Der Islam. Malise Ruthven

Der Islam - Malise Ruthven


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      Malise Ruthven

      Der Islam

      Mit 13 Abbildungen und 3 Karten

      Aus dem Englischen übersetzt von Matthias Jendis und Susanne Lenz

      Reclam

      Titel der englischen Originalausgabe:

      Malise Ruthven: Islam: A Very Short Introduction.

      Oxford / New York: Oxford University Press, 1997. Neuauflage 2012.

      5. Ausgabe 2020

      2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Die Übersetzung erscheint mit Genehmigung der Oxford University Press, Oxford.

      This translation of Islam: A Very Short Introduction originally published in English in 1997, 2000 and 2012 is published by arrangement with Oxford University Press.

      © 2012, 2019 Malise Ruthven

      Coverabbildung: Freitags-Moschee in Yazd im Iran. © akg-images / Jürgen Sorges

      Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Made in Germany 2020

      RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

      ISBN 978-3-15-961805-0

      ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020545-7

       www.reclam.de

      [7]Vorwort

      Seit dem 11. September 2001 ist der Islam weltweit in den Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit gerückt. Islamische Begriffe wie Jihad (Kampf oder ›Heiliger Krieg‹), Fatwa (Rechtsgutachten), Hijab (von muslimischen Frauen getragener Schleier zur Bedeckung des Kopfes) oder nijab und Burka (Ganzkörperverschleierung für Frauen) haben Eingang in den allgemeinen Wortschatz gefunden. Ebenso sind strittige Themen wie Selbstmordanschläge oder die Bekleidung von Frauen allgemein in das politische und kulturelle Bewusstsein vorgedrungen, und zwar sowohl in mehrheitlich muslimischen Ländern als auch in jenen, die über bedeutende muslimische Minderheiten verfügen.

      Im vorliegenden Buch habe ich versucht, mich mit einigen der komplexen Sachverhalte rund um die aktuellen Auseinandersetzungen und Ereignisse zu befassen. Es ist eine entmutigende Aufgabe gewesen, eine ›Kurze Einführung‹ in die Religion zu schreiben, der ungefähr ein Fünftel der Menschheit angehört. Kürze erfordert Auswahl des Materials, und dies wiederum bedeutet Aussparen und Weglassen. Angesichts des weiten Spektrums menschlicher Gesellschaften, die unter dem Etikett ›islamisch‹ firmieren, muss ein Prozess der Auswahl und Auslassung notwendigerweise zu einem verzerrten Bild führen. Indem ich mich dafür entschieden habe, mich auf gewisse Themen zu konzentrieren und dafür andere Aspekte auszuklammern, bin ich, wie mir durchaus bewusst ist, meinen eigenen Instinkten und Vorurteilen gefolgt. Was meinen Beruf angeht: Ich war früher Journalist und habe auch die akademische Laufbahn eingeschlagen. Für dieses Buch habe ich auf beide Disziplinen zurückgegriffen. Der Journalist in mir hat die Schlagzeilen in den Zeitungen vor Augen. Weil mir bewusst ist, dass viele Menschen im Westen ›den Islam‹ oder Islamismus (zur Unterscheidung beider Begriffe s. S. 45) als feindliche Mächte ansehen, als die größte ideologische Herausforderung, mit der [8]der Liberalismus nach dem Ende der Aufklärung und dem Zusammenbruch der Sowjetunion konfrontiert ist, habe ich der islamischen Politik mehr Platz eingeräumt, als ihr nach Meinung einiger Leser zustehen dürfte. Dasselbe ließe sich zu meinem Kapitel über Frauen und Familie sagen, ein heftig umstrittenes Thema, das in der aktuellen Berichterstattung einen hohen Stellenwert besitzt. Gleichzeitig hat der Wissenschaftler in mir versucht, die stereotypen Vorstellungen und vereinfachenden Verallgemeinerungen zu vermeiden, die mit der Behandlung dieser kontroversen Themen in den Medien einhergehen.

      Frühe Entwürfe zur Erstauflage des vorliegenden Buches sind von Professor James Thrower, meinem ehemaligen, inzwischen verstorbenen und schmerzlich vermissten Kollegen an der Universität von Aberdeen, sowie von wissenschaftlichen Lektoren durchgesehen worden, die der Verlag Oxford University Press zu Rate gezogen hat. Nicht nur ihnen schulde ich Dank für viele Verbesserungsvorschläge, sondern auch Deniz Kandiyoti, die einen ersten Entwurf des 5. Kapitels gelesen und wertvolle Einsichten und Anregungen aus ihrem reichen Wissensschatz über die Kulturen und den Feminismus des Nahen Ostens beigetragen hat. Viel verdankt diese überarbeitete Neuauflage auch den Gesprächen mit Freunden und Kollegen, die zu zahlreich sind, als dass ich sie alle namentlich aufführen kann. Doch ganz besonders möchte ich George Miller danken, einem außergewöhnlich umsichtigen und hilfsbereiten Lektor, der die Erstauflage betreute, sowie den Verfassern zahlreicher Bücher, die im neuen, überarbeiteten Literaturverzeichnis zu finden sind, des Weiteren sämtlichen Redakteuren und Rezensenten – allen voran Robert Silvers von der New York Review of Books –, die mir ermöglichten, die genannten Veröffentlichungen einzusehen.

      [9]1 Der Islam, die Muslime und der Islamismus

      Seit dem 11. September 2001 vergeht kein Tag, an dem die Medien nicht über den Islam, die Religion von etwa einem Fünftel der Menschheit, berichten. Die Terroristen, die vier amerikanische Flugzeuge entführten, zwei in das New Yorker World Trade Center und das Pentagon (nahe Washington, D. C.) lenkten und eines aufgrund einer Revolte der Passagiere nahe Shanksville, Pennsylvania, zum Absturz brachten, töteten insgesamt etwa 3000 Menschen und lösten damit nicht nur den Antiterrorkrieg der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten aus, der zur Beseitigung der muslimischen Regierungen in Afghanistan und im Irak führte: In der Folge geriet der Islam als Analyse- und Diskussionsgegenstand weltweit in den Fokus der Öffentlichkeit.

      Seither werden die Auseinandersetzungen in Zeitungsberichten, Rundfunk- und Fernsehbeiträgen, Cafés, Bars und im privaten Bereich sowohl hitzig als auch leidenschaftlich geführt. Fragen, die früher in der Exklusivität wissenschaftlicher Tagungen oder von Hauptseminaren erörtert wurden, gehören nun zum politischen Alltag. Worin besteht das »Gesetz des Jihad«? Wie kommt es, dass die Religion des Friedens, der sich Millionen von normalen, ehrbaren Gläubigen verschrieben haben, anscheinend zur hasserfüllten Ideologie einer zornigen Minderheit geworden ist? Derartige Fragen sind nicht länger ›akademisch‹, sondern dürften von vitalem Interesse für die meisten Menschen auf diesem Planeten sein. Dass sich der Islam oder eine Spielart von ihm – ganz gleich, ob von Extremisten verzerrt, pervertiert, korrumpiert oder für ihre eigenen Zwecke missbraucht – zu einer festen Größe und Macht oder zumindest zu einem Etikett für ein Phänomen mit bedrohlichem Potenzial entwickelt hat, werden wohl wenige bestreiten. Doch Muslime, die im Westen oder in den immer größer werdenden Teilen der muslimischen Welt mit dem digitalen Fußabdruck des Westens leben, weisen verständlicherweise die Verdächtigungen von [10]sich, denen sie durch die wachsenden Sorgen der Nicht-Muslime ausgesetzt sind. Der Islam, so argumentieren sie vielleicht, sei eine Religion des Friedens, denn das Wort ›Islam‹, ein Verbalsubstantiv in der Bedeutung von ›Selbsthingabe (an Gott)‹, ist etymologisch verwandt mit dem Wort für Frieden, salaam. Die allgemeingültige Grußformel, die Muslime sowohl untereinander als auch Fremden gegenüber verwenden, lautet: as salaam ’alaikum – »Friede sei mit Dir«. Einer weitverbreiteten Ansicht entsprechend, verkennen daher diejenigen, die den Islam der Gewaltbereitschaft bezichtigen, den im Kern friedliebenden Charakter dieser Religion.

      Ein Abwägen der Gegebenheiten in historischer Perspektive unterstützt diese Auffassung. In seiner Frühform (bis etwa zum Jahr 750 der christlichen Zeitrechnung) entstand der Islam zwar im Zuge der arabischen Eroberung, doch in den Jahrhunderten danach erfolgte seine Ausbreitung im Großen und Ganzen friedlich entlang des riesigen Netzes von Handelswegen, die vom südlichen Afrika bis nach China, zum südostasiatischen Archipel und den Bergtälern und Steppen Zentralasiens reichten. Als eine »Religion des Buches« brachte der Islam das Ansehen jener Hochkulturen mit sich, die mit großen Städten wie Kairo, Bagdad und Delhi in Verbindung standen. Da es in ihm weder so etwas wie das Papsttum oder ein formales Regelwerk für die Durchsetzung der Lehren und Riten gibt, erwies er sich als besonders fähig, örtliche Traditionen und Gebräuche,


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