Die letzte Nacht des Muammar al-Gaddafi. Yasmina Khadra

Die letzte Nacht des Muammar al-Gaddafi - Yasmina  Khadra


Скачать книгу
erinnere mich nicht, ein derart gefahrvolles Manöver vorgeschlagen zu haben, aber um nicht das Gesicht zu verlieren, begnüge ich mich damit, zu nicken.

      Mansur geht in die Hocke, eine Hand am Boden, die andere gegen seine Stirn gepresst. Es sieht aus, als würde er sich jeden Moment übergeben.

      »Oberst Mutassim verfügt noch über zuverlässige Männer in diesem Sektor«, versucht der General mich umzustimmen. »Er wird einen großen Konvoi zusammenstellen, und um Punkt 4 Uhr werden wir versuchen, die gegnerische Aufstellung zu durchbrechen. Der Rückzug der Rebellen kommt wie gerufen. Dadurch haben wir zumindest ein wenig Spielraum. Die Milizen haben ihre Straßensperren an den Punkten 42, 43 und 29 geräumt. Wahrscheinlich, um sich in Sicherheit zu bringen, wenn man unserem Funker glauben darf. Wir werden uns in Richtung Süden bewegen. Wenn es Mutassim gelingt, vierzig oder fünfzig Fahrzeuge aufzutreiben, haben wir eine reelle Chance durchzukommen. Sollte es zu Gefechten kommen, werden wir uns in alle Richtungen zerstreuen. In der Stadt herrscht das blanke Chaos. Niemand weiß, wer wen kommandiert. Wir werden uns die Konfusion zunutze machen, um aus Sirte herauszukommen.«

      »Und warum nicht jetzt gleich?«, frage ich. »Bevor die alliierte Luftwaffe auf uns eindrischt?«

      »Weil Oberst Mutassim noch mehrere Stunden braucht, bis er die nötige Anzahl von Fahrzeugen zusammen hat«, erklärt Abu Bakr.

      »Steht ihr in Kontakt mit ihm?«

      »Nicht über Funk. Wir haben Kuriere.«

      »Wo genau befindet er sich jetzt?«

      »Wir warten auf die Rückkehr unserer Spähtrupps, um das zu erfahren.«

      Mansur lässt sich an der Wand entlang zu Boden gleiten, bis er vollends auf der Erde sitzt.

      »Ein wenig Haltung, wenn ich bitten darf!«, herrsche ich ihn an. »Glaubst du, du bist hier im Patio deiner Mutter?«

      »Ich habe eine grässliche Migräne.«

      »Na und? Du musst dich fangen, und zwar schnell.«

      Mühsam rappelt Mansur sich wieder auf. Seine tiefen Wangenfurchen verleihen seinem Blick den tranceartigen Ausdruck eines mit dem Tod ringenden Tieres. Abu Bakr schiebt ihm einen Stuhl hin. Mansur lehnt ab.

      »Glaubst du wirklich, dass sie uns bombardieren werden?«, frage ich ihn.

      »Das ist offensichtlich.«

      »Vielleicht ist es auch nur ein Ablenkungsmanöver«, bemerkt Abu Bakr, aber sehr viel mehr, um mit mir einer Meinung zu sein, als aus Überzeugung.

      »Dann würden sie ihre Infanteristen aber nicht veranlassen, die vorgeschobenen Posten zu räumen.«

      »Glaubst du, sie wissen, wo wir sind?«

      »Niemand weiß, wo Sie sich aufhalten, Rais. Sie schlagen auf gut Glück zu und warten, dass wir uns verraten.«

      »Nun gut«, erwidere ich. »Dann gehe ich wieder nach oben und ruhe mich aus. Sagt mir Bescheid, wenn es Neues gibt.«

      3

      In der Zwischenzeit hat man mein Zimmer gereinigt, die Fenster mit Zeltplanen verhängt und mir eine Art Nachtleuchte improvisiert: eine von einer Autobatterie gespeiste Taschenlampe.

      Unter dem Sofa, auf dem ich schlafe, habe ich ein Goldarmband gefunden, das einem kleinen Mädchen gehört haben muss. Ein hübsches, filigran ziseliertes Schmuckstück mit einer kalligraphischen Inschrift auf der Innenseite: Für Khadija, meinen Engel und Sonnenschein. Ich hätte gern gewusst, wie Khadija wohl aussehen mochte und habe alle Schubladen und Regale durchsucht. Doch nirgends ein zurückgelassenes Foto, nicht der kleinste Hinweis auf die Familie, die in diesem Haus gelebt hat, abgesehen vom Bildnis des Vaters, oder Großvaters, im Wohnzimmer. Ich habe versucht, mir das Leben vorzustellen, das die spurlos Verschwundenen bis vor Kurzem in diesen vier Wänden geführt haben mochten. Bestimmt waren es wohlhabende Leute, die ein behütetes, liebevolles Dasein führten, mit einer warmherzigen Mutter und glücklichen Kindern. Was hatten sie sich zuschulden kommen lassen, das ihre Träume so schlagartig zunichte machte? Hatte ich doch weder Anstrengung noch Mühen gescheut, damit der Herzschlag des libyschen Volkes im Rhythmus froher Tage, fröhlicher Feste und freudiger Hoffnungen pochte und kein Tag ohne Kinderlachen, begleitet von Engeln und Sonnenschein, verging.

      Ich sah die Bedrohung mit Siebenmeilenstiefeln auf uns zumarschieren, erkannte gnadenlos deutlich die mordsmäßige Gier der Thronräuber und Schmarotzer, denen beim bloßen Anblick der Reichtümer meines Territoriums das Wasser im Munde zusammenlief. Welche Alarmglocke hätte ich läuten sollen? Vergebens hatte ich die arabischen Herrscher gewarnt, diese vollgefressenen Partylöwen, die nur Ohren für das Gemaunze und Geschmeichel der von ihnen Abhängigen hatten. Vollständig waren sie in Kairo versammelt, aufgereiht wie die Hühner auf der Stange, einander argwöhnisch beäugend, die einen arrogant unter ihrer Herrscherkrone humorloser Patriarchen, die anderen zu einfältig oder borniert, um seriös zu erscheinen. Unter ihnen Neuankömmlinge, die sich schon am Ziel wähnten, Operettenpräsidenten, unfähig, sich ihres bäurischen Instinkts zu entledigen, Petrodollar-Emire, simsalabim aus dem Turban gezaubert, Sultane, eingepackt in ihre Phantomgewänder, unverkennbar angewidert von den Reden, die da endlos und wie auf Knopfdruck geschwungen wurden. Warum waren sie überhaupt gekommen? Alles, was nicht ihre Privatschatulle betraf, war ihnen doch ohnehin reichlich egal. Damit beschäftigt, sich die eigenen Taschen zu füllen, merkten sie weder, dass die Welt sich in schwindelerregendem Tempo veränderte, noch dass sich am Horizont Gewitter zusammenbrauten, die in naher Zukunft losbrechen würden. Das Unglück ihrer Untertanen, die Verzweiflung der Jugend, die Verelendung ihrer Völker waren die geringsten ihrer Sorgen. Überzeugt, von schlechten Zeiten verschont zu bleiben, verwalteten sie, wie man so sagt. Und außerdem hatten sie ja nichts zu befürchten, da sie weder Wirbel verursachten noch sich querstellten.

      Beim letzten Gipfel der Arabischen Liga hatte ich sie gewarnt, während sie sich hinter ihrem herablassenden Lächeln versteckten: Was Saddam Hussein passiert war, drohe ihnen nicht minder. Alle hatten sie mich hinter vorgehaltener Hand ausgelacht. Und Ben Ali, mein Gott! Ben Ali ... dieser Waschlappen im Kaids-Kostüm, der im Schutz seiner Schergen die Muskeln spielen ließ und sich wie ein Pfannkuchen vor dem letzten der Emissäre des Westens platt machte! Er saß mir direkt gegenüber mit seinem puterroten Gesicht, das vor lauter Anstrengung, sein unbändiges Lachen zu unterdrücken, krebsrot angelaufen war. Ich amüsierte ihn. Ich hätte die Rednertribüne verlassen und ihm ins Gesicht spucken sollen.

      Dieser erbärmliche Ben Ali, dieser Stenz, der so stolz auf seinen Wohlstandsschmerbauch war und zufrieden, sein Land dem Meistbietenden in den Rachen zu werfen. Ich konnte ihn ohnehin noch nie riechen, diese manierierte Qualle. Ich mochte weder seinen Haarschnitt noch sein Nullachtfuffzehn-Charisma.

      Ich war an jenem Abend bei Saif al-Islam.

      Ich spielte in einer Ecke des Wohnzimmers mit meinem Enkelsohn.

      Saif stand vor dem Fernseher, die Arme vor der Brust gekreuzt, und starrte fassungslos auf das Spektakel auf seinem Großbildschirm. Die Demonstrationen in Tunis wurden immer heftiger. Die Massen waren entfesselt, und in den Gesichtern stand blanker Hass. Schaumgeifernde Münder forderten den Tod. Die Polizisten stoben wie Ratten vor dem unaufhaltsamen Vorrücken des Volkszorns auseinander. Weder der Aufruf, Ruhe zu bewahren, noch das Tränengas vermochte die Menschenflut einzudämmen.

      Ich widmete dem Tumult in Tunesien nur wenig Aufmerksamkeit. Gewiss freute ich mich zu sehen, wie Ben Ali von seiner blökenden Schafherde in die Enge getrieben wurde. An jenem Abend war es an mir, mein unbändiges Gelächter im Zaum zu halten, während er mit bebender Stimme sein Volk beschwor, brav nach Hause zu gehen. Ich genoss es, ihn derart in Panik zu sehen. Seit seiner haarsträubenden Inthronisierung wusste ich, dass er Gipfel immer nur erklimmen würde, um desto tiefer zu fallen.

      Ein Gangster, in den Rang eines Rais erhoben! Ich schämte mich fast, ihn als Amtskollegen zu haben.

      Plötzlich klatschte Saif ungläubig in die Hände.

      »Er ist geflohen ... Ben Ali hat sich aus dem Staub gemacht.«

      »Was


Скачать книгу