Walden oder Leben in den Wäldern. Henry David Thoreau
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Henry D. Thoreau
Walden oder Leben in den Wäldern
Saga
Walden oder Leben in den WäldernOriginal Walden; or, Life in the WoodsCoverbild / Ilustration: Shutterstock Copyright © 1854, 2020 Henry D. Thoreau und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726511284
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 2.0
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Henry D. Thoreau
DIE Pyramide aus Kieselsteinen, die an der Stelle sich erhebt, wo einst Henry Thoreaus Hütte am Waldenufer stand, wächst von Jahr zu Jahr. Sie ist gleichsam das Symbol, nicht nur der steigenden Anerkennung, die seine Landsleute und dankbare Menschen aus allen Ländern ihm zollen, sondern auch des Fortschrittes, den im materialistischen Amerika die Pflege ideeller Güter macht. Wer die Empfindlichkeit kennt, welche der Amerikaner jedem Tadel seines Landes und seiner „Kultur“ entgegenbringt, und andrerseits liest, wie mutig und derb, wie treffend und klar Thoreau — von warmer Liebe zum Vaterlande beseelt — seinen Landsleuten die Wahrheit sagt, ihre Schwächen und Fehler, ihre Laster und Torheiten aufdeckt, der wird mit doppelter Genugtuung die zunehmende Wertschätzung dieses Denkers und Dichters verfolgen. Thoreau galt zu seinen Lebzeiten manchen als ein Narr und Faulenzer, den meisten als ein Sonderling. Nur wenigen — darunter befanden sich allerdings die Besten seiner Zeit: Emerson, Alcott, Channing — war er ein Phänomen, ein Dichter, ein Seher. Diesen wenigen erschien sein Leben nicht schon deshalb verfehlt, weil es weder nach Ruhm noch Geld geizte und in der Einsamkeit verfloss. Sie wussten, dass er wie kein zweiter vermochte, in dem heiligen Buch der Natur zu lesen, dass er aus seinem Körper einen Tempel für eine reine Seele schuf. Sie wussten oder ahnten, dass ein seltener Mensch, eine Individualität unter ihnen wandelte, die wohl ihresgleichen noch nie auf Erden hatte. Ihnen war es kein Menschenhasser, sondern ein Menschenbeglücker, kein Weltflüchtiger, sondern ein Weltbesieger, kein verworrener Träumer, sondern ein Philosoph, der seine Philosophie lebte.
Thoreau’s Grossvater war französischer Abstammung und in St. Heliers auf der Insel Jersey geboren. Er wanderte, kaum dem Knabenalter entwachsen, 1773 nach Amerika aus, liess sich in Boston nieder und heiratete 1781 Jane Burns, in deren Adern schottisches und Quäkerblut floss. Sie gebar ihm vier Kinder – einen Sohn und drei Töchter. Später zog die Familie nach Concord, wo John Thoreau im Alter von siebenundvierzig Jahren an Schwindsucht starb. Sein einziger Sohn, John Thoreau, der Vater Henrys, wurde 1787 in Boston geboren. Er setze des Vaters kaufmännisches Geschäft fort, hatte aber so wenig Erfolg, dass er Bankerott machte, alles verlor und, um seinen Gläubigern möglichst gerecht zu werden, selbst seinen Ehering verkaufte. Er war mit einem temperamentvollen, klugen und witsigen Mädchen, mit Cynthia Dunbar, der Tochter des Advokaten Asa Dunbar aus Keene, vermählt. Sie war von hoher Gestalt, hatte angenehme Gesichtszüge, liebte Musik, sang mit gutem Können, besass ein hervorragendes Gedächtnis und wusste über viele Gebiete lebendig und anregend zu plaudern. Ihre Gutmütigkeit war allgemein bekannt. Stets war sie bereit, den Armen zu helfen. In vielen äusseren und inneren Eigenschaften unterschied sie sich von ihrem Manne. Henrys Vater war von kleiner Figur, ernst und verschlossen, pflichttreu in jeder Hinsicht, fast ganz von seiner Arbeit in Anspruch genommen, doch ab und zu der Geselligkeit und munterem Geplauder nicht abgeneigt. In ihm steckte mehr Franzosen- wie Yankeeblut. Beiden Eltern gemeinsam war die Vorliebe für die Natur. Viele Jahre hindurch sah man sie in Fair Haven, am Walden und an anderen Plätzen in Wäldern und auf Hügeln umherstreifen, wo sie, wenn immer ihre Pflichten es erlaubten, botanisierten und mit verständnisvollen Augen die unendliche Mannigfaltigkeit der Natur beobachteten. Henrys Mutter hatte eine so grosse Vorliebe für diese Wanderungen, dass für eines ihrer Kinder der „Leehügel“ beinahe zum Geburtsort geworden wäre.
Als dieser Eltern drittes Kind ward Henry David Thoreau am 12. Juli 1817 auf einer Farm in der Nähe von Concord, Massachusetts, geboren. Dort wuchs er unter urkräftigen Farmern, die weder Armut noch Reichtum kannten, unter harmlosen, pflichttreuen Menschen in einem Hause heran, in welchem eine frohsinnige Mutter mit bescheidenen Mitteln Sonnenschein und Behaglichkeit verbreitete, und wo ein ernster Vater in emsiger, hochgeschätzter Arbeit die Seinen treu versorgte. Schon mit zwölf Jahren nahm Thoreau sein Gewehr unter den Arm und durchstreifte jagend Moor und Wald, ruderte auf dem Musketaquid oder auf dem Assabet oder wanderte zum Waldenteich. In der guten kleinen Schule zu Concord lernte er die besten lateinischen und griechischen Klassiker kennen, doch sagte er selbst, dass er hier — und später auch in Harvard — manche Stunde, die er dem Studium widmen sollte, zum Durchstreifen der Wälder und zum Erforschen der Ströme und Teiche seiner engeren Heimat verwendete.
Im Alter von sechzehn Jahren bezog Thoreau die Universität Harvard. Da der Vater allein mit seinen bescheidenen Einnahmen den Universitätsbesuch seines Sohnes nicht bestreiten konnte, leisteten einige entfernte Verwandte und auch die ältere Schwester, die bereits Schullehrerin war, freundwillig Beihilfe. Thoreau selbst aber übte die grösste Sparsamkeit. In den Ferien unterrichtete er privatim Schüler oder nahm vorübergehend Lehrerstellen auf dem Lande an. Als er 1835 an der Distriktschule in Canton während der Universitätsferien lehrte, begann er mit einem Pfarrer die deutsche Sprache zu studieren. In Harvard selbst zeichnete er sich weder durch hervorragende Geisteseigenschaften noch durch ein freundliches Wesen aus. Meistens hielt er sich von seinen Kameraden fern, las eifrig und viel, und übte strenge Selbstzucht, indem er über all sein Tun von sich selber Rechenschaft verlangte. Man hat bisweilen darauf hingewiesen, dass Thoreau der Harvarduniversität viel verdanke. Er selbst sagt jedoch in einem Brief aus dem Jahre 1843, dass er dort hauptsächlich gelernt habe, sich „gut auszudrücken“ und dauernden Gewinn nur aus der Bibliothek davontrug. Er las nicht nur die lateinischen und griechischen Klassiker, sondern auch besonders englische Literatur, Chaucer, Spenser und vor allem Milton. Im übrigen beschäftigte er sich mit Naturwissenschaften. Seine Liebe zum Freiluftleben erkaltete in Harvard nicht, er sehnte sich fort „aus diesen düsteren, wenn auch klassischen Mauern“ nach seiner alten, geliebten Freundin Natur.
Als er, zwanzig Jahre alt, Harvard verliess und nach Concord zurückkehrte, widmete er sich zunächst der Schulmeisterei, von dem Präsidenten der Universität, von Emerson, und dem allgemein beliebten Pfarrer Ripley mit besten Empfehlungen versehen. Mit seinem Bruder John, der seinem Herzen vielleicht von allen Menschen am nächsten stand, eröffnete er eine Privatschule und lehrte an der „Akademie“ in Concord, ohne jedoch Befriedigung zu finden. Nach kurzer Zeit sehen wir ihn schon in der Bleistiftfabrik des Vaters. So oft und wann auch immer seine Arbeit es ihm ermöglichte, eilte er ins Freie, um sein Amt als „selbsternannter Inspektor der Schneestürme und Regengüsse“ zu versehen, um den dämmernden Morgen und die sinkende Sonne zu überwachen und den Botschaften des Windes zu lauschen. Er entwickelte eine ausserordentliche Geschicklichkeit in allen technischen Dingen, erfreute sich bald eines vorzüglichen Rufes als Landmesser, begann auch dichterisch sich zu betätigen und hielt ab und zu Vorträge im „Lycaeum“ zu Concord. 1839 baute er sich selbst ein Boot und machte mit seinem Bruder John eine Ferienreise auf den Concord- und Merrimacflüssen. Eine farbensatte, gedankenreiche Schilderung dieses Ausflugs erschien zehn Jahre später (1849) unter dem Titel: A week on the Concord and Merrimac river. Das Buch ist voll herrlicher Landschaftsbilder und voll begeisterter Worte über seine Lieblingsdichter. In dem Kapitel, „Montag“ preist Thoreauvor allen die alten indischen Schriften. Das Kapitel ,,Donnerstag“ enthält manches Interessante über Goethe, der „Mittwoch“ wiederum Gedanken über Freunde und Freundschaft, die in ihrer psychologischen Tiefe und in ihrer heissen Sehnsucht nur mit dem herrlichsten, was Nietzche über diese Dinge sagte (im Nachgesang „Aus hohen Bergen“ z. B.) verglichen werden können. Als Thoreau 1853 von seinem Verleger siebenhundert Exemplare dieses Buches zurückerhielt, schrieb er einem Freunde: Ich besitze jetzt seit einiger Zeit eine ziemlich umfangreiche Bibliothek, mehr als siebenhundert Bände, die ich fast alle selbst geschrieben habe.“
Allmählich erhielt Thoreau’s einziger und vertrauter