Das Freundschaftsherz. Eva Susso

Das Freundschaftsherz - Eva Susso


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und Fingerhandschuhe, trotz der brüllenden Hitze. Mit gewohnten Handgriffen wühlt sie im Abfalleimer herum, findet eine Flasche, schüttelt die letzten Tropfen heraus und stopft sie in ihre Plastiktüte. Danach wirft sie Hanna einen leeren Blick zu und schlurft weiter.

      Die Ärmste. Sie hat bestimmt niemanden, der sich um sie kümmert. Wenn man erwachsen und allen Leuten egal ist, ist das ganz schön schlimm.

      Hanna kaut auf den Nägeln der anderen Hand. Da hört sie einen Hund bellen und sie schaut nervös in Richtung Gröndalsvägen. Das wird doch wohl nicht Big sein, der da drüben angeschlappt kommt. Doch, er ist es. Er geht mit seinem Hund Sigge Gassi. Den hat er nach seinem verstorbenen Vater benannt.

      Hanna versteckt sich blitzschnell hinter dem Klettergerüst.

      Big darf sie auf keinen Fall sehen. Er hat nicht alle Tassen im Schrank. Er prügelt sich, frisst Popel und stinkt nach Käsefüßen. Kein einziges Mädchen aus der ganzen Schule wagt sich in seine Nähe.

      Auf dem Fahrradschuppendach

      Hanna flieht ans andere Ende des Parks. Zu dem alten Fahrradunterstand. Das flache, knarrende Dach ist Leonardos und ihr geheimes Versteck. Dort kann sie keiner sehen. Der Ahorn streckt seine Äste aus und umschließt das Dach mit seinen Blättern. Es ist dort oben wie in einer grünen Höhle.

      Vorsichtig klettert sie die kaputte Leiter hoch, die an der Rückwand lehnt, und legt sich auf die warme Teerpappe.

      Dann zieht sie den Umschlag mit dem Zettel aus der Tasche und liest die Nachricht noch einmal.

      Hallo, süße Hanna!

      Hier kriegst du was Süßes

      von deinem heimlichen Freund.

      Das Herz ist richtig gelungen. Rot und rund. Es ist schon ein komischer Gedanke, dass derjenige ausgerechnet sie, Hanna Erikson, 10 Jahre alt, liebt. Bleibt nur noch die Frage, wer es sein könnte. Bobby vielleicht? Oder Felix?

      Oder der niedliche Simon aus der Sechsten!? Da es sich schon nicht ändern lässt, dass sie jetzt erwachsen werden muss, wäre es eigentlich das Beste, wenn es Simon ist. Fanny wird garantiert eifersüchtig – und nicht nur sie. Alle Mädchen himmeln Simon an. Er sieht so irre gut aus.

      Hanna ärgert sich, dass sie den Lakritztaler aufgegessen hat. Sie hätte ihn mit dem Zettel aufbewahren sollen.

      Wenn sie noch mehr heimliche Liebesbriefe bekommt, kann sie damit vor Fanny und den anderen Mädchen aus der Klasse herumprahlen.

      Hoffentlich, hoffentlich ist es Simon!

      Aber so richtig kann Hanna es sich nicht vorstellen. Aus welchem Grund sollte der niedliche Simon aus der Sechsten sich ausgerechnet für sie interessieren? Er hat noch nie mit ihr gesprochen, geschweige denn in ihre Richtung geguckt. Er würde bestimmt lieber mit einem Mädchen in seinem Alter gehen. Das ist Hanna klar.

      Und Felix? Ihn umschwärmen auch viele Mädchen. Weil er oft Kekse und Zimtschnecken aus dem Café Kringel mit in die Schule bringt und verteilt. Seinen Eltern gehört nämlich die Konditorei. Hanna findet, dass Felix sich nur beliebt machen will und die anderen besticht, damit sie ihn gut finden. Aber auf so was fällt sie nicht rein.

      Und wenn es nun doch Simon ist? Wenn er nun heimlich in sie verliebt ist? Obwohl er viel älter ist.

      Hoffentlich! Hoffentlich!

      Hanna schließt die Augen. Sie sieht es ganz deutlich vor sich. Sie stehen voreinander auf dem Schulhof. Auf dem Rasen. Simon breitet seine Jacke auf dem Gras aus, damit Hanna sich darauf setzen kann. Die Sonne lässt sein rotblondes Haar erstrahlen wie einen Glorienschein. Fanny und die anderen Mädchen aus der Klasse stehen mit beleidigten Gesichtern um sie herum. Aber Hanna lächelt glücklich und sagt mit ihrer sanftesten Stimme: »Danke, geliebter Simon.«

      Auweia, wie albern.

      Peinlich.

      Da knarren die Leiterstufen.

      Leonardos Vorschlag

      Hanna beeilt sich den Brief in die Tasche zu knüllen und möglichst unbeteiligt auszusehen. Aber ihre Wangen glühen noch, als Leonardos knallgrünes Käppi und sein fröhliches, braunes Gesicht über der Dachkante auftauchen.

      Leonardos Vater ist Afrikaner, darum ist er auch so braun und hat so lockiges Haar.

      Er hält die Hände hinter dem Rücken.

      »Welche Hand?«, fragt er.

      »Rechts«, sagt Hanna.

      Leonardo hält ihr eine Tüte gemischte Salzlakritze hin.

      Leonardo ist Klasse. Ihm fällt immer was Spannendes ein und er kann irre gut Mundharmonika spielen. Und er beschützt Hanna vor den Sticheleien der anderen. Eine Zeit lang gab’s nämlich so ein paar aus der Klasse, die Hanna den Spitznamen Salzgurke verpasst haben. Aber das hat Leonardo ihnen schnell wieder abgewöhnt.

      »Na, irgendwas Lustiges passiert?«, fragt er.

      Jetzt heißt es auf der Hut sein. Leonardo darf auf keinen Fall erfahren, dass sie einen heimlichen Verehrer hat.

      Hanna schüttelt den Kopf. Ohne ihn anzusehen. Sonst würde sie sich garantiert durch ein Blinzeln verraten oder rot werden und loslachen. Und dann weiß er natürlich sofort, dass sie nicht die Wahrheit sagt.

      »Gar nichts?«, fragt er hartnäckig weiter.

      Hanna schüttelt noch einmal den Kopf.

      Und das ist noch nicht mal gelogen. Natürlich ist etwas passiert. Liebesbriefe bekommt man schließlich nicht alle Tage. Aber man kann nicht gerade sagen, dass es etwas Lustiges ist. Eher eine Katastrophe. Hanna stopft sich den Mund mit salzigen Autoreifen voll, um nichts sagen zu müssen.

      »Jetzt sind nur noch wir beide in der Stadt«, sagt Leonardo. »Und Big, natürlich. Und Ricky und Peter.«

      »Mhmh«, antwortet Hanna.

      Ricky könnte es natürlich auch sein. Er schaut im Speisesaal ab und zu zu ihr herüber. Er ist ziemlich süß. Aber nicht so süß wie Simon, besonders dann nicht, wenn er gerade die Haare sehr kurz geschnitten hat und seine Mickymaus-Ohren so gut zu sehen sind. Aber wenn das Haar nach ein paar Wochen nachgewachsen ist, sieht er wieder ganz okay aus.

      Nein, stopp! Warum wirbeln die Gedanken in ihrem Kopf herum, obwohl sie es gar nicht will? Immerzu denkt sie über diesen blöden Brief nach. Ab jetzt will sie keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Den ganzen Tag nicht. Überhaupt nicht mehr. Sobald sie wieder alleine ist, wird sie den Brief in kleine Teile zerreißen und in der Toilette runterspülen.

      »Ich habe einen Vorschlag«, sagt Leonardo. »Bist du mit von der Partie, heute Nacht unterm Sternenhimmel zu schlafen? Hier oben auf dem Dach?«

      »Bist du verrückt?«, platzt Hanna heraus.

      Man kann doch nicht einfach draußen schlafen. Nachts tauchen doch alle gruseligen Wesen auf. Gespenster, Werwölfe ...

      Da fällt ihr mit einem Mal wieder ein, dass sie viel zu alt ist, um an solche Sachen zu glauben.

      »Man könnte im Schlaf über die Kante rollen und sich das Genick brechen«, sagt sie stattdessen.

      »Quatsch, das regel ich schon«, sagt Leonardo.

      »Und wie?«, fragt Hanna.

      Aber Leonardo hört ihr gar nicht mehr zu, er ist schon wieder auf dem Weg die Leiter runter.

      Big, der Briefeschreiber

      Leonardo flitzt nach Hause. Hanna ist ihm dicht auf den Fersen. Sie fliegt fast, ist leicht wie eine Seifenblase. Das Leben ist wieder schön. Und so aufregend, dass es in den Beinen kribbelt und im Bauch kitzelt.

      Sie hat einen Entschluss gefasst. Wenn Leonardo will, will sie auch.

      Heute Nacht wollen sie im Park auf dem Dach des Fahrradunterstandes schlafen. Und sie wird sich hüten Papa


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