Die Jungfrau von Orleans. Friedrich Schiller
auf der Erde kleine Länder.
Da scheint sie mir was Höh’res zu bedeuten,
Und dünkt mir’s oft, sie stamm aus andern Zeiten.
thibaut:
Das ist es, was mir nicht gefallen will!
Sie flieht der Schwestern fröhliche Gemeinschaft,
Die öden Berge sucht sie auf, verlässet
Ihr nächtlich Lager vor dem Hahnenruf,
Und in der Schreckensstunde, wo der Mensch
Sich gern vertraulich an den Menschen schließt,
Schleicht sie, gleich dem einsiedlerischen Vogel,
Heraus ins graulich düstre Geisterreich
Der Nacht, tritt auf den Kreuzweg hin und pflegt
Geheime Zweisprach’ mit der Luft des Berges.
Warum erwählt sie immer diesen Ort
Und treibt gerade hieher ihre Herde?
Ich sehe sie zu ganzen Stunden sinnend
Dort unter dem Druidenbaume 2 sitzen,
Den alle glückliche Geschöpfe fliehn.
Denn nicht geheu’r ist’s hier: ein böses Wesen
Hat seinen Wohnsitz unter diesem Baum
Schon seit der alten grauen Heidenzeit.
Die Ältesten im Dorf erzählen sich
Von diesem Baume schauerhafte Mären;
Seltsamer Stimmen wundersamen Klang
Vernimmt man oft aus seinen düstern Zweigen.
Ich selbst, als mich in später Dämmrung einst
Der Weg an diesem Baum vorüberführte,
Hab ein gespenstisch Weib hier sitzen sehn.
Das streckte mir aus weitgefaltetem
Gewande langsam eine dürre Hand
Entgegen, gleich als winkt’ es; doch ich eilte
Fürbaß, und Gott befahl ich meine Seele.
raimond auf das Heiligenbild in der Kapelle zeigend:
Des Gnadenbildes segenreiche Näh,
Das hier des Himmels Frieden um sich streut,
Nicht Satans Werk führt Eure Tochter her.
thibaut:
O nein! nein! Nicht vergebens zeigt sich’s mir
In Träumen an und ängstlichen Gesichten.
Zu dreien Malen hab ich sie gesehn
Zu Reims auf unsrer Könige Stuhle sitzen,
Ein funkelnd Diadem von sieben Sternen
Auf ihrem Haupt, das Zepter in der Hand,
Aus dem drei weiße Lilien entsprangen,
Und ich, ihr Vater, ihre beiden Schwestern
Und alle Fürsten, Grafen, Erzbischöfe,
Der König selber neigten sich vor ihr.
Wie kommt mir solcher Glanz in meine Hütte?
O das bedeutet einen tiefen Fall!
Sinnbildlich stellt mir dieser Warnungstraum
Das eitle Trachten ihres Herzens dar.
Sie schämt sich ihrer Niedrigkeit – weil Gott
Mit reicher Schönheit ihren Leib geschmückt,
Mit hohen Wundergaben sie gesegnet
Vor allen Hirtenmädchen dieses Tals,
So nährt sie sünd’gen Hochmut in dem Herzen,
Und Hochmut ist’s, wodurch die Engel fielen,
Woran der Höllengeist den Menschen faßt.
raimond:
Wer hegt bescheidnern, tugendlichern Sinn
Als Eure fromme Tochter? Ist sie’s nicht,
Die ihren ältern Schwestern freudig dient?
Sie ist die hochbegabteste von allen,
Doch seht Ihr sie wie eine niedre Magd
Die schwersten Pflichten still gehorsam üben,
Und unter ihren Händen wunderbar
Gedeihen Euch die Herden und die Saaten;
Um alles, was sie schafft, ergießet sich
Ein unbegreiflich überschwenglich Glück.
thibaut:
Jawohl! Ein unbegreiflich Glück – Mir kommt
Ein eigen Grauen an bei diesem Segen!
– Nichts mehr davon. Ich schweige. Ich will schweigen;
Soll ich mein eigen teures Kind anklagen?
Ich kann nichts tun als warnen, für sie beten!
Doch warnen muß ich – Fliehe diesen Baum,
Bleib nicht allein und grabe keine Wurzeln
Um Mitternacht, bereite keine Tränke
Und schreibe keine Zeichen in den Sand –
Leicht aufzuritzen ist das Reich der Geister,
Sie liegen wartend unter dünner Decke,
Und leise hörend stürmen sie herauf.
Bleib nicht allein, denn in der Wüste trat
Der Satansengel selbst zum Herrn des Himmels.
Dritter Auftritt
Bertrand tritt auf, einen Helm in der Hand. Thibaut. Raimond. Johanna.
raimond:
Still! Da kommt Bertrand aus der Stadt zurück.
Sieh, was er trägt!
bertrand: Ihr staunt mich an, ihr seid
Verwundert ob des seltsamen Gerätes
In meiner Hand.
thibaut: Das sind wir. Saget an,
Wie kamt Ihr zu dem Helm, was bringt Ihr uns
Das böse Zeichen in die Friedensgegend?
Johanna, welche in beiden vorigen Szenen still und ohne Anteil auf der Seite gestanden, wird aufmerksam und tritt näher.
bertrand:
Kaum weiß ich selbst zu sagen, wie das Ding
Mir in die Hand geriet. Ich hatte eisernes
Gerät mir eingekauft zu Vaucouleurs.
Ein großes Drängen fand ich auf dem Markt,
Denn flücht’ges Volk war eben angelangt
Von Orleans mit böser Kriegespost.
Im Aufruhr lief die ganze Stadt zusammen,
Und als ich Bahn mir mache durchs Gewühl,
Da tritt ein braun Bohemerweib 3 mich an
Mit diesem Helm, faßt