Walden oder Leben in den Wäldern. Henry David Thoreau

Walden oder Leben in den Wäldern - Henry David Thoreau


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schon im nächsten Jahre schrieb Emerson: „Ich habe Herzensfreude an meinem jungen Freunde. Nie, glaube ich, ist mir ein solch freimütiger, fester Charakter begegnet.“ Bald darauf ward Thoreau eng mit Emerson befreundet, und seit 1840 willkommener Gast in dem Haufe dieses schon damals hochberühmten Mannes. Durch Emersons Aufenthalt wurde Concord gleichsam zum amerikanischen Weimar. Reges geistiges Leben entfaltete sich in der kleinen, nur zweitausend Einwohner zählenden Stadt. In Emersons und Ripleys Hause kamen die ,,Transzendentalisten“ zusammen, Leute, deren höchster. Lebenszweck, wie Knortz sagt, das Streben nach Wahrheit war, die religiöse Zeremonien verabscheuten und christliche Ethik in den Vordergrund stellten. Transzendentalismus wurde aus Europa eingeführt. Nur wenige Schriften von Kant, Fichte und Schelling fanden den Weg über den Ozean. Nur wenige Leute lasen um diese Zeit Deutsch, manche dagegen Französisch. Ausländische Zeitungen berichteten über die Fortschritte der deutschen und französischen Spekulation. 1804 hielt Degérando in Paris bereits Vorlesungen über Kant. Schellings leitende Ideen wurden durch Coleridge verbreitet. Fouriers Bestrebungen wurden lebhaft aufgenommen und ins Praktische übersetzt. Die Schriften Carlyles über deutsche Literatur und über Goethe wurden durch Emerson dem amerikanischen Publikum zugänglich gemacht. Margarete Fuller, die Rahel des Emerson-Kreises, übersetzte Goethes Gespräche mit Eckermann, Ripley schrieb über Goethe und Schiller — kurz, eine Renaissance in Religion, Ethik, Kunst und Politik dämmerte herauf, und ernst wurde in den Zeitschriften um die neue Weltanschauung gekämpft, deren Ideen hauptsächlich das von Emerson und Margarete Fuller herausgegebene ,Dial“ und die Newyorker Tribüne vertraten. ,,Die transzendentale Bewegung“, sagt Lowell, „war der protestantische Geist des Puritanismus, der nach neuer Betätigung drängte und aus alten Formen und Dogmen, welche ihn eher verschleierten als enthüllten, sich losringen wollte.“ Und obwohl diese Bewegung nur kurze Zeit bestand, nur von wenigen, allerdings hervorragenden Menschen geleitet wurde, war der Einfluss auf die Zeitgenossen gross. Emerson, Theodore Parker, Bronson Alcott und Thoreau erzielten durch Kampf und Arbeit den praktischen Erfolg, dass ihre Mitmenschen nicht nur wissbegieriger, sondern auch zufriedener mit ihrer Lage, menschlicher in ihren Empfindungen, bescheidener in ihren Hoffnungen und glücklicher in ihrem Familienleben wurden.

      Die Herausgabe des „Dial“ machte viel Arbeit. Emerson war ausserdem häufig von Concord abwesend, um in der weiteren Umgegend Vorträge zu halten und konnte sich wenig um Haus und Hof bekümmern. Darum bat er 1841 Thoreau, „den jungen Dichter voll von Melodien und Einfällen“, wie er an Carlyle um diese Zeit schrieb, in sein Haus zu ziehen. Thoreau nahm diese Aufforderung an und erwies Emerson hierdurch einen Freundschaftsdienst. Andere Deutungen sind unrichtig. Es ist selbstverständlich, dass das häufige und nunmehr ganz intime Zusammensein mit einem Manne von Emersons Persönlichkeit auf den vierzehn Jahre jüngeren Thoreau starken Einfluss ausüben musste. Doch war Emerson sicher nicht allein der Gebende. Thoreau machte sich, dank seiner hervorragenden technischen Geschicklichkeit, nicht nur in Haus und Hof wohlverdient, er war es auch, der Emerson einen tieferen Einblick in die Natur eröffnete und durch seine denkbar einfachste Lebensweise dem älteren Freund geradezu als Vorbild diente. Emersons Sohn selber sagt, dass sein Vater sich ,,freudig von diesem helläugigen, wahrhaftigen und ernsten Manne zu den heiligsten Altären des Waldgottes führen liess“. Thoreaus Gedichte und Essays aus dieser Zeit fanden im „Dial“ Aufnahme.

      Inmitten dieses sympathischen Kreises traf Thoreau der härteste Schlag seines Lebens: der Verlust seines Bruders John. Er wurde teilnahmlos gegen seine Umgebung und machte den Eindruck, als ob er sich selbst hasse. Trost suchte und fand er in der ewig gütigen Natur. „Ich finde solch ein Ereignis eher seltsam als traurig,“ schrieb er später. ,,Wer gibt mir das Recht, traurig zu sein, wo ich noch nicht aufgehört habe mich zu wundern?“

      Immer mehr fühlte er, dass sein eigentlicher Beruf die Schriftstellerei sei. Als ihm 1843 bei Verwandten Emersons in Staten Island nahe bei New York eine Erzieherstelle angeboten wurde, willigte er ein, weil er dadurch Gelegenheit erhalten konnte, mit hervorragenden Literaten und Verlegern New Yorks in persönliche Beziehungen zu treten. Auch hoffte er, eine hartnäckige Bronchitis durch die Luftveränderung zu vertreiben. Soviel wie möglich war er auch hier im Freien. Das Meer machte einen gewaltigen Eindruck auf ihn. Einige herrliche Stanzen legen davon Zeugnis ab. Bald lauschte er dem Branden der See, bald dem Brausen der Grossstadt. Trotz freundlicher Bemühungen angesehener Leute zeigten sich in New York keine günstigen Aussichten. Ein längerer Aufenthalt wurde ihm verleidet. Im Herbst 1843 finden wir ihn schon wieder in seinem geliebten Concord. Er fabrizierte aufs neue Bleistifte, gab aber diese Beschäftigung hernach bald ganz auf, als seiner Hände Arbeit eine Auszeichnung erhielt — diese Kunst beherrschte er, jetzt hiess es, ein neues Feld der Tätigkeit bemeistern. Torrey hat recht, wenn er sagt: ,,Natur, Menschen, Bücher, Musik — alles diente Thoreau nur dazu, an sich selbst zu bauen.“ Aber immer mehr fühlte er, dass seine Lebenskunst, die stets darin bestanden hatte, möglichst wenig zu bedürfen, ihn mit jener Musse nicht beschenkte, deren er dringend bedurfte, um Gedachtes und Geschautes in sich zu verarbeiten. Emersons „Dial“ konnte nur ausnahmsweise einmal Honorar bezahlen; Landvermessungen, Tischlerei und Hilfeleistungen für die Farmer der Umgegend nahmen viel Zeit in Anspruch, brachten aber wenig Lohn. Mit anderen Worten: der fortwährende Kampf um einen noch so bescheidenen Lebensunterhalt, der Einfluss der transzendentalen Schule, der Drang, individueller Freiheit in jeder Hinsicht sich zu erfreuen, brachten allmählich in Thoreau den Plan zur Reife, eine Phase seiner transzendentalen Philosophie praktisch zu erproben: die Vereinfachung des Lebens. Schon 1839 hatte er in sein Tagebuch geschrieben: „Ich möchte meinen Instinkten leben, einen ungetrübten Eindruck in die Natur bekommen und mit allen mir verwandten Elementen in freundlichem Einklang stehen.“ Und einige Jahre später (1841) schrieb er: „Ich möchte am See in der Stille wohnen, wo mir nur das Rauschen des Windes im Röhricht erklingt. Ich werde gewinnen, wenn ich alles Äusserliche von mir abschüttele. Meine Freunde fragen mich, was ich dort treiben werde? Werde ich nicht genug damit zu tun haben, die Jahreszeiten zu beobachten?“

      Der Waldenteich in Concords Nähe war mit seinen frühesten Kindheitserinnerungen verknüpft. Als Jüngling war er oft in dunkeln Nächten zu seinem steinigen Ufer gepilgert und hatte bei hell loderndem Feuer Bricken gefischt. Nicht selten hatte er auch an blauen Sommertagen ein altes Boot auf dem Teich bestiegen und sich träumend von Wind und Wellen treiben lassen. Fast ebenso sympathisch war ihm die etwa zweieinhalb Meilen von Concord entfernte Hollowell Farm. Für das halbverfallene, graue Häuschen, das mitten in einem Hain roter Ahornbäume nahe am Flusse lag, bot er dem damaligen Besitzer zehn Dollars. Als aber der Kontrakt aufgesetzt werden sollte, wurde des Farmers Frau andern Sinnes — „jedermann hat solch eine Frau,“ schreibt Thoreau — und der Verkauf zerschlug sich. So wurde denn 1845 das Ufer des Waldenteiches endgültig gewählt.

      Hören wir Thoreau selbst: ,,Als ich mir klar darüber wurde, dass meine lieben Mitbürger mir kein Bureau im Rathaus, keine Pfarre oder irgend einen Broterwerb anbieten würden, dass ich vielmehr mir selbst helfen müsse, wandte ich mein Augenmerk mehr denn je den Wäldern zu. Dort war ich besser bekannt. Als ich zum Waldenteich wanderte, beabsichtigte ich dort weder billig noch teuer zu leben, sondern möglichst ungehindert Privatgeschäfte zu tun. . . . Ich zog in die Wälder, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, alle Wirkenskraft und Samen zu schauen und zu ergründen, ob ich nicht lernen könnte, was ich lehren sollte, um beim Sterben vor der Entdeckung bewahrt zu bleiben, dass ich nicht gelebt hatte. Ich wollte nicht das Leben, was kein Leben war. Das Leben ist so kostbar. Auch wollte ich keine Entsagung üben — höchstens im Notfall. Ich wollte tief leben, alles Mark, des Lebens aussaugen, so herzhaft und spartanisch leben, dass alles, was nicht Leben war, aufs Haupt geschlagen würde. Ich wollte mit grossen Zügen knapp am Boden mähen, das Leben in die Enge treiben und es auf die einfachste Formel bringen. . . .“

      Gegen Ende März 1845 lieh Thoreau von seinem Freunde Alcott eine Axt, zog zum Waldenteich, fällte Tannen und begann das Holz zum Hausbau herzurichten. Zwei bis drei Wochen widmete er froh und fleissig diesem Vergnügen. Dann stellte er mit Hilfe einiger Freunde, die er mehr aus Höflichkeit als aus Notwendigkeit herbeigerufen hatte, sein Haus auf. Die Hütte war zehn Fuss lang und fünfzehn Fuss breit, hatte einen Speicher, einen Wandschrank, ein grosses Fenster und erhielt später auch einen Kamin. An Hausrat gab es nur ein Bett, einen Tisch, drei Stühle, einen Spiegel (drei Zoll im Durchmesser), einen Kessel, eine Bratpfanne, einen Schöpflöffel, einen Becher, zwei Messer


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