Die zwölfte Stunde und andere Novellen. Rudolf Stratz
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Rudolf Stratz
Die zwölfte Stunde und andere Novellen
Saga
Die zwölfte Stunde und andere Novellen
© 1909 Rudolf Stratz
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711507131
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
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Schatten.
Draussen, auf der kahlen, geröllüberschütteten Hochgebirgsmulde geschah das, was in diesem Sommer allstündlich und alltäglich geschah — es regnete. Er goss sanft und still in langen, dünnen Bindfaden herunter, dass der Boden dampfte und langweilige Nebel sich um die Klubhütte spannen.
Innen in der Hütte war es feucht, abenddämmerig und kühl. Denn die drei Männer in dem einsamen Berghaus geizten mit ihrem Feuermaterial.
Der eine gähnte, der andere rauchte, der dritte lag abseits und summte im Halbschlaf das schöne „Hüttenlied, im Regen zu singen“: — „Stumpfsinn, Stumpfsinn, du mein Vergnügen ...“
Das ärgerte den Mann, der gähnte. Er drehte sich auf die linke Seite und starrte in die Ecke, wo ihm ein roter Feuerpunkt, die Zigarre seines anderen Genossen, entgegenglühte. Er kannte diesen Genossen nicht und hatte seine Gesichtszüge bei der Dunkelheit noch nicht gesehen. Aber da der Unbekannte rauchte musste er wach sein und taugte vielleicht zu einem zeitverkürzenden Gespräch.
„Scheusslich monoton ...“ begann der Gelangweilte die Unterhaltung ... „... solch ein Regentag in einer Schutzhütte ...“
Die Zigarre glühte einen Augenblick auf. „Nicht immer!“ sagte dann eine Stimme aus dem Dunkel hinter dem Feuerpunkt.
„Haben Sie schon mal was Interessantes bei solcher Gelegenheit erlebt?“
„Mehr als interessant ...“ sprach es leise aus der Finsternis.
„Was war denn das?“
Die Zigarre wurde merklich trüber. „Ich will es Ihnen erzählen ...“ flüsterte die geheimnisvolle Stimme ... „... also passen Sie auf! ...“
Ich hatte voriges Jahr einen besonderen Ehrgeiz. Ich wollte am Neujahrsmorgen auf irgendeiner Hochzinne im Herzen der einsamsten winterlichen Alpenwelt stehen!
Dass im Januar eine Hochgebirgstour kein Spass, sondern ein Gang auf Tod und Leben ist, wissen Sie. Aber mir stak der Gedanke nun mal im Kopf. Nicht einmal einen Führer wollt’ ich mitnehmen, um mir die Weihe des Augenblicks nicht zu stören.
Der biedere Herr Kurat, bei dem ich in dem weltentlegenen, im Schnee vergrabenen Tiroler Dörfchen wohnte, hatte mir umsonst abgeredet. Betrübt gab er mir noch eine Strecke weit das Geleit, als ich am Silvestermittag, vermummt und gerüstet wie ein Nordpolfahrer, mich auf den Weg machte.
Als es steiler wurde, drückte er mir die Hand und kehrte um. Ich sah dem Hochwürdigen eine Weile nach, wie er, ein rundliches schwarzes Pünktchen, sich unverzagt seine Bahn über die blendend weisse Fläche stampfte, dann begann ich den Aufstieg.
Wenn alles gut ging, war ich am frühen Nachmittag hoch oben vor der in einem riesigen Schneekessel verlorenen Schutzhütte. Dort fand ich ein Pottsches Proviantdepot, machte es mir bequem, schlief hoffentlich zehn Stunden und brach dann gegen sechs Uhr morgens mit der Laterne auf, um einige Stunden später stolz und einsam auf der Zinne des Eiskofels zu stehen ...
Es war aber ein verwünscht mühsamer Weg. Der Schnee war weich wie Brei, dass man bei jedem Schritt bis über die Knie einsank, viele steilere Halden musste ich wegen der Gefahr von Schneerutschungen überhaupt umgehen, an andern abschüssigen Hängen eine zolldicke Schneeschicht aufschürfen und in den darunterliegenden blanken Firn Stufen hauen — kurzum, trotz der eisklaren, trockenen Luft war ich erhitzt und nass bis auf die Knochen, als ich endlich am Eingang des wohl eine Stunde im Umkreis messenden, von Falten und Hügeln überzogenen Eiskessels stand, in dem die Hütte lag.
Es war schon nach vier Uhr nachmittags, also höchste Zeit. Aber nun gab es keine Schwierigkeit mehr. Einfach eine halbe Stunde geradeaus marschieren, so stand ich vor der Türe.
Ich nehme also die Schneebrille ab — denn aus dem untersten Grunde der Mulde war die Sonne schon gewichen, während über meinem Kopf die riesigen Eiswände und Firnzinnen noch wie Feuer glühen — stapfe darauflos.
Da kommt mir etwas entgegen, bei dessen Anblick mir plötzlich zumute war, als pressten sich fünf totenkalte Finger um mein Herz.
Ein Gespenst? Nein! In dem tiefen, dumpfen Schweigen ringsumher strich ein grauer Nebelfetzen, eine Art Schatten mit lang wallender Dunstschleppe, langsam und geräuschlos über den Schnee. Andere solche Spukgebilde aus Luft und Wasser krochen hinterdrein, ein ganzes Heer von Schreckgestalten, das einer finsteren, schon in halber Nacht daliegenden Seitenkluft entquoll. In diesem scheusslichen Schlunde braute und gärte es von Nebelschwaden, und das Dunkel, das in ihm herrschte, verbreitete sich in raschen Wellen rings um mich her. Es ward trübe vor meinen Augen. Ein feuchtes, milchiges Dämmern umwob mich wie jählings einbrechende Nacht — ich stak mitten im Nebel!
Bei zehn Grad Kälte und gesunkener Sonne in dem Eisnebel des Hochgebirges! Das war der Tod, klipp und klar der Tod durch Erfrieren in der nahenden, mörderisch kalten Silvesternacht, wenn es mir nicht gelang, die Hütte zu erreichen.
Aber wie die Richtung einhalten, wenn man kaum drei Schritte vor sich hin sah und ratlos auf Gutdünken durch den unergründlichen Schnee sich hindurcharbeiten musste? Ich war noch nicht zehn Minuten weitergegangen, da dämmerte in mir die unumstössliche Erkenntnis auf, dass ich auf dem falschen Wege sei und mich bedeutend mehr nach rechts halten müsse.
Ich hielt mich nach rechts — aber da stand ich plötzlich vor einer steilen, sich in den Nebeln verlierenden Schneewand, über die — das wusste ich bestimmt — der Weg zur Hütte nicht führte.
Also umgekehrt! ... Ich wanderte zurück ... aber weiss Gott, wie es zuging ..., ich fand in diesen endlosen, schweigend und eilfertig an mir vorüberflutenden Nebelwogen nicht einmal meine frühere Spur mehr. Es schien, dass ich nun zu weit nach links abkam — ich schwenkte also wieder im Bogen ab, ich versank bis an die Brust in Schnee, ich geriet mit dem einen Bein bis an den Leib in ein mit Eiswasser gefülltes Loch, ich fing da, wo der Schnee besser wurde, zu traben an und sah mich auf einmal wieder derselben steilen Firnwand gegenüber, die ich vor einer halben Stunde gesehen! ...
Nun blieb ich stehen, erhitzt, erschöpft und aufgeregt, wie ein Mensch, der sich mitten im Handgemenge befindet. Denn es war wirklich wie ein Kampf mit unsichtbaren, tückischen, einen im Kreise herumführenden Gespenstern, ein Kampf auf Tod und Leben.
Eine Hoffnung dämmerte in mir auf! Ich hatte — unklugerweise, wie ich mir dann vorwarf — schon seit einigen Tagen von meinem Vorhaben auf den Eiskofel gesprochen. Das Gerücht davon musste sich in den Taldörfern verbreitet haben, in denen sich ausser mir, wie ich wusste, noch einige andere, mir unbekannte winterliche Touristen befanden. Der Nachahmungstrieb und der Ehrgeiz ist im Alpinismus wie in jedem Sport gross. Vielleicht, dass eine andere Partie mir einen Possen spielen wollte und, um morgen früh zugleich mit mir auf der Spitze des Eiskofels zu sein, jetzt schon vor mir in der Schutzhütte lagerte, die ja irgendwo in meiner nächsten Nähe sich befinden musste.
Ich rief ... ich schrie. Aber keine Antwort kam. Stumm wallten die Nebel, eine giftige, eisige Kälte dünstete aus ihnen aus, und es ward dunkler und dunkler um mich her.
Aufs neue begann ich mein Umherirren. Ob ich jetzt noch die Hütte fand, stand ganz