jedoch noch folgender Umstand:
So wurde bereits Mitte der neunziger Jahre aufgrund der Universitätsreform eine intensive Diskussion über die Ziele und Inhalte des Germanistikstudiums geführt, die sich mit der Schockwirkung der Finanzkrise des Jahres 1997, dem damaligen Eingreifen des Internationalen Währungsfonds in Südkorea sowie der damit einhergehenden immensen Verunsicherung auf dem Arbeitsmarkt noch verschärfte. (S. 36)
Im Gegensatz zur vorliegenden Arbeit fokussiert Lee Curricula gesamter germanistischer Studiengänge. Im weiteren Verlauf der Abhandlung stellt Lee einige reformierte südkoreanische Germanistikcurricula vor, die deutliche Verzahnungen mit Fächern wie Tourismus (ebd., S. 37–38) oder Wirtschaft bzw. Politik (ebd., S. 38–40) aufweisen. Im Fazit (ebd., S. 40–41) werden die südkoreanischen Curriculumreformen als umfassende Bemühungen dortiger Germanistikabteilungen beschrieben, sowohl auf den starken Schwund von Germanistikstudierenden als auch auf die geringen Berufschancen von Absolventen philologischer Studiengänge zu reagieren. Lee beklagt jedoch, dass die curriculare Arbeit nicht auf entsprechenden Bedarfsanalysen basiert. Keine berufsrelevanten Faktoren würden die Reformen leiten, sondern die Sorge um die sinkenden Studierendenzahlen.
In Italien und Spanien können ebenso durch die Rezession verschlechterte Berufsaussichten von Studierenden als Anlass für curriculare Veränderungen in Richtung Berufsbezogenheit angenommen werden. Im Vergleich zu Südkorea sind aber die Zahlen der Germanistik-/DaF-Studierenden in Italien und Spanien – wohl aufgrund der Nähe zum amtlich deutschsprachigen Raum bzw. der stärkeren Verankerung des Deutschen im Bildungswesen – nicht in dem Maße besorgniserregend.
Bouchara (2008, S. 467) sieht Marokko in vielerlei Hinsicht in einer Krise und nennt als Beispiele etwa die steigende Beschäftigungslosigkeit sowie die „[…] Orientierungslosigkeit in Wertefragen […]“ besonders unter der jungen Bevölkerung. Ebenso seien die Germanistik und DaF in der Krise. Jedoch sieht Bouchara in Krisen auch das Potenzial, Neuerungen hervorzurufen. Curricularer Wandel bzw. curriculare Neugestaltungen können solche Innovationen sein.
Königs (2004, S. 3) schreibt hinsichtlich Curriculumdiskussion und -revision: „Curriculumdiskussionen und -revisionen finden beständig statt. Nicht immer ist dabei auf Anhieb auszumachen, worin eigentlich der Anlass für diese Diskussion besteht.“ Königs (ebd., S. 3–4) befasst sich sodann auch mit möglichen Gründen bzw. Notwendigkeiten für curriculare Weiterentwicklung und Veränderung, dazu zählt er die Neuentstehung eines Faches, die curriculare Verflechtung dieses Faches mit weiteren Fächern, die strukturelle Veränderung eines bestehenden