Die Heimat. Paul Keller

Die Heimat - Paul  Keller


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      Zitternd stand ihm die Frau gegenüber. Ihre Augen leuchteten heiss auf, als sie ihn ansah; ein Zittern flog über ihren Körper, und mit erregter Stimme sagte sie: „Mathias – du – du hast das einzige gerettet – was ich noch habe.“

      Sie streckte die Hände aus und schlug sie über seine Schultern, und ihr Gesicht sank matt an seine Brust in halber Ohnmacht.

      Mathias Berger stand wie einer, der plötzlich stirbt und dem nur eine weisse, letzte Lebenswoge noch schmerzhaft und warm durchs Herz schlägt.

      Doch er raffte sich zusammen. „Setzen Sie sich, Frau – Frau Raschdorf und wachen Sie bei ihm!“

      Langsam ging er aus der Stube. –

      Und immer noch stand die Unheilswolke über dem Buchenhofe. Die Feuerflammen schlugen hinauf zu ihr und malten grellrote Lichter auf ihren schwarzen Untergrund. Wie Blutstropfen fiel der leise Regen. Feuer von vollen Garben und duftendem Heu! In wahnsinniger, trunkener, taumelnder Freude erhoben sich die Feuerflammen. Draussen lagen die stillen, abgeernteten Felder, und nun war es, als ob jeder Halm in der Scheuer, jede vertrocknete Blume im Heu sterbend noch einmal das stille Plätzchen im Feldgrund grüssen wollte, da es gegrünt und geblüht und mit Faltern und zarten Winden gekost hatte. Jetzt zuckten über die beraubten Fluren stolze, jubelnde Flammensignale:

      „Triumph! Wir sterben einen roten, herrlichen Tod! Erspart bleiben uns Tenne und Mühle. Die Natur ist gross, und der Mensch ist nichts!“

      Die Menschen, die mit der Natur gerungen hatten im langen, mühsamen Kampfe, die ihr die Beute abjagten mit Schlauheit und Fleiss: sie standen bleich als die Besiegten, die Geschlagenen, und die Beute war ihnen entrissen, und ihr Bollwerk war zerstört.

      Frau Mutter Erde sah schweigend zu, aber die Witwenschleier, die noch am Tage heiss und grau um ihre feuchte Stirn hingen, färbten sich rot. Die Halme und Blumen sind ihre Lieblingskinder, und der Mensch ist nur der Stiefsohn. –– –

      Der Bauer Raschdorf sass auf einem umgestülpten Karren. Finsteren Auges sah er der Verheerung zu. Nicht einen Finger rührte er zur Hilfe. Von Zeit zu Zeit nur verzog sich sein Gesicht; seine Hände klammerten sich an die Beine und gruben sich oft schmerzhaft ins Fleisch. Und neben ihm kauerte, Entsetzen in den schönen Kinderaugen, die Magdalene, sein Ebenbild, sein Liebling.

      Die beiden Scheuern lagen verwüstet; nun brannte der grosse Stall. Die Rinder zogen hinab ins Dorf. Ihr Brüllen klang dumpf durch die Nacht. Vier oder fünf Spritzen aus dem Dorfe und aus den Nachbarorten waren da. Sie hatten sich bemüht, als die Scheuern brannten, das Wohnhaus und das Gesindehaus zu retten. Das war ihnen auch gelungen; denn der Wind war günstig. Aber die Giebel waren geschwärzt, die Fensterscheiben zerplatzt.

      Und abseits von denen, die das Unglück traf, stand die Menge mit ihren Gefühlen. Ein lähmender Schreck hatte sie aus den Stuben gerissen, als die Glocke vom Turme wimmerte und der Feuerruf durch die Gassen heulte. Aber als sie sich überzeugten, dass sie selbst nicht in Gefahr seien, legte sich die Angst sehr rasch. Mitleid kam, Lust zu helfen, Lust zu schauen, Lust, was zu erleben. Niemand von diesen Leuten war müde, alle belebte die Erregung, und so kam es auch hier wie immer, dass dicht neben das Grauen und die Vernichtung der Humor sich unter die Gaffer stellte und sich sein Sprüchlein leistete. Jetzt war nichts mehr zu retten; aber immer, wenn eine neue Spritze ankam, trat sie mit in Tätigkeit, und so fuhren die Wasserstrahlen in den rettungslos weiter brennenden Stall lustig hinein und erzeugten viel Zischen und Dampf.

      Zu ganz später Zeit, als das Feuer schon nachliess, kam die Spritze eines Nachbarortes, der nur eine Viertelstunde weit entfernt lag.

      „Die sind auch schon munter!“ sagte einer laut.

      „Um die is ’s nich schade“, bemerkte sein Nachbar ebenso vernehmlich. „Der ihre Spritze is a Unikum. Bei der vertrocknen im Sommer immer die Messingventile.“

      Die verspäteten Rettungsmannschaften machten ob solch vorlauter und sehr belachter Rede grimmige Gesichter. Aber da die Spötter recht behielten, mühten sie sich ein wenig um ihre Spritze ab, pumpten, schraubten, rüttelten, besahen sie mit verständigen Mienen von allen Seiten, überzeugten sich aber, dass nichts zu machen sei, und fuhren deshalb kopfschüttelnd wieder heim. Und das schöne Bewusstsein, das Gute wenigstens gewollt zu haben, begleitete sie.

      Dort, wo die Weiber standen, war viel Lärm. Jede hohe, stolze Flamme wurde mit viel Geschrei begleitet; über alles, was geschah, wurde laut verhandelt, gezetert, gejammert oder gelacht.

      Als Mathias Berger den Heinrich ins Haus trug, wurden Rufe des Mitleids laut, auch als Frau Anna müde und krank über die Strasse geschritten kam. Aber als Berger den Stuhl und die Decke holte, zwinkerten sich ein paar Weiber wortlos zu.

      Und dann schritt der Bauer Raschdorf schweigend an ihnen vorbei, ohne sie anzusehen.

      Die Weiber sahen ihm nach und atmeten schwer; aber sie schwiegen, bis er weit genug war. Dann wollten sie alle gern über ihn reden, aber keine hatte den Mut, anzufangen. Nur zögernd, tropfenweise beginnend, aber immer anwachsend, entstand ihre Rede wie ein kunstgerecht gezogener Wasserfall.

      „O je“, seufzte die Mutigste und Ungeduldigste.

      „Den trifft’s auch ordentlich“, sagte eine zweite.

      „Nu, da!“ sagte eine dritte. „Und wenn man bedenkt, wie er doch – wie er doch eigentlich ...“

      Pause. Sie mochte nicht vollenden – die dritte. Aber alle waren gespannt, geladen, übervoll von innerem Rededrange. Inzwischen stürzte abermals eine Mauer dröhnend zusammen. Eine Schuttwolke, durch die Millionen Funken blitzten, fuhr wirbelnd in die Höhe. Die Weiber waren bei dem Krachen zusammengefahren, aber sie vergassen deshalb nicht, was sie bewegte. Ein paar Sekunden sahen sie nach dem rauchenden Trümmerhaufen, dann kehrte ihr Interesse zu Hermann Raschdorf zurück.

      „Na, Gott verzeih mir die Sünde!“ sagte wieder die erste, Mutigste, Ungeduldigste. „Man soll ja keinem was Schlechtes nachsagen, überhaupt bei so was, aber stolz war der Raschdorf ...“

      Sie konnte nicht vollenden, der Bann war gebrochen, die Schleuse gezogen, die Fluten dröhnten. Es war ein Chaos. Da kam über den Garten eine hässliche, dürre Frau daher. Sie stellte sich zu ihren Mitschwestern, hörte ihr Lärmen und lächelte sein. Das waren ja alles dumme Gänse gegen das, was sie wusste.

      Allmählich brauste der Wasserfall schwächer – verlief sich. Die Weiber sahen die Neue an. Sie ahnten mit feinem Instinkt, dass sie etwas Besonderes wisse.

      „Was haste denn, Glasen?“ fragte eine. „Haste was gesehen oder gehört?“

      „Sie weiss was!“ „Natürlich weiss sie was!“ „Na, seht och, wie sie tut!“ „Warum will sie’s denn nich sagen?“

      „Wir sagen doch nischt weiter!“

      So sprudelte es durcheinander.

      Frau Glase blähte sich vor Stolz und Überlegenheit.

      „Was ich weiss, weiss niemand“, sagte sie kühl.

      Nun brach das Chaos wieder los.

      Das wäre doch unrecht, so was nicht zu sagen. Man hätte doch keine Geheimnisse. Es wär’ doch nichts dabei. Überhaupt sei das gar nicht recht, erst so zu tun. Weitergesagt würde doch nichts. Es seien doch alle immer sehr freundlich zur Glasen gewesen. Eine habe gar bei ihr Pate gestanden. Und sie seien doch unter sich. Oder vielleicht wisse sie überhaupt nichts. Das letzte Argument allein zündete; Frau Glase richtete sich auf. Sie sah die Zweiflerin verächtlich an und wandte sich darauf an die Allgemeinheit.

      „Aber, dass ihr nischt weitersagt!“

      Über ein Schock Finger fuhr beteuernd nach der Gegend des Schürzenlatzes.

      „Ich hab’ durchs Fenster gesehen, bloss wegen des Jungen, es tut einem leid um das Kind, es war ganz durchnässt ...“

      „Natürlich tut’s einem schrecklich leid. Weiter!“

      „Na, also da war erst der Berger allein und dann ...“


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